Philharmoniker
Noch eine Utopie im Wiener Musikverein: Eine Dirigentin leitet das Neujahrskonzert der Philharmoniker.
collage Seywald/der Standard, Foto Getty, APA

Der Tag wird kommen, an dem auch die Orchesternamen mit der Realität gleichziehen: Dann werden sich die Berliner Philharmoniker "Berliner Philharmoniker:innen" nennen. Und der Edelklang, der den Globus alljährlich mit Walzern weckt, wird sich womöglich auf "Wiener Philharmoniker:innen" umgetauft haben. Mittlerweile sind 22 Instrumentalistinnen fixer Teil des etwa 150 Mitglieder zählenden, weltweit reisenden Orchesters, das zugleich an der Staatsoper für Niveau sorgt.

Es könnte bei den Wienern aber am längsten dauern. Peinlich spät, nämlich erst 1997, und nicht unwesentlich bedingt durch Boykottaufrufe in den USA, öffnete man sich für Musikerinnen. Langsam scheint man sich bei akuten Fragen zu bewegen, die über das Orchester stets um den Jahreswechsel hereinbrechen. Es entsteht der Eindruck, man reagiere nur, wenn der äußere Druck ungemütlich hoch wird.

Wenn der Dirigent will

Bei der Pressekonferenz zum diesjährigen Neujahrskonzert wurde es wieder seltsam: Als die Frage aufkam, warum nicht endlich Stücke von Komponistinnen Einzug ins Programm fänden, meinte Orchestervorstand Daniel Froschauer, da gebe es keine grundsätzlichen Vorbehalte. Nur sei man "noch nicht so weit", man schaue sich "das Repertoire aber an". Dann entfleuchte ihm aber noch ein missverständlicher Satz: Das Ganze sei keine Genderfrage – "sondern eine der Qualität".

Als Subbotschaft blieb übrig, es gäbe keine gehaltvollen Stücke von Komponistinnen. Tatsächlich aber ist man dabei, die Frauenstückquote, die bei null Prozent liegt, zu verbessern. Animiert durch die in diesem Bereich sehr engagierte und forschende Journalistin Irene Suchy ist man wohl dabei, Material zu studieren. "Ich habe Froschauer Infos zu Komponistinnen mitgebracht und auch mitgeteilt, wo die Noten zu finden sind. Er meinte: Eventuell gebe es 2026 beim Neujahrskonzert eine Komponistin – wenn der Dirigent es denn will!", sagt Suchy.

Es gab da was ...

Wenn es ein bisschen schneller geht? Wenn Riccardo Muti ein mögliches Stück gefällt? Wird es dann – für die Großbesetzung arrangiert – wundersamerweise womöglich schon beim Neujahrskonzert 2025 das Stück einer Komponistin geben?

Ein Besuch beim 1. Wiener Neujahrskonzert der Komponistinnen im Ehrbar-Saal, das nur Werke von Frauen präsentierte, hätte die philharmonische Repertoirerecherche bereits am heurigen Neujahrstag (terminlich günstig erst um 17 Uhr) akustisch vertiefen können. Das Ensemble F interpretierte Stücke von Gisela Frankl, die auch für das Frauenwahlrecht kämpfte. Dazu erklang Musik von Josephine Amann-Weinlich, die das erste europäische Frauenorchester leitete, wie auch Miniaturen von Constanze Geiger, Clara Schumann und Leopoldine Blahetka gegeben wurden.

Im Windschatten des Repertoirethemas und der schon traditionellen Debatte über die Spielbarkeit des Radetzky-Marschs stellte sich auch die Frage, wann endlich eine Dirigentin das Neujahrskonzert leiten würde.

Eine wurde eingeladen

Wer anno 2022 bei der Pressekonferenz dabei war, hat es nicht vergessen: Froschauer meinte, es werde passieren, "wenn es so weit ist". Der damalige Dirigent Franz Welser-Möst sprach davon, dass dieses Konzert erst die Konsequenz eines langen Prozesses der Zusammenarbeit sei, auch müsse Affinität zu dem Repertoire existieren. All das ist nicht falsch – warum man sich nicht bemühe, Dirigentinnen mehr philharmonische Erfahrungen sammeln zu lassen, blieb aber unbeantwortet. Worauf die Wiener Grünen mit zugespitzten Vorwürfen zur Stelle waren: Man warf dem Orchester "Misogynie und Unwissenheit über die Situation von Musikerinnen" vor.

Tatsächlich mahlen die philharmonischen Mühlen hier langsam – aber nicht nur aus Vorurteilsgründen. Verbürgt ist, dass das Orchester der Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla schon mehrfach eine Einladung unterbreitet hat. Die Topdirigentin muss aber ihrerseits die Einladung für Konzerte erst annehmen. Man trifft einander immerhin bei den kommenden Salzburger Festspielen bei Mieczysław Weinbergs Oper Der Idiot. Und mit Joanna Mallwitz wird man bei der Mozartwoche in Salzburg zusammenarbeiten.

Blickt man zurück, fällt natürlich auf: Die Australierin Simone Young, die jüngst an der Staatsoper die walzerselige Fledermaus dirigierte, war 2005 die erste Frau, die ein Konzert der Philharmoniker dirigierte. Danach war nicht viel. Nun aber drängen neue Namen ins Rampenlicht.

Man wolle, man suche

Die einstige Musikchefin der Grazer Oper Oksana Lyniv dirigiert in Bayreuth und ist Chefdirigentin des Teatro Comunale di Bologna. Interessant auch Marie Jacquot, die erste Gast-Dirigentin bei den Wiener Symphonikern sowie designierte Chefdirigentin des Royal Danish Theater Copenhagen, oder Eun Sun Kim, die designierte Musikdirektorin der San Francisco Opera.

Zum STANDARD hatte Froschauer gemeint, er sei mit seiner Aussage 2022 missverstanden worden. Man wolle mit Dirigentinnen zusammenarbeiten, man suche und führe konkrete Gespräche. Doch: "Weltweit betrachtet gibt es leider noch wenige Orchester, die von einer Dirigentin geleitet werden. Aber man merkt positive Entwicklungen, immer mehr Dirigentinnen bekommen auch Chefpositionen."

Wie die Kirche?

Richtig. Das Problem ist aber: Eines der weltbesten Orchester sollte in allen Bereichen nach Exzellenz trachten. Es steht im grellen Licht der Aufmerksamkeit. Offensiver heikle Themen anzugehen würde insofern schnell den Eindruck verscheuchen, man wäre, was Frauenthemen anbelangt, die "katholische Kirche" unter den Orchestern.

Dann würde vielleicht auch thematisiert werden, dass die Symphoniker den Chefdirigentenposten wieder männlich besetzten und die Volksoper wieder einen Musikdirektor hat und die Berliner Philharmoniker zu Silvester auch nur Wagner gespielt haben. In der Klassikwelt ticken die Uhren der Veränderung ja insgesamt sehr langsam. (Ljubiša Tošić, 5.1.2024)