Julia Windischbauer liefert mit lässigem Kurzhaarschnitt als Brünhild ein fulminantes Hauptrollen-Debüt am Burgtheater ab. Die orangen Plastikbänder der Bühne werden derweil zum Ehebett, zu Drachenblut oder für den Showdown im Wald zum effektvollen Blutrinnsal.
Julia Windischbauer liefert mit lässigem Kurzhaarschnitt als Brünhild ein fulminantes Hauptrollen-Debüt am Burgtheater ab. Die orangen Plastikbänder der Bühne werden derweil zum Ehebett, zu Drachenblut oder für den Showdown im Wald zum effektvollen Blutrinnsal.
Marcella Ruiz Cruz

Der Wormser Hof ist ein gefährliches Pflaster. Nicht nur die Königsgattin Brünhild und deren Schwägerin Kriemhild stehen miteinander auf Kriegsfuß. Im Akademietheater hängen also folgerichtig unzählige warnfarbenorange Plastikbänder von der Decke. Vorsicht ist geboten!

Wer das mittelhochdeutsche Nibelungenlied kennt, weiß das ohnehin. Wer es nicht kannte, lernt jenes bei der Gelegenheit in einer Neudichtung von Ferdinand Schmalz kennen. Der hat für die große Bühne vor ein paar Jahren schon den Jedermann als Jedermann (stirbt) "reloaded" und noch antikapitalistischer zugespitzt. Der Nibelungensage verpasst er gute 800 Jahre nach ihrer ersten Niederschrift nun einen feministischen Dreh. Hildensaga lautet der auf die Endungen der beiden Namen der Frauenfiguren schielende Titel.

Unglückliche Vorgeschichte

Folgerichtig gehört nicht den Helden der erste Auftritt, sondern den Gattinnen. In trotziger Geste richtet Kriemhild (Katharina Lorenz) ihre Schleppe. Sie ist nur die Zweite bei Hofe und Brünhild (fulminant zum ersten Mal in einer Hauptrolle am Burgtheater: Julia Windischbauer) lässt sie das spüren. Kriemhild habe sich "unterm Wert verkaufen lassen, unter eignem Stand verschleudert", wirft sie ihr an den Kopf. Siegfried? Ein "Leibeigner" für eine Nacht, nicht für Heirat!

Man muss nun wissen, dass Kriemhilds Siegfried zuvor im Tarnanzug Brünhild in deren Brautbett bezwungen hat. Aber weiter noch geht die unglückliche Geschichte, die die beiden teilen, zurück. In den folgenden (mit Pause) zweidreiviertel Stunden wird sie im Rückblick an aufgerollt.

Brünhild (Julia Windischbauer) mit den Nornen in Island.
Brünhild (Julia Windischbauer) mit den Nornen in Island.
Marcella Ruiz Cruz

Auf also nach Island, wo wie ein Astronaut verpackt Siegfried (Nils Strunk) auf die unter Schaumschnee liegende Bühne (Stéphane Laimé) huscht. Er hat der Sage nach Riesen bezwungen und den Drachen getötet, ist in Jan Bosses Inszenierung im hautengen Glitzerkostüm und mit den blonden Locken (Kathrin Plath) aber tatsächlich ein halbes Hemd. Nervös bandelt er mit der über allem thronenden Isenkönigin an. Den sanften Tönen der eben vom Time Magazine zur Person des Jahres gekürten Taylor Swift entkommt man heuer nicht einmal in Island, wenn Bosse tief in die Pop- und Ulkkiste greift. Hatte Brünhild Gefallen am Siegfried vorauseilenden Ruf gefunden, ist sie vom vor ihr stehenden Held aber bald mächtig enttäuscht: Dass er vom Klimawandel nichts wissen will, ist das eine. Er kann aber auch mit Zurückweisung nicht umgehen.

Plappermäuler gegen "Papa"

Es ist ein hoch sympathisches Unterfangen, wie sich die Nornen (als Schicksalsgöttinnen: Zeynep Buyrac, Elisa Plüss, Nina Siewert) in ihren orangen Kleidern als Plappermäuler auf Seiten Brünhilds schlagen, wenn Göttervater Wotan (Oliver Nägele) als alter Zausel im dicken Pelz und mit ausgeprägtem Wunsch, Großvater zu werden, sich ins Liebesleben der Tochter mischen will. Bosse gibt Schmalz’ Text noch mehr Witz bei, als ohnehin drin steckt: Den Weg zu ihr muss er sich mit der Schneeschaufel erst einmal selber freischippen. "Och, Papa", schnaubt Brünhild ihn an, aber es hilft nichts, den nächsten, der sie freit und im Kampf bezwingt, muss sie zum Mann nehmen.

Es sind viele kleine derartige Ideen, die Schmalzens Neudichtung zur sehr heiteren Angelegenheit werden lassen. Die Wormser (Rainer Galke, Tim Werths, Gunther Eckes) rund um den als als Führungskraft schwachen und als Freier nur widerwillig nun antretenden König Gunther (Dietmar König) sind ein grölendes Grüppchen. Der eine spuckt, der andere rutscht drauf aus. Um den Jammerlappen-König in seinem burgunderroten, effeminierten Aufzug anzufeuern, bilden sie Grunzkreise.

Lächerliche Männer: König Gunthers Brüder Gernot und Giselher (Tim Werths, Gunther Eckes).
Lächerliche Männer: König Gunthers Brüder Gernot und Giselher (Tim Werths, Gunther Eckes).
BURGTHEATER/MARCELLA RUIZ CRUZ

Als "Königinnendrama" firmiert der Abend im Untertitel. Nachdem die Männer bis zur Pause alle als lächerlich entlarvt wurden, macht sich Schmalz aber erst so richtig an die Neudichtung. Wo Brünhild und Kriemhild in der Sage als Feindinnen verharren, lässt der 1985 geborene Steirer aus der Erkenntnis, dass sie beide Betrogene von Siegfrieds Aktionen mit der Tarnkappe (Stichwort Kampf um Brünhild, Stichwort Ehevollzug) sind, "Schwesternschaft" erwachsen. Der Mord an Siegfried folgt – doch unter anderen Vorzeichen.

Zu viel der Dümmlichkeit

Voriges Jahr hat die australische Regisseurin Adena Jacobs Euripides Troerinnen fürs Burgtheater feministisch-psychologisch neu arrangiert. Schmalz steht ein bisschen in dieser Idee. Mit dem feministischen Anliegen liegt auf der zweiten Hälfte aber mehr diskursive Last als am Beginn. So berechtigt etwa Kriemhilds Klage, dass die höfische Welt (sie sieht auf der Bühne nach Kerker aus!) danach trachte, die Frauen zum Schweigen zu bringen, weil "unsere Körper, unsere Worte, unser Denken" darin nur stören, sein mag – hier hat die Neudeutung allmählich mehr von einer gut gemeinten, aber papierenen Proklamation. Zugleich hat sich die Dümmlichkeit der Männer als Gag schon totgelaufen und wird der Abend doch noch etwas lang. (Michael Wurmitzer, 16.12.2023)