Die Corona-Zahlen sind derzeit zwar hoch, Pandemiemaßnahmen wie Lockdowns, Masken- oder gar Impfpflicht sind aber auch gefühlt schon ziemlich weit weg. Die Hochphasen der Pandemie hat die Bundesregierung von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aufarbeiten lassen. Am Donnerstag stellten Kanzler Karl Nehammer, Wissenschaftsminister Martin Polaschek (beide ÖVP), der Soziologe und Leiter des Projekts, Alexander Bogner von der ÖAW, und die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, den 176 Seiten starken Endbericht dazu vor.

Alexander Bogner, Leiter des Corona-Aufarbeitungsprozesses: "Man teilt die Welt in Gut und Böse ein, und der Kontrahent wird zum Feind der Vernunft."
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"Von der Pandemie waren sicher alle Regierungen in Europa überrascht", sagte Bogner am Freitag im Ö1-"Morgenjournal". "Von daher waren Fehler an der Tagesordnung." Eine der zentralen Botschaften, um für die nächste Krise daraus zu lernen, sei: "Tunnelblick vermeiden. Jede Krise hat viele Facetten und Gesichter. Und das muss man berücksichtigen."

Video: Regierung schließt Aufarbeitung der Corona-Pandemie ab.
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"Welt in Gut und Böse eingeteilt"

Vertrauen gehe in erster Linie dann verloren, wenn der Eindruck entstehe, dass "eine Rhetorik der Alternativlosigkeit gefahren wird", sagte der Soziologe, "dass die Debatte nicht wirklich ergebnisoffen, transparent geführt wird und tatsächlich auch alle maßgeblichen Gegenstimmen gehört werden". Trage man Konflikte dagegen offen aus und vermeide "Konsenspolitik", dann sei man "sicher auf dem richtigen Weg".

Der zentrale Motor der Polarisierung sei das Thema Impfen und insbesondere die Impfpflicht gewesen, diagnostiziert Bogner. Das lasse sich insbesondere darauf zurückführen, dass "sehr stark moralisch kommuniziert wurde", was heiße: "Man teilt die Welt in Gut und Böse ein, und der Kontrahent wird zum Feind der Vernunft." Auf dieser Grundlage ergebe sich keine Gesprächsmöglichkeit mehr.

Spezielle Rolle der FPÖ

Eine besondere Rolle habe in der Pandemie Österreichs politische Landschaft gespielt. Die FPÖ habe sich "als einzig wahre Alternative" zur Linie der Bundesregierung profilieren können, befindet der Forscher. Die "Rhetorik der Alternativlosigkeit" der Regierenden habe den Freiheitlichen überhaupt erst die Möglichkeit dazu gegeben. Das habe die Partei dankbar aufgenommen, ohne selbst sinnvolle Vorschläge präsentieren zu müssen. "Eine einmalige Situation."

Ob Kanzler Nehammer recht hatte, wenn er zwar Fehler einräumte, aber betonte, sich nicht entschuldigen zu wollen? Für Dialog "die Seite des Grabens zu wechseln", wie Nehammer es formulierte, würde bedeuten, sich die Sache der Impfgegner und der radikalen Opposition zu eigen zu machen. Darum gehe es tatsächlich nicht, argumentiert Bogner. Wichtig sei, zu einem Gespräch zurückzufinden. Man könne in so einer schwierigen Situation eigentlich nur offenen, respektvollen, transparenten Dialog predigen. "Mehr ist nicht drinnen, so langweilig das klingt."

Keine medizinische Aufarbeitung

Und fehle nicht ein wichtiger Punkt im Projekt, wenn zwar selbstkritisch auf die Kommunikation der Regierung eingegangen werde – nicht aber darauf, welche Maßnahmen tatsächlich wirksam waren und welche nicht? "Es fehlen alle möglichen wichtigen Punkte", sagt der Soziologe. Man habe in diesem sozialwissenschaftlichen Projekt fünf Themen untersucht und könne wie immer in der Wissenschaft nur bestimmte Aspekte herausgreifen. Die medizinische, aber auch die juristische und die ökonomische Perspektive seien nicht Teil der Untersuchung gewesen. (Martin Tschiderer, 22.12.2023)