Erst 1971 (in Frankreich bereits 1789) wurde in Österreich das Totalverbot homosexueller Kontakte (zwischen Männern und zwischen Frauen) aufgehoben. Und Österreich wollte damals nicht, wie andere Länder Europas, fortan homo- und heterosexuelle Kontakte zumindest im Strafrecht gleichbehandeln, sondern hat die eine Strafbestimmung "Widernatürliche Unzucht" durch vier neue ersetzt. Es wurde eine Sonderaltersgrenze für schwule Beziehungen von 18 Jahren eingeführt (§ 209 Strafgesetzbuch) gegenüber 14 für Heterosexuelle und Lesben. Die schwule Prostitution wurde (anders als heterosexuelle und lesbische) unter Strafe gestellt (§ 210), ebenso wie das öffentliche Gutheißen von Homosexualität ("Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlecht", § 220) und die Gründung beziehungsweise die Mitgliedschaft in LGB-Vereinigungen ("Vereinigungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht", § 221).

Richter-Hammer auf LGBT-Fahne.
Das neue Gesetz ist von symbolischem Wert, betrachtet man die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugesprochenen Beträge.
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1989 fiel das Prostitutionsverbot, 1997 das Gutheißungs- und Vereinsverbot, und 2002 hat der Verfassungsgerichtshof auch das letzte der Sonderstrafgesetze, § 209, beseitigt.

Gesetz seit 2005 immer wieder eingebracht

In seinen Urteilen, in denen er Österreich wegen der homophoben Sonderstrafgesetze verurteilt hatte1, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder darauf verwiesen, dass weder das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs noch die Aufhebung des § 209 den Opferstatus der strafverfolgten homo- und bisexuellen Männer beenden konnten.

Von dem vom EGMR eingeforderten "umfassenden Paket" zur "Gleichstellung homosexueller Beziehungen mit heterosexuellen Beziehungen im Strafrecht"2 war Österreich bis jetzt weit entfernt. Das von mir verfasste Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz (AREG) wurde in den letzten 18 Jahren von den Grünen immer wieder im Nationalrat eingebracht.3 Nie fand es eine Mehrheit.

Für EGMR wäre das 83-Fache angemessen

Das nun im Nationalrat eingebrachte Gesetz hebt die in der Zweiten Republik erfolgten Verurteilungen aufgrund der homophoben Sonderstrafgesetze auf (ohne dass dafür eine Antragstellung erforderlich ist) und gewährt (auf Antrag) für eine Verurteilung 3.000 Euro, für jedes angefangene Jahr Haft 1.500 Euro, für Strafverfahren ohne Verurteilung 500 Euro und 1.500 Euro für Personen, die im Zusammenhang mit den homophoben Sonderstrafgesetzen unter besonderen beruflichen, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Nachteilen oder sonstigen vergleichbaren außergewöhnlich negativen Beeinträchtigungen zu leiden hatten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinen Urteilen (siehe oben) viel höhere Beträge als angemessen bestimmt: nämlich für eine Verurteilung 15.000 Euro, für ein Monat Haft 5.000 Euro, für ein Jahr Haft 75.000 Euro und für Strafverfahren ohne Verurteilung 10.000 Euro, nach heutigem Geldwert sind das für eine Verurteilung 25.000 Euro, für ein Monat Haft 8.500 Euro, für ein Jahr Haft 125.000 Euro und für Strafverfahren ohne Verurteilung 17.000 Euro.

In den Gesetzeserläuterungen meint die Bundesregierung, dass die nunmehrigen Entschädigungsbeträge größenordnungsmäßig im Bereich des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes (StEG) 2005 lägen. Selbst nach den Sätzen des StEG (für rechtswidrig oder unschuldig Inhaftierte) (20 Euro bis 50 Euro pro Tag Haft; bis 2010 waren es noch 100 Euro) wären es aber nicht 1.500 Euro für ein Jahr Haft, sondern zwischen 7.300 und 18.250 Euro.

Anträge auf die genannten Beträge können bis 2033 gestellt werden, wobei in diesen zehn Jahren keine Inflationsanpassung erfolgen wird. Und wer sich einer anwaltlichen Vertretung bedienen will, muss diese selbst zahlen. Eigenartig erscheint es, dass für einen Tag Haft der gleiche Betrag (1.500 Euro) zusteht wie für ein ganzes Jahr.

Über 1,2 Prozent dessen, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als angemessene Haftentschädigung ansieht, können wir nicht jubeln, aber wir freuen uns sehr, dass die Urteile aufgehoben werden und es zumindest eine symbolische finanzielle Geste geben wird. (Helmut Graupner, 15.12.2023)