Demonstrierende gegen Russlands Invasion in der Ukraine
Hier eine Demonstration gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine. Es gibt viele Krisen, die Führungskräfte ansprechen vor der Belegschaft können.
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Kriege, Wirtschaftskrisen, Klimakatastrophen: Die Flut dieser Nachrichten schlägt auch in Unternehmen, in den Belegschaften auf. Am 7. Oktober 2023 verübte die Terrorgruppe Hamas einen Anschlag auf Israel, seitdem herrscht Krieg im Gazastreifen und Angst vor Ausweitung. Vom Krieg gegen die Ukraine kommen keine guten News. Im Vorjahr erschütterte ein heftiges Erdbeben die Türkei und Syrien, Bilder von Leid, Tod und Zerstörung dominieren die Nachrichtenkanäle.

Führungskräfte stellt dies vor eine tägliche Herausforderung: Äußere ich mich politisch oder humanitär vor der Belegschaft? Spreche ich die multiplen Krisen an? Sage ich direkt etwas zu meinen Kolleginnen und Kollegen, wenn ein konkretes Ereignis eintritt? Gibt man den Diskussionen überhaupt Raum oder kreiert und befeuert das nur unnötig Konflikte? Nicht immer ist die Entscheidung einfach, denn sie hängt davon ab, wie man als Managerin oder Manager wahrgenommen werden will – und wie sehr eine Krise oder ein Konflikt das Unternehmen überhaupt betrifft.

Hochrangige Chefs wie die von der amerikanischen Bank J.P. Morgan Chase & Co., Goldman Sachs, oder von den Techgrößen Google und Meta verurteilten etwa den Angriff der Hamas direkt öffentlich und sprachen auch klar von finanzieller, humanitärer Hilfe.

Einige Studien zeigen, dass junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch durch "chronische" Krisen wie den Klimawandel verunsichert sind. Es stellt sich also die Frage nach dem bewussten Umgang für Vorgesetzte. Wie spricht man auch laufende Krisen immer wieder richtig an?

DER STANDARD hat bei einigen Führungspersonen in Österreich, aus großen und kleinen Unternehmen nachgefragt, wie sie Krisen intern thematisieren und wie sie auch bei globalen Katastrophen auf ihre Mitarbeitenden zugehen und mit ihnen über diese sprechen. Für einige gibt es hauptsächlich den offiziellen Weg über firmeninterne Kanäle, andere sprechen immer wieder in lockerem Rahmen am Mittagstisch mit ihren Kolleginnen und Kollegen.

Ralf Schweighöfer, CEO DHL Express Austria

CEO DHL Express Österreich
Ralf Schweighöfer war nach dem Angriff der Hamas regelmäßig im Kontakt mit dem israelischen Country Manager
© Christian Fischer

Wenn irgendwo auf der Welt eine Krise ausbricht, ist immer jemand betroffen, der bei DHL Express arbeitet, sagt der CEO von DHL Express Austria, Ralf Schweighöfer. Denn das Unternehmen sei in 220 Ländern und Territorien aktiv. In Israel etwa hat die Firma 1000 Mitarbeitende und in der Ukraine rund 400. Bei Kriegen ist das erste, das geklärt wird, ob es allen Mitarbeitenden vor Ort gut geht und sie in Sicherheit sind, sagt Schweighöfer. "Wir haben eine neutrale Position, aber wir verurteilen grundsätzlich Kriege und Angriffe", betont Schweighöfer. Er sei regelmäßig in Kontakt mit dem israelischen Country Manager, welcher immer wieder Updates über die Lage vor Ort gibt.

Genauso sei es mit dem ukrainischen und dem russischen Geschäftsführer vor Ort. Bei den meisten Katastrophen oder Krisenereignissen kommuniziere er in offiziellen Calls mit anderen Managern des Unternehmens um sich auf dem Laufenden zu halten. Drei Tage nach dem Angriff der Hamas gabes etwa einen europaweiten Call, in dem der israelische Geschäftsführer zehn Minuten lang Einblick in die Lage vor Ort gab. Nach dem starken Erdbeben in der Türkei und Syrien 2023 wurde eine detaillierte Nachricht intern verschickt, in der die Lage für die Mitarbeitenden eingedordnet wurde und erklärt wurde, wie sie spenden oder helfen können.

Es sei Schweighöfer vor allem wichtig, ausgewogen auf eine Gesamtsituation zu schauen, nicht zu bewerten und für seine Mitarbeitenden politisch einzuordnen. Viel wichtiger sei, soziale und ökologische Verantwortung an die Mitarbeitenden heranzutragen. "Ich bin in der ersten Generation ohne Krieg groß geworden. Das, was ich immer für selbstverständlich gehalten habe, ist im Moment stark in Gefahr. Es gibt Tendenzen, liberale Demokratien ziemlich einzuschränken." Als eine Art Bildungsauftrag zum Thema organisiert er nun einmal im Quartal eine Besichtigung des Parlaments.

Manuel Zeller, CEO neoh

Manuel Zeller ist CEO vom Start-up neoh
Manuel Zeller bespricht brennende Themen auch am Mittagstisch mit seinen Mitarbeitenden
DER STANDARD / Raidl

Nach dem Überfall der Hamas auf ­Israel im Oktober 2023 sei die Bestürzung groß gewesen, die Sachlage gleich beim gemeinsamen Mittagessen am Teamtag am Dienstag darauf besprochen worden. Geschäftsführer des Lebensmittel-Start-ups Neoh, Manuel Zeller, sah es als seine Aufgabe, Ruhe zu bewahren, zu recherchieren und sich ein Bild von der Situation zu machen, sagt er. "Das ist alles nicht so einfach, man muss erst nachprüfen, was man alles liest, und die Meinung muss sich bilden." Er achte darauf, wie seine Mitarbeitenden mit der Krise Nahost umgehen, ob es Tendenzen oder vorgefertigte Meinungen in den Diskussionen gibt. "Es ist dann meine Aufgabe etwas Ruhe reinzubringen und den Leuten zuzuhören, es gibt ja auch klarer Weise viele Sorgen."

Der Konflikt werde sich so schnell nicht lösen, ist er überzeugt. Darum achte er in seinem Team darauf, dass Personen mit völlig unterschiedlichen Ansichten die jeweils andere akzeptieren, auch wenn sie sie nicht verstehen. Für ihn war es das wichtigste, erst einmal das menschliche Leid anzusprechen, erst später habe er mögliche wirtschaftliche Folgen thematisiert. "Ich sehe es als meine Aufgabe als Gesamtverantwortlicher meiner Firma, die möglichen zukünftigen Szenarien zu formulieren."

Schon der Angriffskrieg gegen die Ukraine sei bereits ein Schock gewesen. "Ich weiß noch genau, wie es mir ging, ich war zu Hause, hab es in den Nachrichten gesehen." An dem Sonntag darauf habe er allen Mitarbeitenden eine SMS geschrieben, um die Situation für alle aus seiner Sicht einzuordnen – und sie eingeladen bei der Spendenaktion eines Ukrainers eines Subunternehmens in den USA teilzunehmen. "Man kann das beste Start-up sein und das beste Produkt haben, wenn ein Krieg um die Ecke kommt, ist man machtlos." Er lasse vor allem die Hände von Timings und Prognosen gegenüber Mitarbeitenden, denn es könne immer alles ganz anders kommen als geplant.

Patricia Neumann, CEO Siemens Österreich

CEO Siemens Österreich Patricia Neumann
Patricia Neumann verfolgt regelmäßig die Berichterstattung über Krisen.
Siemens AG

Zum Krisenmanagement bei Siemens gehört dazu, abgestimmt, direkt und schnell zu kommunizieren. So erklärt es die Chefin von Siemens Österreich, Patricia Neumann. Wenn es einen Konflikt wie in Israel und Gaza gibt, wird über offizielle Kanäle mit den Stellen im betroffenen Land Kontakt aufgenommen und über die Lage vor Ort berichtet.

Zusätzlich biete ihr Unternehmen aber auch für alle Mitarbeitenden Tools, über die sie vom Topmanagement informiert werden, wie etwa ein firmeninternes soziales Netzwerk, das Intranet und sonst werden auch direkt adressierte E-Mails verschickt. Persönlich verfolgt Neumann laufend die Berichterstattung und tauscht sich mit betroffenen Kolleginnen und Kollegen in Krisengebieten aus. "Die persönlichen Schilderungen lassen niemanden unberührt", sagt die CEO, "umso mehr halte ich es für wichtig, ab und zu innezuhalten und sich bewusst zu werden, dass es auch heute noch nicht selbstverständlich ist, in Frieden zu leben."

Neben offiziellen teaminternen Besprechungen können die Mitarbeitenden auch von der Firma zur Verfügung gestellte Ärzte oder Psychologen kostenlos in Anspruch nehmen, sagt Neumann. Ein weltweit agierendes Unternehmen müsste jedenfalls auch eine breite Vielfalt an Meinungen und Kulturen akzeptieren. "Uns es ist wichtig die Würde, Kultur und Meinungsfreiheit jedes Einzelnen zu respektieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich auch alle wohl und sicher fühlen. Das ist nicht immer einfach."

Theresa Imre, CEO von markta

Theresa Imres Start-up markta
Theresa Imre betreibt Supermärkte für regionale Lebensmittel in Wien und spricht vor allem über die Klimakrise regelmäßig mit ihren Angestellten.
DER STANDARD / Raidl

Je nach Thema wählt Gründerin und Geschäftsführerin von markta, Theresa Imre, auch das Kommunikationsmittel. Denn von der Klimakrise bis hinzu der Inflation und den Kriegen sei man im Handel immer nah an Geschehnissen dran. Geht es etwa um organisatorische Änderungen, dann schickt sie schriftliche Anmerkungen aus, damit wirklich alle auf dem selben Stand sind.

Ist es ein größeres, komplizierteres Thema, dann wähle sie ein Meetingformat. "Ich erkläre dabei genau, um was es geht und die Mitarbeitenden haben dann eine Woche Zeit um sich zu überlegen, wie sie sich einbringen oder was sie davon halten", sagt Imre. In einem Slack-Kanal teilen sie und ihre Mitarbeitenden Hintergrundinfos zu verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Das sind entweder Dokus, Zeitungsartikel oder Grafiken.

"Wir sind ja mit unserem Betrieb sehr nah am Thema Klimawandel, Versorgungssicherheit oder Fairnessbedingungen." Als der Ukrainekrieg losging hätten viele in der Firma versucht, über das interne Netzwerk privat Wohnungen für ankommende Familien zu organisieren.

Beim Krieg in Nahost wurde nach dem Beginn natürlich sehr viel bei diskutiert, sagt Imre, auch wenn er weiter weg sei. "Wir essen zu Mittag immer zusammen und immer wieder schwingen die Kriege auch in Gesprächen mit." Sie halte sehr stark an einem Konzept der offenen Kommunikation fest und würde versuchen, Dinge sehr klar beim Namen zu benennen.

"Ich merke, dass uns das in der Firma sehr gut tut und dazu führt, dass es etwas weniger Verunsicherung gibt." Die Krisen würden ja alle in der Gesellschaft spüren, deswegen halte sie mehr davon, Menschen beim Diskurs einzubinden als einfach nur eine Botschaft auszuschicken, die keiner hinterfragen kann. "Bei mir gilt die Prämisse 'Klarheit vor Härte'", betont Imre.

Lukas Enzersdorfer-Konrad, Geschäftsführer Bitpanda

Portrait Lukas Enzersdorfer-Konrad
Lukas Enzersdorfer-Konrad ist Geschäftsführer des Finanztechnologieunternehmens Bitpanda.
Natascha Ickert

Bitpanda ist ein Finanztechnologie-Start-Up, das 2014 in Wien gegründet wurde. Mittlerweile hat die Firma weltweite Standorte. Krisen und andere Ereignisse betreffen deshalb dieses Unternehmen und ihre Mitarbeitenden immer wieder.

Erst jüngst ging beispielsweise einem Bitpanda-Mitarbeiter der Angriff der Hamas auf das Musikfestival in Israel sehr nah, erzählt der Geschäftsführer Lukas Enzersdorfer-Konrad: "Als der Anschlag verübt wurde, war der beste Freund eines Mitarbeiters auf jenem Festival und war nicht erreichbar. Es war unklar, ob oder was mit ihm geschehen war. Das hat unseren Mitarbeiter verständlicherweise sehr mitgenommen." Er bot ihm daraufhin dem Mitarbeiter an, sich zwei Wochen frei zunehmen. Er schlug das Angebot jedoch ab und wollte sich lieber zur Ablenkung in Arbeit stürzten. "Wir gaben ihm daraufhin mit seinem Einverständnis ein neues Projekt." Auch könne grundsätzlich jederzeit professionelle psychologische Unterstützung in Anspruch genommen werden, ergänzt Enzersdorfer-Konrad.

Auch der Ukrainekrieg hat Auswirkungen auf das Unternehmen. "Wir halten uns an die Sanktionen gegen Russland und haben deshalb unsere Aktivitäten in Russland eingestellt. Den russischen Mitarbeitenden haben wir daraufhin andere Aufgaben angeboten." Ein Bitpanda-Mitarbeiter lebte und arbeitete in jener Region in der Ukraine, in der der Krieg ausbrach. Für diese Person und deren Familie organisierte die Firma die Ausreise nach Österreich.

Zur Frage, ob es einen internen Austausch über Politik und aktuelle Krisen mit dem Team gibt, sagt der Geschäftsführer: "Grundsätzlich verstehen wir uns bei Bitpanda nicht als politischen Ort." In regelmäßig stattfindenden firmenübergreifenden Versammlungen, sogenannten Townhall Meetings, werden aber immer wieder aktuelle Themen angesprochen und diskutiert, berichtet er. Geopolitische Ereignisse, die Auswirkungen auf den Finanzmarkt und damit unmittelbar auf die Geschäftsaktivitäten der Firma haben, werden ebenfalls konstant beobachtet und eingeschätzt.

Elisabeth Dal-Bianco, Communications Operations Manager bei Ikea

Managerin bei Ikea
Elisabeth Dal-Bianco hält den offenen Zugang bei der Klimakrise für sinnvoll.
Niklas Stadler

Der Überfall der Hamas auf Israel veranlasste das Top-Management bei Ikea zu einem gemeinsamen, globalen Statement für alle Mitarbeitenden zu der Lage. Allerdings, sagt Elisabeth Dal-Bianco, Kommunikationsmanagerin bei Ikea, werde intern immer antipolitisch kommuniziert.

"Wir versuchen uns nicht in politische Diskurse einzumischen, sondern das ganze Jahr so zu kommunizieren, dass wir für alle da sind, welche egal welche Religion, welches Geschlecht, welche Sexualität oder welche Glaubensrichtungen Personen mitbringen", sagt Dal-Bianco. Laufend wird vor allem über die Klimakrise gesprochen und da würden Führungskräfte wie sie einen offenen Zugang wählen. Für den nächsten Nachhaltigkeitsbericht etwa wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, in der sich jeder proaktiv mit Feedback und Ansichten einbringen könne.

Matthias Höbarth, Geschäftsführer Norstat Österreich

Manager Norstat Österreich
Matthias Höbarth suchte aktiv das Gespräch nach dem 7. Oktober 2023.
Norstat

Vor allem mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine gab es einen Appell an alle Mitarbeitenden, sagt Matthias Höbarth, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Norstat Österreich.

Denn länderübergreifend würden auch viele Ukrainerinnen und Russen für Nortstat arbeiten. Es hieß, man solle nicht diskriminieren und individuelle Verantwortungen zuschreiben. Als Vater und Bruder einer Mitarbeiterin an die Front mussten, suchte Höbarth "aktiv das Gespräch." Er wollte ein Gefühl dafür bekommen, ob die Person überhaupt sprechen wollte oder nicht. "Durch mehr Präsenztage, versuche ich auch mehr im Blick zu behalten, wie es Einzelnen bei uns geht." (Natascha Ickert, Melanie Raidl, 22.1.2024)