Das österreichische Bruttonationalglück ist nach den anhaltenden Krisen der letzten vier Jahre zweifellos im Sinkflug: Nichts hat sich zum Besseren verändert, die Menschheit ist nicht friedlicher und solidarischer geworden, sondern scheint am Ende der Belastbarkeit angekommen. In Zeiten von Teuerung und schwer einschätzbaren ökologischen Herausforderungen zeigt sich nicht nur die Fragilität mitmenschlicher Beziehungen, sondern auch die unseres Wohlstands. Im Angesicht der sich überschlagenden Ereignisse macht sich allerorts Endzeitstimmung breit.

Wohlstand Teuerung Krise Österreich
Gerade zeigt sich die Fragilität unseres Wohlstands.
Illustration: Fatih Aydogdu

Trost lässt sich hierzulande höchstens in einem Bonmot finden, das abwechselnd Gustav Mahler, Karl Kraus oder sonst einer prominenten österreichischen Persönlichkeit angedichtet wird: Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50Jahre später. Nur nicht hudeln, lieber einmal abwarten, so lautet die Devise. Wer weiß, ob wir überhaupt etwas zum Besseren verändern könnten, wenn wir es wirklich angingen. Totstellen als Überlebensstrategie oder sogar als Ars vivendi?

Die Angst vor dem Abstieg ist jedenfalls berechtigt; im internationalen Vergleich haben wir viel zu verlieren. Unser Lebensstandard ist im Allgemeinen (noch immer) sehr hoch. Wobei eine österreichische Besonderheit sicherlich im hartnäckigen Ignorieren ebendieser Tatsache besteht. Stattdessen findet sich immer ein Problemchen, über das gesudert wird, aber von nichts und niemandem geändert werden kann: das Wetter zum Beispiel oder die Staus zu Ferienbeginn (Achtung Ironie). Heikler wird es, wenn konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt werden, die nicht nur die anderen, sondern auch einen selbst aktiv in die Problemlösung miteinbeziehen. So ist der Appell zum Verzicht auch schon vor Corona auf wenig Sympathie gestoßen, Klimakrise hin oder her. Weniger ist mehr? Unsinn, sagt der Hausverstand. Weniger ist weniger, vor allem wenn man Wohlstand mit Wirtschaftswachstum gleichsetzt.

Hoffen lernen

Aber diese populäre Floskel ist natürlich im übertragenen Sinn zu verstehen. Gemeint ist, dass weniger besser sei als mehr. Dann nämlich, wenn dieses Weniger eine höhere Lebensqualität verspricht. Die festzustellen gestaltet sich noch aufwendiger, muss doch eruiert werden, zu welchem Grad jeder Einzelne den erwünschten Zustand an körperlichem, psychischem und sozialem Wohlergehen auch tatsächlich erreicht hat. Ob und wie stark allgemeiner Wohlstand und subjektives Wohlergehen korrelieren, bleibt dennoch fraglich. Wie könnte es sonst sein, dass in der lebenswertesten Hauptstadt der Welt die angeblich unfreundlichsten Menschen leben?

Am Ende scheint die Lebensqualität nicht nur abhängig davon, was man bisher erreicht hat oder wo man gerade steht, sondern auch von dem, was man sich überhaupt noch erwarten darf. Das mag manche an die Thesen des Philosophen Ernst Bloch erinnern, die er auf mehr als tausend Seiten seines Monumentalwerks "Das Prinzip Hoffnung" ausbreitete. Sie lassen sich zu einem entscheidenden Satz verdichten: Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Ein Hoffen, das dem simplen Fatalismus, dass da nichts Gutes mehr zu erwarten sei und dass alles ein schlechtes Ende nehmen muss, trotzt. Ein Hoffen allerdings, das nicht stur auf bessere Zeiten wartet, sondern im "Dunkel des gelebten Augenblicks" (Bloch) an ihrem Gelingen mitwirkt. Ob man sich überhaupt noch erlaubt, an eine gute Zukunft zu glauben, davon scheint letztlich alles abzuhängen. (Lisz Hirn, 25.12.2023)