Die russische 2S35 Koalitsiya-SV Panzerhaubitze war bislang nur auf Militärparaden zu sehen. Nun soll die Waffe erstmals in der Ukraine erprobt werden.
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Der Kreml hat erneut eine Superwaffe angekündigt, mit der man den Ukrainekrieg zu den eigenen Gunsten drehen will. Nachdem sich der Wunderpanzer T-14 Armata eher als Propagandavehikel herausgestellt hat, versucht man es nun mit einem Fahrzeug, das eigentlich auf dem Kampfpanzer aufbauen soll. Diesmal ist es angeblich eine Panzerhaubitze, die mit teilautonomen Systemen und Hightech-Munition den Sieg bringen soll. Doch wie immer gibt es an der russischen Darstellung über die Leistungsfähigkeit erhebliche Zweifel.

Doch zuerst zu den Fakten: Die vom russischen Staat kontrollierte Nachrichtenagentur Tass vermeldete, dass eine neue Waffe in der Zone der "militärischen Spezialoperation", wie der Ukrainekrieg im offiziellen Sprachgebrauch Russlands heißt, eingesetzt werden soll. Dabei handelt es sich um die 2S35 Koalitsiya-SV (Koalition). Das SV steht für Suchoputnije wojska, also die Bodentruppen der russischen Armee. Obwohl sie wie ein Kampfpanzer aussieht, handelt es sich bei der Koalitsiya um eine Panzerhaubitze, oder einfacher: ein Artilleriegeschütz auf einer Panzerwanne.

Der Unterschied zum Kampfpanzer besteht in der Art des Einsatzes: Während Kampfpanzer als Durchbruchswaffe gemacht sind, stellen Panzerhaubitzen deren Unterstützung dar, indem sie aus sicheren Positionen heraus die eigenen Truppen in der ersten Reihe mit indirektem Beschuss unterstützen. Neu ist das nicht, und derartige Waffensysteme werden auf aller Welt eingesetzt. In Österreich erfüllt die M109 A5Ö genau diesen Zweck.

Die Propagandawaffe

Doch die russische Propaganda macht aus der Koalitsiya wie schon beim T-14 eine Hightech-Superwaffe, die fernsteuerbar ist und dank KI-Systemen über teilautonome Fähigkeiten verfügt. Auf dem Papier klingt die neue Panzerhaubitze auch beeindruckend: Sie verfügt über die die neueste 152-Millimeter-Kanone 2A88, die zehn Schuss pro Minute abgeben können soll. Die hohe Feuerrate des russischen Waffensystems wird durch ein pneumatisches Nachladesystem erreicht.

Die Reichweite der Standard-Geschosse beträgt rund 40 Kilometer. Beim Einsatz von Lenkmunition soll sich die Schussweite sogar auf 70 Kilometer erhöhen, was ähnlichen westlichen Systemen überlegen wäre. So schafft es die XM1113-Munition einer M109 mit einem Hilfsraketenantrieb auf rund 60 Kilometer, eine modifizierte M982 Excalibur zwar auch auf 70 Kilometer, aber nur in Tests.

KI-Fähigkeiten

Das ist aber längst noch nicht alles, was die russische Armee ankündigt: So soll die 2S35 keine klassische Panzerhaubitze sein, sondern über teilautonome KI-Fähigkeiten verfügen, heißt es in der Ankündigung. So soll die Zielerfassung, deren Auswahl sowie die Navigation des Kampffahrzeugs automatisiert erfolgen. Damit soll die Koalitsiya insbesondere in der Lage sein, ukrainische Artilleriestellungen, Mörserbatterien oder Raketenabwehrsysteme anzugreifen.

Der Kampfraum in der Fahrzeugwanne der 2S35 ist mit digitalen Anzeigen ausgestattet und soll ein volldigitales Kommandosystem sein. Das Fahrzeug soll noch dazu in der Lage sein, während der Fahrt zu feuern – etwas, das die russische Artillerie bislang nicht konnte. Der Turm wird der von der dreiköpfigen Crew von der Wanne aus gesteuert. Laut russischen Angaben kann das autonome System des Bordcomputers selbst den geeigneten Munitionstyp laden. Aber nicht nur das: Die KI soll sogar die exakte Menge der benötigten Treibladung berechnen und laden können.

Zweifel an den Angaben

Zweifel an der offiziellen Darstellung und der Leistungsfähigkeit der 2S35 gibt es im Westen dennoch. So musste selbst die Tass einräumen, dass es keine unabhängige Bestätigung für die Herstellerangaben des staatlichen Rüstungskonglomerats Rostec gibt. Zweitens sollte die 2S35 eigentlich auf dem Chassis des T-14 Armata basieren, die bisher gezeigten Systeme fuhren aber alle auf Wannen des T-90, der wiederum dem T-72 sehr ähnlich ist. Diese Wanne gilt vor allem als eines: eng. Wie in dieser Umgebung eine dreiköpfige Mannschaft mit all der Elektronik Platz finden soll, ist unklar.

Es wäre nicht das erste Downgrade des Waffensystems. Ursprünglich sollte die Panzerhaubitze noch mit einer Doppelkanone ausgestattet sein. Dieses Design wurde aber aus bislang unbekannten Gründen im Jahr 2006 wieder verworfen. Damals hieß es, durch neue Technologien könne man mit einer Kanone die gleiche Feuerrate erreichen wie mit zwei. Was genau damit gemeint war, ließ Rostec allerdings offen. Ursprünglich sollte die Kanone 16 Schuss pro Minute abgeben können, in der finalen Version sind es nur noch zehn, und auch die Schussreichweite wurde von 80 auf 70 Kilometer reduziert.

Tatsachen, auf die man beim ukrainischen "Defense Express" gern hinweist. Man könne zusammenfassend sagen, dass die russische Rüstungsindustrie es nicht zustande gebracht habe, die Hauptmerkmale der 2S35 Koalitsiya-SV in die Realität umzusetzen, heißt es da. Nachsatz: "Das erklärt ganz gut, warum sie so lange nicht in Dienst gestellt wurde."

Gleiches Schicksal wir der T-14

Das alles erinnert verdächtig an den angeblichen Superpanzer T-14, auf dem die 2S35 ja basieren soll, es aber in der Realität nicht tut. Der T-14 Armata soll sich ebenfalls bereits in der Ukraine im Einsatz befunden haben. Später wurde dieser angeblich zur Evaluierung wieder zurückgezogen, nachdem sich das angeblich teilautonome Gefährt auf dem Schlachtfeld bewährt hatte, wie die russische Tass berichtete. Jedoch wurde kein einziger T-14 tatsächlich an der Front gesehen. Später wurde noch dazu bekannt, dass die eingesetzten T-14 in einem sehr schlechten Zustand gewesen sein sollen, wie britische Geheimdienste berichteten.

So schlecht, dass selbst die eigene Truppe sich weigerte, mit dem Superpanzer in die Schlacht zu ziehen. "Wenn Russland den T-14 einsetzten sollte, wird das vorrangig für Propagandazwecke sein. Die Produktion liegt wahrscheinlich nur bei einer niedrigen zweistelligen Zahl, und Kommandeure dürften dem Fahrzeug auf dem Schlachtfeld nicht trauen", hieß es zu Beginn des Jahres, seitdem war vom T-14 nichts mehr zu sehen. Laut britischen Geheimdienstinformationen ist es unwahrscheinlich, dass Russland mehr als eine Handvoll dieser Fahrzeuge besitzt. (Peter Zellinger, 21.12.2023)