Es kommt eher selten vor, dass Gerald Pürstl und Johannes Pepelnik der gleichen Meinung sind. Zumindest in Verkehrsfragen. Schließlich gilt Pürstl, Wiens Landespolizeipräsident, in Pepelniks Welt als Hauptgrund für die Karniefelfreude der Wiener Polizei im Umgang mit Radfahrenden. Die wenden sich dann an Pepelnik: Der ist (Verkehrs-)Rechtsanwalt im Umfeld der Radlobby.

Ein zugeparkte Straße in Wien.
Lag früher das Gemeininteresse in der Vollmotorisierung, will man in Städten die Parkplätze wieder als Lebensraum zurück.
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Wenn Pepelnik und Pürstl einer Meinung sind, wird es also spannend. Erst recht, wenn diese Einhelligkeit einigen Verkehrsinitiativen den Tag vermiesen dürfte. "Quatsch" nennt Pepelnik nämlich jenen Artikel aus der Taz, den etliche Verkehrsgruppen vor kurzem eifrig teilten. Pürstl formuliert zurückhaltender: Die in dem Artikel aufgestellte Behauptung, dass Parken im öffentlichen Raum in Deutschland erst seit 1966 erlaubt sei, sei "wohl nicht sehr belastbar".

Inhaltlich ist das ident mit Pepelniks Fazit. Wobei Letzterer anmerkt, dass die Conclusio einen "interessanten Twist" in urbane Mobilitätsdebatten bringe: den historischen Hintergrund der Nutzung des öffentlichen Straßenraumes als billiger Autoabstellfläche. Laut der Taz ist nämlich einzig das sogenannte Bremer Laterndlparkurteil dafür verantwortlich, dass deutsche – und aufgrund der Parallelen etlicher Gesetze – auch österreichische Städte heute aussehen, wie sie aussehen: zugeparkt nämlich.

Der Parkprozess

Die Geschichte: Ein deutscher Unternehmer zog für das Recht, über Nacht am Straßenrand zu parken, sieben Jahre von Instanz zu Instanz – und obsiegte. "Seit 1966 gilt: Das Parken ist überall im öffentlichen Raum erlaubt." Das Urteil stütze sich auf den Terminus "Gemeingebrauch" oder, konkreter, das öffentliche Interesse an der Vollmotorisierung.

Aber wären das heute nicht eher freie, entsiegelte, den Menschen zurückgegebene Stadträume? "Was heute wie eine radikale Idee erscheint", so die Taz, "war bis in die 1960er-Jahre in Deutschland geltendes Recht." Denn: "Laut Straßenverkehrsordnung (war) Parken nur zum kurzen Be- und Entladen oder zum Ein- und Aussteigen erlaubt. Das längere Parken regelte die Reichsgaragenordnung, die besagte, dass Autobesitzer:innen ihre Fahrzeuge nur auf privaten Stellplätzen parken durften."

NS-Gesetz hin oder her: Verkehrswende-Initiativen horchen auf. Denn dass das Parken auf öffentlichem Grund Europas Stadtbilder prägt, ist unbestritten. Die Idee, der Debatte um die Befreiung von parkendem Standblech einen rechtshistorischen Spin zu geben, klingt also zumindest spannend.

Pflicht statt Verbot

Die Sache hat aber einen Haken: Die Geschichte stimmt in dieser Form nicht. Die – auch über Österreich gestülpte "Reichsgaragenordnung" definiert kein Parkverbot auf öffentlichem Grund. Sie beschreibt die Pflicht, beim auch (Wohn-)Bau Park- und Garagenplätze zu schaffen. Sie gilt in weiten Teilen Österreichs immer noch. Das Verbot, Fahrzeuge am Straßenrand abzustellen, findet auch ÖAMTC-Rechtsberater Matthias Nagler darin nicht. Denn: Wieso sollte die Bau- und nicht die Straßenverkehrsordnung hier greifen?

Das Verbot des "Laterndelparkens" lässt sich in Verkehrsgesetzen aber finden: In ihrer Diplomarbeit dokumentierte die Wiener Verkehrsplanerin Andrea Schaub 2020 dieses "Verbot des Abstellens bei Dunkelheit und Nebel". 1929 galt es für Fuhrwerke- und Kraftfahrzeuge. Ab 1935 nur noch für Fuhrwerke und Anhänger. Schaub forschte in österreichischen StVO-Versionen. Doch die ist mit der deutschen in vielen Punkten von jeher fast deckungsgleich. Nach dem "Anschluss" wurde gleichgeschaltet, nach 1945 inhaltlich wenig entflochten. Abgesehen davon ging es sogar laut der Taz im "Laterndelparkprozess" primär um Prinzip und totes (Park-)Recht.

Derlei gab es auch in Österreich, merkt Christian Rapp an. Der wissenschaftliche Leiter im St. Pöltener Haus der Geschichte kuratierte 2010 eine Ausstellung über die Geschichte des Parkens: "Bis 1978 galt in Wien die Regelung, dass Autos maximal 48 Stunden auf demselben Platz stehen dürfen. Aber auch diese Regelung wurde nicht mehr exekutiert, sodass man sein Auto seither beliebig lang am selben Platz stehen lassen kann, woraus sich psychologisch ein entsprechendes Besitzdenken und Parkrecht ableitet, das aber formal nie erteilt wurde."

Dieses "psychologisch abgeleitete Recht", sagt Hermann Knoflacher, sei "das Grundübel" – egal ob mit oder ohne rechtsgeschichtlichen Hintergrund. Der streitbare Wiener Verkehrsplaner ist so etwas wie Europas Säulenheiliger des Auto-Infragestellens, und er ist "froh, wenn endlich eine Grundsatzfrage breit diskutiert wird, die ich seit den 1970ern stelle". Damals schnallte sich der TU-Professor ein Holzgestell im Pkw-Format um – und veranschaulichte mit seinem "Gehzeug" den überproportionalen Platzverbrauch von Pkws.

Virus Auto

Dass das Wiederbeleben (vermeintlicher) historischer Parkverbote wirklich zielführend wäre, glaubt Knoflacher "eher nicht". Obwohl die Methode "aus den Augen, aus dem Sinn" ein probater Weg wäre, das "Virus Auto" aus den "tiefverwurzelten menschlichen Denkmustern wieder herauszubekommen: Menschen glauben nur, was sie schon kennen", erklärt Knoflacher und verweist auf seine eigene Vergangenheit: "In den 1970ern fuhren 120.000 Autos über Kärntner Straße und Graben." Knoflachers Fußgängerzonenpläne galten der Politik und den Medien als "unmöglich".

In seinem im Jänner erscheinenden Buch Virus Auto 4.0 (Alexander-Verlag) fordert er deshalb neuerlich Unerhörtes: Um für Menschen lebenswert zu bleiben, müssten die Städte endlich dem ruhenden Stadtverkehr zu Leibe rücken – ganzheitlich und rigoros. Mit absoluten "Laterndlparkverboten" – also der Verbannung parkender Autos vom öffentlichen Grund "hinaus an die Peripherie". Wenn ihm Stadtautobesitzer dann schnappatmend "Wozu habe ich dann überhaupt noch ein Auto?" zujapsen, lächelt der Doyen der Verkehrswende spitzbübisch: "Jetzt sind wir endlich bei jener Frage, um die es tatsächlich geht. Aber solange das Auto vor der Tür stehen kann, stellt sich die niemand." (Thomas Rottenberg, 29.12.2023)