Junge Frau im gelben Pullover spielt mit Baby
Viele der Au-pairs in Österreich stammen aus südamerikanischen Staaten.
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Isabella* ist Mitte zwanzig, als sie in einen Flieger Richtung Wien steigt. Ein Jahr lang soll die Kolumbianerin in Österreich leben, ihrer Gastfamilie im Alltag unter die Arme greifen und in die Sprache und Kultur des Landes eintauchen. Isabella träumt davon, Deutsch zu lernen und später an der Universität zu studieren. "Wir Au-pairs wandern oft auf der Suche nach einem Traum aus", sagt sie. "Aber was als Anstoß gedacht war, um meinen Traum vom Studium zu verwirklichen, erwies sich als Stolperstein auf dem Weg dorthin."

Denn schlussendlich wird Isabella nicht bei einer, sondern zwei Gastfamilien leben und arbeiten. Im ersten Haushalt wird sie beschimpft und vernachlässigt. Sie wechselt zu einer anderen Gastfamilie – und arbeitet dort doppelt so viele Stunden wie gesetzlich erlaubt. Mit Ängsten und Schlafstörungen wendet sie sich schließlich an einen Psychologen. Wie Isabella geht es vielen anderen jungen Frauen, die als Au-pair-Kräfte ins Land kommen. Viele von ihnen stammen aus Drittstaaten. Deren Liste führen südamerikanische Länder an: Im heurigen Jahr kamen 157 Au-pairs aus Kolumbien, 93 aus Brasilien und 81 aus Mexiko nach Österreich.

Gesetzeslücken trotz guten Schutzes

In Österreich regelt das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz die Arbeit von Au-pairs. Demnach dürfen sie wöchentlich nicht mehr als 18 Stunden arbeiten, dazu zählt auch Arbeitsbereitschaft. Einen fixen Tag pro Woche müssen sie vollständig frei bekommen. Neben der kostenfreien Unterbringung im Haus der Gastfamilie erhalten die Au-pairs ein Gehalt von mindestens 500 Euro und 91 Cent. Auch Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie bezahlter Krankenstand und Urlaub stehen ihnen zu. Außerdem muss die Gastfamilie ihrem Au-pair den Besuch eines Deutschkurses ermöglichen und mindestens die Hälfte der Kosten übernehmen.

Damit sind Au-pairs in Österreich vergleichsweise gut geschützt. In Deutschland etwa verdienen Au-pairs nur mindestens 280 Euro im Monat – bei einer Wochenarbeitszeit von bis zu 30 Stunden. In Großbritannien werden Au-pair-Kräfte gar nicht als Angestellte eingestuft und haben somit keinen Anspruch auf den nationalen Mindestlohn oder bezahlten Urlaub.

Doch auch hierzulande gibt es Gesetzeslücken, die für Au-pairs empfindliche Folgen haben können. "Das passiert alles im privaten Bereich", meint die Arbeitsrechtsexpertin Selma Gonzales von der Arbeiterkammer (AK) Wien. "Es ist ein Bereich, der sehr schwierig zu kontrollieren ist." In der entsprechenden Verordnung ist festgehalten, dass das Au-pair nur "leichte Mithilfe" im Haushalt verrichten soll. Diese Formulierung sei sehr schwammig, kritisiert Gonzales. Die genaue Auslegung bleibt der jeweiligen Gastfamilie überlassen.

Die Au-pairs sind meist junge Frauen aus Ländern des Globalen Südens. Gerade anfangs sprechen sie häufig kein oder wenig Deutsch, ihre Einsatzorte befinden sich mitunter in kleinen Gemeinden oder auf dem Land. Sie leben an dem Ort, an dem sie arbeiten, und bauen zu ihren Gasteltern und den Kindern, die sie betreuen, emotionale Bindungen auf. Nicht immer finden sie schnell Anschluss an Gleichaltrige oder Menschen außerhalb ihrer Gastfamilie. Isolation, Unklarheit über die eigenen Rechte, das Machtgefälle innerhalb der Familien und mangelnde Rückzugsmöglichkeiten machen die Au-pair-Kräfte verletzlich. Denn wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen, lässt sich nur schwer auf der vereinbarten Wochenarbeitszeit beharren, sagt Gonzales.

Zwei Mexikanerinnen im selben Dorf

Elizabeth Martínez und Paulina Flores kommen im Frühling 2019 unabhängig voneinander als Au-pairs nach Österreich. Im Deutschkurs an der Volkshochschule lernen sie einander kennen. "Es war wirklich ein lustiger Zufall, dass zwei Mexikanerinnen im selben Dorf außerhalb von Wien zur selben Zeit ein Au-pair-Jahr machen", sagt Elizabeth. Bei ihren Gastfamilien machen sie verhältnismäßig gute Erfahrungen. Dass das nicht die Norm ist, wird klar, als sie den privaten Whatsapp-Chats und Facebook-Gruppen beitreten, in denen sich lateinamerikanische Au-pairs in Österreich austauschen. Manche der jungen Frauen arbeiten deutlich mehr als erlaubt, verrichten schwere Tätigkeiten oder leiden unter dem Verhalten ihrer Gasteltern.

"In den letzten Jahren sind die schlechten Erfahrungen häufiger geworden", sagt Paulina. "Nach der Pandemie haben wir so verrückte Geschichten gehört, dass wir helfen wollten." Beide Frauen studieren mittlerweile in Wien. "Wir wissen jetzt über Rechte Bescheid, von denen wir früher nicht wussten, dass wir sie überhaupt haben", sagt Elizabeth. "Wir verstehen besser Deutsch. Und so ist es einfacher, Informationen zu bekommen."

Im Sommer stellen sie im Rahmen des Festivals "Wienwoche" mit zwei Mitstreiterinnen das Projekt "Au-Pair Repair" auf die Beine. In zwei Workshops bieten sie Betroffenen Rechtsberatung und die Möglichkeit, sich zu vernetzen. In einer Dokumentation lassen sie Au-pairs zu Wort kommen, die ausgebeutet wurden oder missbräuchliche Erfahrungen gemacht haben. Und sie richten eine mehrsprachige Helpline ein, die Betroffene anrufen können. "Uns haben Au-pairs kontaktiert, weil sie Hilfe mit der Bürokratie brauchen", erzählt Elizabeth. "Aber auch, um zu sagen: Hey, ich brauche jemanden zum Reden, weil ich hier mitten im Nirgendwo bin."

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Bei Au-pairs sind die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben oft fließend.
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Generationen von Au-pairs

Gibt es keinen Kontakt zu anderen Au-pair-Kräften, fehlt damit auch der Vergleich, was angemessen ist und was nicht. "Die Mädchen, die nicht wissen, dass sie laut Gesetz und ihren Verträgen nicht mehr als 18 Stunden arbeiten dürfen, werden weiter ausgebeutet werden", sagt Elizabeth. "Und das passiert Generationen von Au-pairs jedes Jahr."

In ihrer ersten Gastfamilie arbeitete Isabella die gesetzlich vorgesehenen 18 Stunden und war ausschließlich für das Kind zuständig. Die ersten Wochen fühlte sie sich wohl, doch dann wurde sie von der Familie immer öfter geringschätzig behandelt und beschimpft. "Einmal stand ich auch ein Wochenende lang ohne Essen da, obwohl die Familie vertraglich verpflichtet war, für meine Lebensmittel aufzukommen", erzählt sie. Auf ihren Wunsch, den Vertrag aufzulösen, habe ihre Gastfamilie aggressiv reagiert. Isabella blieb – aus Angst um ihr Visum. Sie sah sich im Netz nach einer anderen Gastfamilie um und ging, sobald es möglich war.

In der Aufenthaltsbewilligung einer Au-pair-Kraft ist der Name ihrer Gastfamilie vermerkt. "Das bedeutet eine Verantwortung für die Familie, aber es schafft auch ein Machtgefälle", sagt Elizabeth von Au-Pair Repair. In dem Wissen, dass ihr rechtlicher Status auf dem Spiel steht, würden viele Au-pairs jede Arbeit übernehmen und Verhandlungen mit der Familie vermeiden.

Bei Isabellas zweiter Familie lief es mit der Kommunikation besser, doch sie arbeitete viel zu viel – das Doppelte der erlaubten Stundenzahl. "Ich arbeitete 36 Stunden pro Woche, war für die Ordnung und Sauberkeit in der Küche zuständig, wickelte das Kind jeden Morgen, bevor ich es in den Kindergarten brachte, und bereitete das Essen für es zu, während es in meiner Obhut war", zählt sie ihre Aufgaben auf. Nachmittags holte sie das Kind ab, spielte mit ihm oder machte Ausflüge, bis die Eltern schließlich am späten Abend zurückkehrten.

Arbeiten und leben unter einem Dach

Arbeitsplatz und Zuhause der jungen Frauen sind derselbe Ort. "Manchmal ist man mit seinen Aufgaben fertig, aber dann kommt eines der Kinder und verbringt zwanzig Minuten bei einem", sagt Elizabeth. "Oder man hat Freizeit, und dann fragen die Eltern: Kannst du abwaschen? Kannst du zu den Kindern ins Spielzimmer gehen? Und diese Stunden zählt man nicht mit." Dieses Problem kennt Selma Gonzales aus ihren Beratungsgesprächen. "Die Arbeitszeitaufzeichnungen werden nicht wie in einem normalen Betrieb geführt", sagt sie. Grundsätzlich ist es die Verantwortung der Gasteltern, die Arbeitszeiten schriftlich festzuhalten. Die jungen Frauen wüssten oft nicht, dass sie auch selbst Aufzeichnungen machen könnten.

Generell sei es wichtig, dass Au-pair und Gastfamilie genaue Regeln vereinbaren, meint Selma Gonzales. "Da ist mein Tipp, dass man die Aufgabenverteilung so gut und klar wie möglich definiert. Was gehört zur leichten Mithilfe im Haushalt?" Wo zwischen Aufräumen, Wäschewaschen, Geschirrspülen und Fensterputzen die Grenze zulässiger Aufgaben verläuft, sollte vereinbart und nicht unausgesprochen vorausgesetzt werden. "Viele Familien haben Au-pairs, weil sie nicht nur eine Babysitterin, sondern auch eine Putzfrau wollen", sagt Elizabeth von Au-Pair Repair. "Und ein Au-pair ist dann beides in einem."

Es fehle an dem Bewusstsein dafür, dass Au-pairs Arbeitskräfte sind, meint sie. Sie spielen ihre Gasteltern beruflich frei, füllen Lücken in der staatlichen Kinderbetreuung und ermöglichen einen funktionierenden Familienalltag. "Was Au-pairs tun, ist Arbeit. Kinder zu betreuen ist Arbeit", sagt Elizabeth. Doch es ist Arbeit, die größtenteils in Küchen und Kinderzimmern stattfindet, ausgeübt von jungen Frauen mit Migrationshintergrund. So bleibt sie unsichtbar. (Ricarda Opis und Clara Wutti, 18.12.2023)