Tiktok und Krieg
Tiktok zeigt den Krieg zwischen Israel und der Hamas aktuell sehr einseitig.
Tiktok

Blutende und verzweifelte Kinder. Eine palästinensische Reporterin, die angeschossen wird und panisch zu schreien beginnt. Es sind schreckliche Bilder, die man unter dem Stichwort "Gaza" auf der Videoplattform Tiktok findet. Während manche von bekannten Nachrichtenplattformen stammen, mischen sich auch Videos von Influencern und unbekannten Quellen in den unendlichen Inhaltsstrudel. Hier brennen israelische Fahnen, im Gegenschnitt wehen IS-Flaggen. Unterlegt von lauter Musik, wird hier offen zum Kampf aufgerufen. Eines dieser Videos stammt von der jungen Muslimin Syasyarushdina, die sich als Mode-Influencerin eine riesige Reichweite aufgebaut hat.

Seit kurzem finden sich auch Kriegsvideos in ihrem Angebot. Ihr neuestes zeigt brennende israelische Flaggen und Kampfschreie. Gelöscht wurde dieser Inhalt bis heute nicht. Stattdessen verzeichnet er eindrucksvolle 2,7 Millionen Views und 6000 meist zustimmende Kommentare.

Diese Videos bringen "Engagement", wie man so schön sagt. Leute bleiben dran, kommentieren. Das funktioniert auf Tiktok aktuell offenbar am besten aus der propalästinensischen Perspektive, denn vor allem der Hass auf Israel wird in unzähligen Videos propagiert. Aber nicht überall brennen Flaggen, um antijüdische Botschaften an das vorwiegend junge Publikum zu bringen. Viele, die solche Videos online stellen, reden auf den ersten Blick sehr bedacht über den Krieg, als wären sie junge Nachrichtensprecher oder hätten besonderes Wissen über die aktuelle Lage. Der Tenor ist derselbe wie bei den oben genannten, den "lauten" Videos: Israel trage die Schuld an diesem Krieg und wird als Aggressor dargestellt, den es um jeden Preis zu stoppen gelte.

Das ist gefährlich, weil man dank mehrerer aktueller Studien weiß, dass sich viele Jugendliche primär auf Tiktok über das Weltgeschehen informieren und nicht mehr über klassische journalistische Angebote. So trenden auch in Österreich auf der Videoplattform die Hashtags #Palestine und #FreePalestine. Ein israelisches Gegenstück findet sich in den Trends nicht.

China spielt mit

Auch der EU ist dieses Ungleichgewicht nicht entgangen, weshalb man den CEO von Tiktok, Shou Zi Chew, Mitte Oktober bereits zur Rede stellte. Vor allem die Flut an Falschinformationen rund um die Terrorattacke der Hamas hatte die Behörden aufmerksam gemacht. Laut Tiktok-Inhaber Bytedance wurden auch bereits rund eine halbe Million Videos mit Fake News gelöscht und zusätzlich mehr arabisch- und hebräischsprechende Moderatorinnen eingestellt. Während der Kampf gegen diese Flut an problematischen Beiträgen also offenbar geführt wird, bleiben propalästinensische Sichtweisen dennoch der Liebling des Tiktok-Algorithmus, der für die Auswahl der ausgespielten Videos zuständig ist.

Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass die Plattform, der immer wieder Nähe zur chinesischen Regierung vorgeworfen wird, gar kein Interesse daran hat, hier alle Hassbeiträge zu löschen. Den terroristischen Angriff der Hamas hatte Chinas Regierung beispielsweise nie verurteilt, stattdessen zeigte man vor allem Verständnis für die Situation in Gaza. Bytedance bestreitet die Nähe zu Chinas Regierung. Tiktok-CEO Shou Zi Chew betont als Gegenbeweis, dass die Hauptquartiere der Videoplattform in Singapur und Los Angeles liegen. Dass Bytedance selbst in Peking sein Hauptquartier hat und bei dem Unternehmen ein Vorstandssitz von der Kommunistischen Partei besetzt ist, wird nicht gern erwähnt.

Nicht nur Tiktok

Während immer mehr Länder für ein Tiktok-Verbot auftreten, ist die reichweitenstarke App nicht das einzige Problem in Sachen Einflussnahme. Meta, die Firma hinter Facebook und Instagram, soll die Reichweite propalästinensischer Beiträge absichtlich gering halten, sie in der Suche nicht mehr auffindbar machen oder auch die Kommentierfunktion deaktivieren. Die palästinensische Beobachtungsstelle 7amleh (Arab Center for the Advancement of Social Media) sprach vor wenigen Wochen von einer "Übermoderation" des US-Konzerns und von geschalteten Werbeanzeigen auf der Social-Media-Seite, die "zur gewaltsamen Vertreibung von Palästinensern" aufrufen. Meta-CEO Mark Zuckerberg hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Die Terrorattacke der Hamas vor zwei Monaten verurteilte er jedoch scharf. Seine Eltern sind Juden.

Wer erwartet, dass Social-Media-Plattformen vor allem an ausgeglichener Berichterstattung interessiert sind, irrt. Hier können wenige Personen sehr dominant eine Richtlinie vorgeben und den Algorithmus so einstellen, dass er genau jene Inhalte ausspielt, die man den Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung stellen will.

Es geht den Plattformeigentümern sicher auch um Engagement, weil das Geld bringt. Immer stärker spielen aber auch politische Interessen eine Rolle. Hier gilt es wachsam zu bleiben und den Druck von EU-Seite weiter zu verstärken. Es braucht härtere Geldbußen und strengere Sanktionen gegen die Plattformhalter, die nichts oder zu wenig gegen schädliche Propaganda und Fake News tun oder selbst bestimmen, welche Inhalte gezeigt und welche lieber verborgen werden. (Alexander Amon, 16.12.2023)