Angriffe im Süden des Gazastreifens
Israel verstärkte zuletzt vor allem im Süden des Gazastreifens die Angriffe. Dort sollen sich die Spitzen der Hamas aufhalten und die Kämpfer untereinander besser vernetzt sein.
AFP/MENAHEM KAHANA

Der Kampfgeist der Hamas sei geschwächt, der Sieg über die Terroristen in Griffweite: Diese Nachrichten hört man aus israelischen Militärkreisen nun immer öfter. Es sind frohe Botschaften an zwei Adressen: an die israelische Öffentlichkeit, die jeden Tag in den Nachrichten mit neuen Bildern und Biografien weiterer gefallener Soldaten im Gazakrieg konfrontiert wird – allein am Mittwoch waren es zehn Todesmeldungen. Und an Washington, wo US-Präsident Joe Biden zuletzt so deutlich wie nie Israel aufgerufen hat, die Kämpfe so bald wie möglich einzustellen. Biden warnte, dass Israel in absehbarer Zeit den Rückhalt im Westen verlieren könnte. Grund seien die "willkürlichen Bombenangriffe" der israelischen Armee in Gaza.

Video: Zahlreiche Hamas-Kämpfer haben sich nach israelischen Angaben der Armee ergeben. "Wir sind fest entschlossen, die Hamas zu zerschlagen. Aber der Weg dorthin ist noch lang", sagte Armeesprecher Daniel Hagari verganene Woche.
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Nicht nur in Gaza aktiv

Wie lange wird es nun dauern, bis die Hamas besiegt ist? Dass die Moral der Hamas bereits deutlich geschwächt ist, glaubt der frühere Militärgeheimdienst-Offizier und israelische Hamas-Experte Michael Milstein nicht. Der politische Führer der Hamas in Gaza, Yahya Sinwar, sei sogar der Überzeugung, "dass 20.000 tote Palästinenser und die fast vollständige Zerstörung des Gazastreifens immer noch ein respektabler Preis für diesen siegreichen Schlag gegen Israel ist".

Selbst wenn es gelingen sollte, zehntausende Hamas-Mitglieder zu töten, werde das die Hamas nicht zum Verschwinden bringen, meint Milstein. Die Terrororganisation sei schließlich nicht nur im Gazastreifen aktiv, sondern auch im Westjordanland, im Libanon, in Syrien, der Türkei und in Katar.

Ideologie wird weiterverbreitet

Israels Armee könne und müsse die Hamas militärisch schwächen und ihre Führung in Gaza vorerst beenden, sagt Hamas-Experte Michael Barak im STANDARD-Gespräch. "Dass die Hamas vernichtet werden kann, ist aber Wunschdenken", glaubt der Forscher am Internationalen Institut für Terrorismusabwehr und Lektor an der Verwaltungsakademie der Reichman Universität in Herzlia.

Die Ideologie der Hamas werde von religiösen Autoritäten gestärkt und weiterverbreitet, sagt Barak. Er nennt die Al-Azhar-Universität in Kairo als Beispiel. Sie habe sich im vergangenen Jahrzehnt von einem mäßigenden zu einem radikalen Faktor gewandelt und positioniere sich jetzt auf der Seite der Muslimbrüderschaft und der Hamas. In einer Fatwa erklärte sie das gezielte Töten israelischer Zivilisten für legitim. "Wenn man eine solch wichtige religiöse Institution auf der Seite der Terroristen hat, ist es fast unmöglich, die Hamas zu schlagen", sagt Barak.

Komplizierte Situation im Süden

In Gaza merke man eine gewisse Frustration mit der Hamas, auch unter deren Kämpfern, sagt Barak. "Viele sind verärgert, weil die versprochenen Zahlungen für die Geiselnahmen am 7. Oktober ausgeblieben sind." Von einem Kontrollverlust der Hamas könne man derzeit aber nur im Norden des Gazastreifens sprechen. Im Süden, wo sich die Spitzen der Hamas aufhalten sollen und die Kämpfer untereinander besser vernetzt sind, "ist es extrem kompliziert", sagt Barak.

Um die Hamas längerfristig zu schwächen, sei Israel auf die Unterstützung der USA und Europas angewiesen, sagt Barak. "Der Westen muss Druck auf die Türkei und Katar ausüben, um die Finanzierungsquellen der Hamas auszutrocknen." Das ist aber ein längerfristiges Vorhaben. Für die kürzere Perspektive müsse man neue Lösungen finden, nicht zuletzt für die Frage, wer Gaza nach dem Krieg kontrollieren solle. Dass die Palästinenserbehörde (PA) diese Aufgabe übernehmen könne, hält Barak für unrealistisch. "Die PA hat schon gesagt, dass sie bereit ist, die Hamas in die Führung zu integrieren." Wenn die Terrorgruppe auf diese Weise zurück an die Macht findet, wäre das für Israel – und wohl auch für die USA und Europa – nicht akzeptabel.

Israel müsse seine Politik der Hamas gegenüber von Grund auf ändern, sagen die Experten. In den vergangenen Jahren hat Israel es zugelassen, dass Katar Milliarden Dollar nach Gaza pumpen konnte. Die Annahme war, dass ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Sicherheit helfen würde, Gaza auch politisch zu stabilisieren und Eskalationen vorzubeugen. Der 7. Oktober hat diese Ansicht endgültig erschüttert. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 14.12.2023)