Maria Mohilla: "Meine kleine Vision ist es, der Juwelier unter den Rauchwarengeschäften zu werden."
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Mit Handschuhen fasst Maria Mohilla Feuerzeuge um gut 15.000 Euro an. Es seien vor allem Wiener, die sich exotische Requisiten rund ums Rauchen gönnen, erzählt sie. Vom Hype um Hanf und E-Zigaretten hält sie nichts. Allein der "grausliche Geruch" stoße sie ab.

STANDARD: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Zigarre?

Mohilla: Selbstverständlich. Ich war 13 oder 14 Jahre alt, viel zu jung. Meine Eltern erlaubten es mir, vorausgesetzt ich rauche nicht alleine. Wir hatten eine kleine Landwirtschaft – nicht, dass ich dabei den Heuschuppen und das Haus abbrenne. Mein Vater und ich saßen im Garten und spielten Schnapsen. Er rauchte Pfeife, ich eine milde Zigarre.

STANDARD: Blieb es bei einer?

Mohilla: Den Wunsch zu rauchen hatte ich danach nicht mehr, nur in schönen Momenten. Heute liebe ich es. Ich rauche Zigarren, Pfeifen, Zigaretten. Ich will wissen, wie meine Produkte schmecken, wie sie hergestellt werden und welche Auswirkungen sie haben. Ich sehe mir viele Fabriken an. Wird dort nicht so mit Menschen umgegangen, wie ich es mir vorstelle, nehme ich ihre Waren aus dem Programm.

STANDARD: Wo endet Genuss, wann beginnen Sucht und Laster?

Mohilla: In meinen Augen, wenn man nebenbei unbewusst raucht. Wenn es einen nervös macht, fünf Stunden lang nicht rauchen zu können. Alles andere ist für mich weniger Sucht nach Nikotin als die Sucht nach dem Moment. In Wirklichkeit verkaufen wir schöne Erinnerungen. Gäbe es eine Audrey Hepburn bei Frühstück bei Tiffany ohne Zigarette? Unvorstellbar. Heute sind in Filmen nur die Bösewichte Raucher.

STANDARD: War das Rauchen nicht einst hochpolitisch? Nach der Revolution von 1848 zündeten sich die Wiener auf dem Graben demonstrativ Pfeifen und Zigarren an. Bis dahin wurde Rauchen in der Öffentlichkeit mit Gefängnis oder Stockschlägen bestraft.

Mohilla: Es war früher nur in gehobenen Kreisen und in geschlossenen Räumen en vogue. Rauchen in der Öffentlichkeit wurde erst durch die Weltkriege befeuert. Abwegig sind die heutigen Rauchverbote nicht. Man kehrt zurück zu den Wurzeln. Das bewusste Rauchen rückt wieder stärker in den Vordergrund.

Luxusmarken rundum verkaufen Taschen um 30.000 Euro. "Warum sollten sich Kunden nicht auch mit besonderen Feuerzeugen belohnen?", fragt Maria Mohilla.
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STANDARD: Rauchen ist für 16 Prozent aller Todesfälle verantwortlich.

Mohilla: Dass Rauchen gefährlich ist, weiß jeder. Aber es ist jeder erwachsen genug, selbst zu entscheiden, was er mit sich macht. Es weiß auch jeder, dass Alkohol gefährlich ist. Dennoch gibt es zu schönen Anlässen eine gute Flasche Wein.

STANDARD: Die EU will die Zahl der Raucher von 25 auf fünf Prozent der Bevölkerung reduzieren. Wie wirken ihre Anti-Rauch-Kampagnen?

Mohilla: Man geht ein bisserl zu weit. Für eine Zigarre braucht es zwei Stunden. Wer stellt sich so lange raus ins Freie, um gemeinsam zu rauchen? Zigarrenlounges sind in Österreich zwar erlaubt, dabei aber nicht die Konsumation von Getränken. Das ist nicht in Ordnung. Zigarren regen die Schleimhäute an – es braucht zumindest Wasser oder Tee.

STANDARD: Sie führen Ihr Tabakfachgeschäft in nunmehr siebenter Generation. Wie überlebt ein kleiner Familienbetrieb zwei Weltkriege, vier Wirtschaftskrisen und eine Pandemie?

Mohilla: (lacht) Das ist der Grund, warum ich mich überhaupt getraut habe, ihn zu übernehmen. Weil wenn er das alles überlebt hat, dann wird er auch mich überleben. Ein Traditionsbetrieb muss nicht nur die Glut erhalten, sondern neue Flammen aufleben lassen. Wir haben uns immer wieder an neue Situationen angepasst, sonst gäbe es uns nicht mehr.

Maria Mohilla: "Ich war schon als Dreijährige in Jazzkellern bei Zigarrenverkostungen dabei – heute wäre das unvorstellbar."
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STANDARD: Mohilla war bis auf eine Ausnahme immer in Hand von Frauen. Bewusst oder Zufall?

Mohilla: So genau weiß ich das nicht. Die Männer hatten stets andere Berufe. Meine Großeltern starben jedoch im Zweiten Weltkrieg. Mein Vater führte das Geschäft daher als Familienältester weiter, obwohl er Priester hätte werden sollen.

STANDARD: Das Geschäft bewegte sich in Ihrer Kindheit immer wieder auf dünnem Eis. Hat Ihnen das nie den Mut zur Selbstständigkeit genommen?

Mohilla: Hatten wir keinen Strom, spielten wir im Kerzenlicht Mensch ärgere Dich nicht. Um Weihnachtsgelder zu zahlen, wurde auch einmal Schmuck versetzt. Es war aber nie ein Streitpunkt. Dass es ungewöhnlich ist, wurde mir erst später bewusst. Meine Mutter, eine gebürtige Ungarin, wuchs im Kommunismus auf. Sie verstand es, aus nichts etwas zu machen. Sie war es, die das Geschäft mit viel unternehmerischem Geschick mit meinem Vater aufgebaut hat. Beide haben mir die Liebe zum Geschäft beigebracht. Ich war schon als Dreijährige in Jazzkellern bei Zigarrenverkostungen dabei – heute wäre das unvorstellbar.

STANDARD: Sie lernten bei Dupont, Feuerzeuge zu reparieren, und in Brasilien, Zigarren zu produzieren, ehe Sie mit 21 Jahren Ihrem Vater nachfolgten. Ein reibungsloser Übergang?

Mohilla: Es war ein fließender Übergang. Ich bekam alzerlweise mehr Verantwortung, alzerlweise erhielt mein Vater mehr Freizeit. Meine Mutter half bis zuletzt mit. Eine große Rettung war mein Freund, der ein perfektes IT-System aufbaute. Ohne ihn hätte ich im Zuge der Registrierkassenpflicht sicher aufgegeben. Bis dahin waren wir völlig analog, haben mit Fax bestellt, händisch Rechnungen geschrieben, die Buchhaltung geführt. Ich hatte bis dahin nie Kontakt zu Computern, nicht einmal zu Taschenrechnern – und regelrechte Angst davor.

STANDARD: Der Kohlmarkt ist das teuerste Pflaster Wiens. Wie stemmen Sie Mieten, die mit dem Generationswechsel schrittweise ans marktübliche Niveau angeglichen wurden?

Mohilla: Ich hatte 15 Jahre Zeit, das Geschäft daran anzupassen. Ich habe es geschafft, auch wenn es Monate gibt, die finanziell kaum zu bewältigen sind. Die Preise für Tabakwaren sind vorgeschrieben, und ich kann auch nicht günstiger einkaufen. Es gibt jedoch den Bedarf nach Luxusprodukten. Ich hatte den Mut, diese auf gut Glück zu kaufen. Meine kleine Vision ist es, der Juwelier unter Rauchwarengeschäften zu werden. Meine Nachbarn verkaufen Taschen um 30.000 Euro. Warum sollten sich Kunden nicht auch mit besonderen Feuerzeugen belohnen?

STANDARD: Sind Sie nie der Versuchung hoher Ablösen erlegen?

Mohilla: Ich habe viele gute Angebote bekommen. Aber das Geschäft ist meine Leidenschaft. Ich kann auch nichts anderes. Ich bin in der glücklichen Lage, nichts neu gründen zu müssen. Was brauche ich mehr, als mir mein Leben leisten zu können? Klar, jeder hat Ängste, jeder muss kalkulieren. Einfach ist es nicht. Corona trieb mich fast in den Ruin, weil ich offenhalten musste, ohne Unterstützung. Aber auch da fand ich Auswege. Deswegen bin ich Unternehmerin. Jammern bringt nichts. Am Ende kostet es dasselbe. Ich überlege mir lieber, wie ich aufstehen und meine Krone wieder richten kann.

Mohilla hält am Wiener Kohlmarkt als einer der letzten alteingesessenen Familienbetriebe inmitten internationaler Luxuskonzerne die Stellung.
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STANDARD: Ihr Geschäft zählt zu den letzten Traditionsbetrieben der Wiener Innenstadt. Sind die in jeder Metropole ewig gleichen Luxusmarken wirklich das, was Touristen wollen?

Mohilla: Vor Gucci, Cartier, Louis Vuitton und Dior stehen die Leute Schlange. Der Wirtschaft tun diese Luxusmarken gut. Ohne sie kämen viele Kunden nicht nach Wien, die auch bei uns einkaufen. Aber auch eine Schwäbische Jungfrau, ein Knize, ein Rozet & Fischmeister müssen erhalten bleiben. Sie machen die Schönheit einer Stadt aus.

STANDARD: Sigmund Freud war Stammkunde bei Mohilla. Friedrich Torberg erwarb hier seine Zigarrenmischung. Was hat es mit der ewigen Flamme neben dem Eingang auf sich?

Mohilla: Schon Freud zündete sich hier seine Zigarren an. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein Herr zu uns, wartete hier 15 Minuten, ging wieder. 40 Minuten später kam ein anderer Herr und wartete. Der erste kam zurück, sie umarmten einander weinend. Es waren zwei Juden, die geflohen waren, der eine nach Amerika, der andere nach Australien. Brieflich vereinbarten sie ein Treffen. Doch wohin im zerbombten Wien? Zur ewigen Flamme vom Mohilla. Aufgrund der Zeitumstellung kam einer zu früh. Auch das sind für mich bleibende Geschichten.

STANDARD: Freud musste sich im Alter mehreren Operationen wegen Mundkrebs unterziehen. Dennoch weigerte er sich bis zu seinem Tod, auf Tabak zu verzichten.

Mohilla: Er hat bei uns im Geschäft einen lieben Satz gesagt, nachdem sich eine Baroness furchtbar darüber aufregte, dass er seine stinkenden Virginias rauchte: "Gnä’ Frau, wer net sauft, keinen Sex hat und net raucht, lebt auch net länger. Es kommt ihm nur so vor." (Verena Kainrath, 6.1.2024)