In Wien steckt ein Stück Niederösterreich: Der ehemalige Sitz der Landesregierung im ersten Bezirk ist heute so etwas wie eine Enklave, erklärt Johanna Mikl-Leitner. Zum Interview lädt sie in ihr Büro im Palais Niederösterreich.

STANDARD: Sie haben Umweltministerin Leonore Gewessler für ihre Ankündigung kritisiert, die Pendlerpauschale ökologischer zu machen. Was haben Sie gegen eine Ökologisierung?

Mikl-Leitner: Es gibt diesbezüglich noch keinen Vorschlag, und solange es diesen nicht gibt, bin ich ganz klar gegen eine Abschaffung der bestehenden Pendlerpauschale.

STANDARD: Aber niemand hat die Abschaffung gefordert.

Mikl-Leitner: Bei den Menschen ist das schon so angekommen. Wir haben schon einige Zuschriften bekommen. Daher braucht es auch klare Aussagen.

Johanna Mikl-Leitner im Rahmen eines Interviews.
Die absolute Mehrheit hat Johanna Mikl-Leitner im Jänner verloren. Regierungschefin in Niederösterreich bleibt sie dank einer Koalition mit der FPÖ.
Heribert Corn

STANDARD: Die zuständige Fachaufsicht im Justizministerium hat gegen die Untersuchungshaft für die Klimaaktivistin Anja Windl entschieden. Sie haben das öffentlich kritisiert. Warum reden Sie der unabhängigen Gerichtsbarkeit rein?

Mikl-Leitner: Warum redet das Ministerium der unabhängigen Staatsanwaltschaft drein, die dagegen Beschwerde einlegen wollte? Seit den ersten Aktionen der Klimachaoten habe ich mich für schärfere Strafen ausgesprochen. Wir haben ein gemeinsames Ziel, nämlich dem Klimawandel entgegenzutreten. Aber dafür braucht es Akzeptanz – und mit diesen Aktionen erreicht man das Gegenteil davon.

STANDARD: Aber die Justiz hat auf Basis der geltenden Gesetze zu entscheiden. Warum überlassen Sie das nicht der zuständigen Institution?

Mikl-Leitner: Ich bin bekannt dafür, dass ich mich zu Wort melde, wenn etwas falsch läuft. Und hier läuft etwas falsch: Die Klimakleber werden mit Samthandschuhen angegriffen.

STANDARD: Das gelindere Mittel anzuwenden ist ein wichtiger juristischer Grundsatz. Und eine U-Haft ist keine Strafhaft.

Mikl-Leitner: Stimmt. Die Justizministerin wäre aber auch generell gefordert, meinen Vorschlag für schärfere Strafen konkret anzuschauen.

Johanna Mikl-Leitner im Rahmen eines Interviews.
Klimakleber werden laut Mikl-Leitner mit Samthandschuhen angegriffen.
Heribert Corn

STANDARD: Selbst wenn das heute beschlossen würde, könnte man die Aktivistin nicht nach diesem neuen Gesetz bestrafen.

Mikl-Leitner: Das ist auch richtig. Aber schauen Sie, ich will hier jetzt keine juristische Diskussion führen. Fakt ist, dass die Klimakleber immer radikaler werden.

STANDARD: Die Vorarlberger ÖVP hat einen Kodex für Asylwerberinnen und Asylwerber vorgestellt. Unter anderem sollen sie zu gemeinnütziger Ar­beit verpflichtet werden. Ist das auch ein Modell für Niederösterreich?

Mikl-Leitner: Wir werden uns das genauer anschauen. Gemeinnützige Arbeit kann ich mir immer vorstellen. Wichtig ist aber, dass die gemeinnützige Arbeit nicht dazu führt, dass es dann heißt, okay, jetzt bin ich integriert, und man diese Menschen dann trotz negativen Bescheids nicht mehr abschieben kann. Das kann es nicht sein.

STANDARD: Sie haben von der mus­limischen Gemeinschaft eine Distanzierung von Antisemitismus gefordert. Warum fordern Sie das medienöffentlich nicht von allen Menschen ein?

Mikl-Leitner: Ich habe x-fach medienöffentlich betont, dass wir gegen jede Art von Antisemitismus vorgehen müssen, egal ob er links, rechts oder islamisch geprägt ist.

STANDARD: In Ihrer Presseaussendung haben Sie das aber nur von Musliminnen und Muslimen eingefordert.

Mikl-Leitner: Ich glaube, der 7. Oktober, der Terror der Hamas und was in den Wochen danach in ganz Europa passiert ist, zeigt uns schon deutlich, dass wir verhindern müssen, dass sich bei uns Gegengesellschaften festigen. Und da bin ich schon bei Ariel Muzicant, dass es viele Zugewanderte gibt, die den Antisemitismus nicht abgelegt haben. Und auch das muss man klar adressieren und nicht wegleugnen. Selbstverständlich muss sich jeder von Antisemitismus distanzieren.

Johanna Mikl-Leitner im Rahmen eines Interviews.
Die niederösterreichische Landeshauptfrau sieht einen Unterschied zwischen Udo Landbauer und Herbert Kickl.
Heribert Corn

STANDARD: Hat sich Ihr Koalitionspartner, die FPÖ, ausreichend vom Antisemitismus distanziert?

Mikl-Leitner: Das ist ein entscheidender Punkt und ganz klar in un­serem Arbeitsübereinkommen festgeschrieben.

STANDARD: Was unterscheidet Udo Landbauer von Herbert Kickl?

Mikl-Leitner: Dass wir mit Landbauer einen Weg der professionellen Zusammenarbeit gefunden haben. Wir setzen Maßnahmen, die bei den Menschen ankommen. Ich denke etwa an den Heizkostenzuschuss oder die Abschaffung der GIS-Länderabgabe.

STANDARD: Einen solchen Weg zur Zusammenarbeit könnte die ÖVP im Bund auch mit Kickl finden.

Mikl-Leitner: Dazu hat sich der Bundeskanzler ganz klar positioniert.

Eine Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ auf Bundesebene will Mikl-Leitner nicht kommentieren.
Heribert Corn

STANDARD: Dass Kickl ein Sicherheitsrisiko, Landbauer aber ein super Landeshauptfrau-Stellvertreter sein soll, versteht doch kein Mensch. Die beiden sind politisch identisch.

Mikl-Leitner: Wenn man Herrn Kickl im Parlament hört und sieht, dass der immer weiter nach rechts rückt, erkennt man heute schon den Un­terschied.

STANDARD: 2018 haben Sie eine Zusammenarbeit mit Landbauer wegen der Liederbuchaffäre ausgeschlossen. Kurz vor der Wahl 2023 hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes über ein weiteres Liederbuch mit Nazi-Texten berichtet, das Landbauer sogar aktiv beworben, für das er Geld gesammelt hat. Wie kann Landbauer 2018 nicht regierungsfähig sein, und 2023 wählen Sie ihn zu Ihrem Stellvertreter?

Mikl-Leitner: Sie wissen, dass ich 2023 nach der Landtagswahl zuerst den Weg zur SPÖ gesucht habe. Doch die hat eine Zusammenarbeit blockiert, und somit kam die Koalition mit der FPÖ zustande.

STANDARD: Also hat sich nur Ihre machtpolitische Situation geändert – und deswegen koalieren Sie mit jemandem, der Lieder bewirbt mit Texten wie "Für Deutschland zu sterben ist uns höchste Ehr"?

Mikl-Leitner: Es war eine demokratische Wahl.

STANDARD: Wie glaubhaft können Sie dann gegen Antisemitismus auftreten, wenn Sie jemanden wie Landbauer in Ihrer Landesregierung haben?

Mikl-Leitner: Wie gesagt, wir haben viele Maßnahmen auch zum Erhalt der jüdischen Kultur in unserem Ar­beitsübereinkommen festgeschrieben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir investieren viel Geld, um die Synagoge in St. Pölten zu einem Dialogzentrum zu entwickeln.

STANDARD: Nehmen Sie Udo Landbauer persönlich diese 180-Grad-Wendung von Nazi-Liedern zu einem Bekenntnis für das jüdische Leben ab?

Mikl-Leitner: Er hält sich an alles, was festgeschrieben ist.

STANDARD: Nach der Landtagswahl gab es Gerüchte, der niederösterreichische Bauernbund wolle Sie loswerden. Wie konnten Sie dessen Obmann Stephan Pernkopf umstimmen?

Mikl-Leitner: Sie werden verstehen, dass ich solche Gerüchte nicht kommentiere.

Mikl-Leitner blickt zuversichtlich auf den Ausbau der Kinderbetreuung in Niederösterreich.
Heribert Corn

STANDARD: Sie wollen im Jahr 2024 das Kindergarteneintrittsalter auf zwei Jahre senken. In ländlicheren Regionen ist es zum Teil jetzt schon schwierig, für Zweieinhalbjährige einen Platz zu bekommen. Können Sie garantieren, dass ab nächstem Jahr alle Eltern für ihr zweijähriges Kind in Nieder­österreich einen Kindergartenplatz bekommen?

Mikl-Leitner: Vor vielen Jahren habe ich bereits das Kindergarteneintrittsalter von drei auf zweieinhalb Jahre in Niederösterreich gesenkt. Nun gehen wir einen Schritt weiter. Wir haben jetzt schon einige Pilotkindergärten laufen, wo Zweijährige ih­ren Platz finden und auch betreut werden. Und ich denke, das funktioniert sehr gut.

STANDARD: Sie garantieren also, dass ab Herbst 2024 alle Eltern, die das wollen, für ihr zweijähriges Kind einen Platz im Kindergarten bekommen?

Mikl-Leitner: Wir werden alles tun, um diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf garantieren zu können.

STANDARD: Was schenken Sie Udo Landbauer zu Weihnachten?

Mikl-Leitner: Einen schönen Weihnachtsgruß. (Sebastian Fellner, Max Stepan, 21.12.2023)