Russell Brand
Der britische Schauspieler Russell Brand wurde bereits 2021 aufgrund der Verbreitung von medizinischen Unwahrheiten und Fehlinformationen auf Youtube gesperrt.
AFP/JUSTIN TALLIS

Es wirkt schon ein wenig wie die Schlüsselszene in George Orwells "Animal Farm": Alle Tiktok-User sind gleich, aber manche sind gleicher als andere. So schreibt der britische "Guardian" mit Bezug auf interne Mails und Gespräche mit Tiktok-Mitarbeitern, dass die Moderatoren des Unternehmens bei der Evaluierung bestimmter Personen nachsichtiger sein sollen. Die App hat mehr als eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer, die Moderatoren müssen teils tausende Postings pro Tag sichten.

Auf der entsprechenden Liste findet sich unter anderem der britische Schauspieler Russell Brand: Ihm werden aktuell Vergewaltigung sowie emotionale und sexuelle Misshandlungen vorgeworfen, zuletzt hatte Youtube die Zahlungen an Brand storniert. Eine gewisse Fanbasis hat sich Brand auch durch das Verbreiten von Verschwörungstheorien aufgebaut. Aus diesem Grund – konkret wegen des Verbreitens von medizinischen Fehlinformationen – war er bereits 2021 auf Youtube gesperrt worden, später wurde er wieder entsperrt.

Tiktok streitet die Vorwürfe ab. Inkonsequent dürfte man aber auch bei dem Umgang mit dem misogynen Influencer Andrew Tate und anderen heiklen Persönlichkeiten sein, wie eine Untersuchung des Mediums zeigt.

"Super Account Super Account"

Dem Medienbericht zufolge wurde innerhalb des Unternehmens hinter der viralen Video-App ein Hierarchiesystem etabliert, bei dem bestimmte Personen und Gruppen mit Markierungen versehen wurden. Diese Markierungen sollen Namen wie "Super Account", "Super Account Super Account", Top PCG" und "Top Creator" enthalten.

Dem Bericht zufolge soll unter anderem Russell Brands Account als "Super Account Super Account" geführt werden, diverse Influencer und der TV-Moderator Michael Barrymore werden als "Super Account" geführt. Keine derartigen Tags hat etwa der Account der BBC oder jener des englischen Fußballnationalteams. Der Begriff "Top Creator" soll als eine Metabezeichnung für die anderen Tags fungieren, teilweise aber auch zum Markieren bestimmter Accounts dienen. Schon ein Jahr zuvor hatte das Wirtschaftsmagazin "Forbes" berichtet, dass bei Tiktok die Regeln für Top-Influencer äußerst flexibel gehandhabt werden.

In Opus, dem offiziellen internen Portal mit Richtlinien für die Moderation, sollen die besagten Begriffe nicht vorkommen, allerdings sollen sie in internen Chats verwendet werden. In einer Nachricht an 70 Personen soll es geheißen haben, dass man bei den besagten Personen "nachsichtiger" gegenüber "Grenzfällen" sein solle. "Niemand weiß, was ein 'Super Account' ist, aber uns wurde gesagt, dass wir besonders vorsichtig sein sollen", wird ein anonymer Tiktok-Mitarbeiter zitiert.

Generell dürfte dem Artikel zufolge Unsicherheit im Moderationsteam herrschen, was die einzelnen Begriffe bedeuten und wie mit den entsprechenden Accounts vorgegangen werden soll – auch weil die Anweisungen in den Chats wiederum den offiziellen Richtlinien widersprechen. "Wie kann man etwas tun, das nicht korrekt definiert ist?", wird ein anonymer Mitarbeiter zitiert.

Tiktok bestreitet Vorwürfe

Die offizielle Kommunikation seitens von Tiktok lautet nämlich, dass eine solche Vorgabe nicht existiere und dass es keine Anweisung gebe, bei bestimmten Accounts weniger stringent vorzugehen. Stattdessen gebe es klare Regeln, die für alle Nutzerinnen und Nutzer der App gelten. Das Unternehmen insistiert, dass die besagten Begriffe nicht vom "Trust and Safety"-Team verwendet werden.

Auch heißt es vom Unternehmen gegenüber dem Medium, dass man den Begriff "Grenzfall" nicht kenne. Nach dem Verständnis des "Guardian" handelt es sich dabei um Videos, die möglicherweise die Richtlinien von Tiktok verletzen könnten. Der Begriff soll auch in Rock, Tiktoks offizieller Software für inhaltliche Beschwerden, vorkommen.

Die Tiktok-Moderatoren weisen außerdem auf ein Tool namens Lighthouse hin, in welchem Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer gespeichert werden. Das Tool soll über eine interne Website abgerufen werden können, die vom Tiktok-Eigentümer Bytedance betrieben wird. Die Nutzerinformationen sollen unter anderem das aktuell verwendete Smartphonemodell enthalten. Moderatorinnen und Moderatoren brauchen zusätzliche Berechtigungen, um auf weitere Informationen zuzugreifen. Die Software per se soll aber Zugriff auf die Geräte-ID haben, wodurch unter anderem verhindert werden soll, dass sich ein geblockter Nutzer von dem gleichen Gerät mit einem neuen Account anmeldet.

Die Causa Andrew Tate

Zu diesen geblockten Nutzern zählt der misogyne Influencer Andrew Tate, der auf einer internen Liste mit der Bezeichnung "Verbreitung einer hasserfüllten Ideologie" versehen ist. Ebenso ist Tates "Hustler's University" als eine mit ihm verbundene Organisation auf der Liste der geblockten Accounts zu finden. Tates "Real World University", die Kurse und Mentoring dazu anbietet, "wie man Geld online verdient", ist jedoch weiterhin auffindbar und wird dort auch beworben.

Den internen Dokumenten zufolge soll die "Real World University" nicht mit der Markierung "Verbreitung einer hasserfüllten Ideologie" versehen werden, solange Tate selbst dort nicht persönlich in Erscheinung tritt. Ähnlich verhält es sich mit Tommy Robinson, dem ehemaligen Leiter der rechtsextremen English Defence League: Sein eigener Account wurde gesperrt, jedoch kommt er nach wie vor in zahlreichen Videos anderer Accounts vor. (red, 19.12.2023)