Hühner, von ihrem eigenen Gewicht zu Boden gedrückt, schwer atmend, Beine und Brust entzündet. Ein Gabelstapler, der in eine wogende weiße Schar fährt und Tiere zermalmt. Geflügel, das im Schlachthof mit Füßen getreten und gegen Container geschleudert wird. Tote Artgenossen, die Arbeitern als Putzfetzen dienen.

Ein Hühnerleben währt kurz. Über die Bedingungen der Mast wird in der Landwirtschaft hart gerungen.
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Genau ein Jahr ist es her, dass Österreichs Fleischindustrie von Missständen erschüttert wurde, die Konsumenten und Handel bitter aufstießen. Diese als Einzelfälle abzutun fiel der Branche zusehends schwer.

Tierschützer zeigten Mastbetriebe wegen Tierquälerei an. Die Agrarmarkt Austria (AMA) versprach engmaschigere Kontrollen. Die Geflügelwirtschaft hielt Nabelschau.

Sie drohte jenen, die verstörende Bilder an die Öffentlichkeit spielten, zum einen mit Klagen. Zum anderen klopfte sie ihre hochindustrialisierte Hühnerhaltung nach Unzulänglichkeiten ab, um diese aus dem Schussfeld der Kritik zu bringen.

Was hat sich in der Branche seither verändert? Jener Landwirt, dessen Gabelstapler Hühner überfuhr, zog sich aus der Mast zur Gänze zurück. Er konnte neue Auflagen nicht erfüllen, die einen Stellvertreter für jeden Betriebsführer verlangen.

Rezepte gegen Turbozucht 

Ein Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Andere Urteile stehen bisher noch aus. Vom Tisch ist offenbar eine heikle Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Diese zielte auf Ross 308 ab. Die Hochleistungsrasse lässt ein Huhn viermal schneller wachsen als klassische Haushendln der 50er-Jahre. Kein Tier wurde vom Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte stärker verändert. Bewegungsapparat und Organe hielten mit der rasanten Gewichtszunahme jedoch nicht mit. Umgelegt auf Teenager, würden diese in Relation rund 200 Kilo wiegen.

Für Tierschützer ist Ross 308 ein Fall von Qualzucht. Diese ist in Österreich jedoch verboten. Hätte sich die Justiz diesem Urteil angeschlossen, hätte das Gros der Mäster quasi über Nacht die Betriebe auf neue Beine stellen müssen. Entsprechend stark flatterten ihre Nerven. Zumal auch abseits der umstrittenen Definition von Qualzucht seit den Skandalen viel in Bewegung geriet.

Ziel der Geflügelzüchter ist es, innerhalb von zwei Jahren bis zu zehn Prozent des Hühnerbestandes hierzulande auf langsamer wachsende Rassen umzustellen, sagt Branchenobmann Markus Lukas im Gespräch mit dem STANDARD. Damit dies jedoch nicht zur Eintagsfliege werde, brauche es Supermärkte an Bord – aber auch Gastronomen und vor allem die öffentliche Beschaffung.

"Importiertes Tierleid"

Billa, Hofer und Lidl stellen bzw. stellten Fleisch, das unter Tierwohlsiegeln verkauft wird, Lukas zufolge schrittweise auf Hühner um, die ihr Schlachtgewicht zehn Tage später als herkömmlich konventionell gehaltene Tiere erreichen. Ohne Solidarität der Gesellschaft sei die Umstellung aber nicht zu stemmen, und dazu gehöre auch die Bundesbeschaffung für Lebensmittel, betont er. Die Alternative dazu sei importiertes Tierleid.

Maximal 45 Tage lebt ein konventionelles Masthuhn. Etwa 56 werden langsamer wachsenden Rassen zugestanden, bis sie knapp zwei Kilo wiegen. Die Biomast währt 80 Tage.

Pro Quadratmeter sind in Österreich 30 Kilo Huhn zugelassen, um zwölf weniger als in der EU. 21 bis 25 Kilo sind es bei Biogeflügel, abhängig davon, ob es ständigen Auslauf in Wintergärten hat. Nicht mehr als elf Kilo auf einem Quadratmeter bräuchte es nach Berechnungen von Vier Pfoten sein, um Hendln vor negativen Auswirkungen zu bewahren.

Geht es nach der Tierschutzorganisation, gehörten vermehrt Hühner gezüchtet, die sich sowohl für die Mast als auch für das Eierlegen eignen.

Robustere Hühner

Im Visier ist Turbomast nicht nur in Österreich. In den Niederlanden wachsen bereits rund 70 Prozent der Hühner langsamer heran. Die Dänen wollen rasant wachsende Mastrassen über kurz oder lang gänzlich verbieten. Ähnliche Verfahren laufen in Großbritannien. Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa rät zu robusteren, gesünderen Masthuhnrassen.

Österreichs Geflügelwirtschaft sieht sich selbst dennoch als Vorreiter. Grund dafür sei geringere Besatzdichte, gentechnikfreies Futter und der stark gesunkene Einsatz von Antibiotika. Darüber hinaus reagierte man an einer weiteren Front auf Auswüchse der Massentierhaltung.

Seit Juli ist es in Ställen vorgeschrieben, Hühnern Strohballen und Picksteine zur Beschäftigung zu bieten. Pflicht sind nächtliche Dunkelphasen von zumindest sechs Stunden. Ab 2025 muss es in jedem Hühnerstall Tageslicht geben. Unabdingbar sind ab 2024 auch Notstromaggregate, um die Herde bei Stromausfall vor dem Tod zu bewahren.

Kranke Tiere dürfen künftig nur noch mit einer speziellen Zange getötet werden. Jeder Landwirt sei dazu von Tierärzten persönlich geschult worden.

Frage der Kontrolle

Schlachthöfe werden mittlerweile durchgängig mit Videokameras überwacht. Mehr Bewusstseinsbildung über den Umgang mit Tieren gebe es beim Personal, betont Lukas. Die AMA forciere unangemeldete Kontrollen und prüfe verstärkt auch nachts. Jeder sei um Verbesserung bemüht, zieht AMA-Marketing-Qualitätsmanager Martin Greßl Bilanz.

Gemäß Tierschutzkontrollverordnung sind jährlich freilich nur zwei Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe zu prüfen. Die Verantwortung dafür tragen die Länder.

Um Krisen in den Unternehmen vorzubeugen, soll ein Frühwarnsystem installiert werden. Basis dafür sind miteinander vernetzte Daten der AMA, Tierärzte und Schlachtbetriebe.

Österreich zählt 570 Mastbetriebe für Hühner. Landwirte, die davon leben wollen, stellen in der Regel rund 40.000 Tiere ein. Dafür braucht es zwei Arbeitskräfte. Der Bedarf an Hühnerfleisch ist allein in den vergangenen fünf Jahren um zehn Prozent gestiegen. Fettarm, einfach zuzubereiten und relativ günstig, ersetzt es in zahlreichen Haushalten Schweine- und Rindfleisch, das sich teils erheblich verteuerte.

Tierschützer wie Vier Pfoten sehen in den jüngsten Maßnahmen einen Schritt in die richtige Richtung. Dennoch sei es noch ein weiter Weg, bis die Grundbedürfnisse der Tiere gedeckt seien. Frische Luft, Auslauf, Wintergärten seien unverzichtbar. Nicht nur in der Mast, auch bei Themen rund um den Transport oder die Haltung der Muttertiere gebe es viel Luft nach oben.

In ähnliche Kerben schlägt der Verein gegen Tierfabriken, der die Missstände vor einem Jahr aufdeckte. Es gehe bei der Forderung nach langsamer wachsenden Rassen nicht um eine neue Nische für Tierwohl, sagt VGT-Kampagnenleiterin Denise Kubala, sondern um ein Mindestmaß an Lebensqualität für Hühner. (Verena Kainrath, 14.12.2023)