Stefanie Sargnagel findet sich in Iowa so gut zurecht wie in der Lugner City.
Stefanie Sargnagel, "Iowa"
Stefanie Sargnagel findet sich in Iowa so gut zurecht wie in der Lugner City.“
Rowohlt

Sollte sich schon mal jemand gefragt haben, ob Stefanie Sargnagel nicht nur Wien kann, sondern auch zum Beispiel Amerika? Dann darf man nach der Lektüre von Iowa sagen: Und wie! Im Frühjahr 2022 verbrachte die den Callcentern und Beisln schon lange entwachsene Beobachtungspoetin mehrere Wochen im Collegestädtchen Grinnell. Ihre Aufzeichnungen jener Zeit sind nun erschienen. Dorthin wurde sie eingeladen, um Studierende im Schreiben zu unterrichten, das nimmt aber den wenigsten Raum des Buches ein.

Gewiss funktioniert die Kombination Sargnagel und Iowa auch so gut, weil dieser Bundesstaat so prototypisch und kurios amerikanisch sein kann, wie Wien rund um die Lugner City seinerseits markant ist.

Denn Iowa, das ist der ländlichste Bundesstaat der USA, deren Kornkammer, Zentrum der Mastschweinzucht. Man pflegt einen entsprechend hemdsärmeligen Kulturbegriff (der "größte Truckstop der Welt ist in Iowa"), und es wimmelt nur so vor sektenartigen Glaubensgemeinschaften mit Mitgliedern deutscher Abstammung. Ein Swing State ist Iowa, wo im Jänner wieder einmal die ersten Vorwahlen für den nächsten US-Präsidenten anstehen, noch dazu. Das Essen ist bis auf Burger für die Europäerinnen scheußlich.

Wokeness um 70.000 Dollar

Grinnell selbst hat keine 10.000 Einwohner und ist sehr weiß. Die Uni ist diverser und liberal – wiewohl nicht links, zeigt sich die Studentenschaft aber doch natürlich von woken Tendenzen durchzogen. Damit hadern die Professoren ("Entschuldigungszwang") sowie Sargnagel etwas – die es wie vieles trocken weise kommentiert: "Wenn ich 70.000 Dollar pro Semester zahle, möchte ich halt auch, dass auf meine Gefühle Rücksicht genommen wird."

Unterwegs war Sargnagel mit der Musikerin Christiane Rösinger, was ein doppeltes Glück ist. Erstens ist es der Berliner Sängerin zu verdanken, dass die originelle Wienerin trotz erst überschaubarer Reiselust ("je älter ich werde, desto mehr versuche ich mich vor neuen Erfahrungen zu schützen") und ohne Führerschein in der in puncto öffentlicher Verkehr toten Gegend doch ganz ordentlich herumkommt:

Babydecken in Tarnmustern

Man besucht Walmart, die Amish und einen Outdoor- und Waffenladen (Babydecken in Tarnmustern), sie stolpern durch ein Kasino (das All-you-can-eat-Seafood-Buffet hat leider geschlossen), und die Autorin ist überraschend verzaubert vom Tulpenfest niederländischer Auswanderer. Die Absturzkneipe Rabbitt’s (ein Gast hat tagsüber einen Stromschlag bekommen), ein Kuchenwettbewerb und die Maharishi Vedic City (Achtung!) runden das Lokalerlebnis ab. Am Ende fungiert Sargnagels Mutter als Begleitung.

Zweitens ist Iowa so ein sehr lustiger Reisebericht wie auch eine Liebeserklärung an Rösinger. Beide Freundinnen sind schon gemeinsam getourt, und außerdem hat Sargnagel in den 1990ern Songs der Lassie Singers aus dem Radio auf Kassette aufgenommen. Rösinger ist für Sargnagel die beste Songwriterin Deutschlands, und wäre sie ein Mann, ist sie sich sicher, hätte Rösinger längst eine TV-Show, würde mehr gewürdigt und müsste "sich mit sechzig keine Sorgen um Altersarmut machen". Rösingers paarbeziehungskritische feministische Lieder erobern auch die Studierenden flugs!

Vibrator und Kateressen

Da liegt der zweite Glutkern: Iowa ist ein Buch übers Frausein. Immer wieder geht es – vor dem Hintergrund amerikanischer Körperformen – ums eigene Gewicht. Sie war "bulimisch, und die Umwelt feuerte mich dabei an", erinnert Sargnagel sich an früher. Sie bekennt sich zu "voluminöser Schamhaarpracht" und erwähnt den Vibrator am Bett neben der Kateressen-Pizza. "Ich trinke immer dann wenig, sobald ich einen festen Freund habe", stellt die Autorin über den Zusammenhang von Alkohol, Einsamkeit und Depressionen fest. Dass sie in ihren Zwanzigern eine Abtreibung hatte, bereut sie nicht, denkt sich jetzt mit Mitte 30 aber oft, dass sie zwar gerne Kinder hätte – dafür aber lieber noch zehn Jahre Zeit.

Rösinger, die Kinder und Enkel hat, darf in Fußnoten den Text kommentieren und hält Sargnagels Einschätzungen zuweilen entgegen, was ein nettes Pingpong ergibt. Während Sargnagel tindert ("Er hat blitzblaue Augen und kniet von oben bis unten in Camouflage gekleidet auf einem erlegten Hirsch"), findet Rösinger "das letzte bisschen Sexualität, das kann man auch selber machen". Die 300 Seiten kommentieren klug, neben Trash-Entdeckungen nimmt einen ihre offen-nachdenkliche Art unmittelbar ein. (Michael Wurmitzer, 19.12.2023)