Gastgeber Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj beim Handshake im Oval Office.
Gastgeber Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj beim Handshake im Oval Office.
EPA/Yuri Gripas/ABACA / POOL

Der Kontrast ist hart, und man spürt ihn im ersten Augenblick. Ein Jahr ist es her, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal seit dem russischen Überfall auf sein Land nach Washington reiste. Bei einer Pressekonferenz voller Emotionen und Versprechen hatte er da im weihnachtlich dekorierten prunkvollen East Room des Weißen Hauses gestanden. Das kommende Jahr werde den Wendepunkt im Krieg bringen, hatte er versichert: "Ich bin sicher, dass wir diesen Krieg gewinnen." Die USA stünden an seiner Seite, "solange es nötig ist", hatte Joe Biden freundlich lächelnd versichert.

Nicht nur der Optimismus ist dieses Mal verschwunden. Mit dem Indian Treaty Room im benachbarten Eisenhower-Gebäude hat das amerikanische Protokoll auch einen deutlich kleineren Veranstaltungsort für den gemeinsamen Auftritt der Präsidenten vor den Kameras ausgewählt. "Wir haben bemerkenswerte Fortschritte gemacht", berichtet der Gast eher defensiv über den Kriegsverlauf. Dass Selenskyj nach fast zwei Jahren unbezwungen neben ihm stehe, sei "ein enormer Sieg", erklärt Biden auffällig bescheiden. Dann verspricht er, das Land weiter mit Waffen zu unterstützen – "solange wir können".

Video: USA unterstützen Ukraine "so lange wir können."
AFP

Keine Ansprache vor dem Plenum

Die beiden Auftritte trennt weit mehr als eine enttäuschend verlaufene ukrainische Sommeroffensive und ein bemerkenswertes semantisches Rückzugsgefecht. Vor allem hat es in den vergangenen zwölf Monaten einen dramatischen Stimmungsumschwung im US-Kongress gegeben. Im vorigen Dezember hatte Selenskyj dort eine patriotische Rede gehalten, die von den versammelten Parlamentariern beider Häuser begeistert bejubelt wurde. Inzwischen lehnen immer mehr Republikaner weitere Gelder für die Ukraine ab. Deren Präsident trifft zwar mit Senatoren und dem republikanischen Chef des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, zusammen. Eine Ansprache vor dem Plenum aber bleibt ihm verwehrt.

Biden und Selenskyj bei einer Pressekonferenz im Indian Treaty Room.
Biden und Selenskyj bei der Pressekonferenz Indian Treaty Room.
AP/Andrew Harnik

So klingt es verdächtig nach Durchhalteparolen, als beide Regierungschefs im Anschluss an ein fast dreistündiges Gespräch im Oval Office ihre enge Verbundenheit herausstreichen und Biden mit ernster Stimme warnt, der russische Präsident Wladimir Putin setze auf ein Einknicken der Amerikaner. "Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen!", fordert er beschwörend: "Wir müssen!" Es sei "sehr wichtig, dass wir am Ende des Jahres ein starkes Signal an den Aggressor senden können", betont auch Selenskyj.

Kein Kompromiss in Sicht

Doch die Lage im US-Kongress ist festgefahren. Offiziell wollen die Republikaner den von Biden geforderten neuen Ukraine-Hilfen in Höhe von 61 Milliarden Dollar nur zustimmen, wenn der Präsident seine Asylpolitik drastisch verschärft, was der linke Flügel seiner Partei ablehnt. Tatsächlich ist unklar, ob weitere Zugeständnisse den Widerstand der Trump-Hardliner brechen könnten, die – wie die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene oder der Senator J. D. Vance – jegliche Unterstützung der Ukraine grundsätzlich ablehnen. Die Verhandlungen über einen Kompromiss kommen nur schleppend voran. Viel spricht dafür, dass das Parlament am Ende der Woche ohne eine Einigung in die Weihnachtsferien entschwindet. Zum Jahresende sind nach Angaben der US-Regierung die bewilligten amerikanischen Mittel aufgebraucht.

Trotz eindringlicher Appelle gelingt es Selenskyj bei seinen Gesprächen auf dem Kapitolshügel offenbar nicht, die Blockade der rechten Neinsager aufzubrechen. Vor jeder weiteren Unterstützung der Ukraine müsse man sich um die eigene Sicherheit der USA kümmern, erklärt Parlamentschef Johnson. Der wendige Senator Lindsey Graham, eigentlich ein vehementer Unterstützer von Ukraine-Hilfen, versichert Selenskyj eher zynisch als mitfühlend: "Es hat nichts mit Ihnen zu tun." Tatsächlich sei Biden für die Misere verantwortlich, weil er sich nicht um "den Albtraum an unserer Grenze" kümmere.

"Das ist wahnsinnig"

"Ich habe viel gehört", berichtet Selenskyj nach seinen Gesprächen im Kongress ebenso höflich wie vage: "Aber ich weiß, dass man Worte und konkrete Ergebnisse trennen muss." Kurz darauf lässt er dann für einen kurzen Moment alle diplomatische Zurückhaltung fahren. Ein Journalist fragte ihn, ob er irgendwann über eine Verhandlungslösung mit Russland und die Aufgabe von Territorium nachdenken müsse. "Das ist wahnsinnig", kontert der Mann in der olivgrünen Uniform spürbar erregt. Schließlich lebten auf den Gebieten seine Landsleute: "Stellen Sie sich vor, ich würde Sie auffordern, ihre Kinder einem Terroristen zu übergeben."

In der Pressekonferenz ist das Thema damit erledigt. Doch ohne weitere Militärhilfe des Westens könnte sich der Präsident der Ukraine schon bald in genau dieser dramatischen Lage befinden. (Karl Doemens aus Washington, 13.12.2023)