Zu der Frage, ob vom Gericht eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine gemeinsame Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, sind nach dem österreichischen Gesetz keine näheren Kriterien aufgestellt. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt es aber insbesondere darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern besser dem Wohl des Kindes entspricht.

Die gemeinsame Obsorge kann nur sinnvoll ausgeübt werden und dem Kindeswohl entsprechen, wenn beide Eltern ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit aufweisen. Die Eltern müssen zumindest in sachlicher Form Informationen austauschen und Entschlüsse fassen können. Das Gericht hat daher als Voraussetzung für eine gemeinsame Obsorgeregelung zu beurteilen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in näherer Zukunft mit einer solchen gerechnet werden kann.

Kind hält zwei Blätter vor sein Gesicht, auf jeweils einem Blatt ist ein Elternteil abgebildet
Wenn es zu einer Trennung der Eltern kommt, muss auch die Kindesobsorge geregelt werden. Doch was, wenn sich danach das Verhältnis der Eltern verschlechtert und das Kind zunehmend belastet wird?
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Wurde die Kindesobsorge bereits gerichtlich endgültig geregelt, so kann jeder Elternteil die Neuregelung (nur) gerichtlich beantragen, sofern sich die Verhältnisse seit der letzten gerichtlichen Entscheidung maßgeblich geändert haben. Damit eine Änderung der Obsorgeregelung erfolgen kann, muss eine gewichtige Veränderung der relevanten Umstände erfolgt sein. Es muss aber nicht zwingend eine Kindeswohlverletzung vorliegen.

Neuregelung aufgrund konfliktbehafteter Beziehung

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit einem Fall (7 Ob 46/23z) beschäftigt, in dem der Mutter die (Mit-)Obsorge entzogen und der Vater mit der alleinigen Obsorge betraut wurde. Davor bestand gemeinsame Obsorge der Eltern bei hauptsächlicher Betreuung der beiden minderjährigen Kinder im Haushalt des Vaters. Die Tochter war zum Zeitpunkt der Entscheidung zwölf Jahre alt, der Sohn war sechs Jahre alt.

Grund für die Neuregelung der Obsorge zugunsten des Vaters war, dass die Beziehung der Eltern bereits seit zweieinhalb Jahren hoch konfliktbehaftet war. Auch die räumliche Trennung der Eltern führte zu keiner Beruhigung der Situation. Die Kommunikationsbasis zwischen den Eltern fehlte beziehungsweise war kaum vorhanden. Die Regelung der Frage der Kontakte gipfelte in mehreren Polizeieinsätzen in Anwesenheit der Kinder, die diese schwer belasteten. Die Polizeieinsätze führten darüber hinaus zu einer "emotionalen Instabilität" der Tochter, weiters wurde die Tochter durch den elterlichen Streit in einen Loyalitätskonflikt gestürzt.

Das Rekursgericht (zweite Instanz) ging im gegenständlichen Fall nicht davon aus, dass eine Verbesserung der Gesprächssituation und die Herstellung einer ausreichenden Kommunikation zwischen den Eltern in absehbarer Zeit erwartet werden kann, weshalb die gemeinsame Obsorge aufgehoben wurde. Der Vater wurde mit der alleinigen Obsorge betraut, weil die Kinder sich auch während der gemeinsamen Obsorge beider Eltern bereits hauptsächlich bei ihm aufhielten. Diese Entscheidung hielt der Oberste Gerichtshof für nicht korrekturbedürftig.

Der Oberste Gerichtshof merkte in diesem Zusammenhang kritisch an, dass die Mutter auch keine konkreten Maßnahmen aufzeigte, die eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Eltern herbeiführen könnten. Möglichkeiten hierfür wären unter anderem der Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung oder Mediationsverfahren gewesen.

Berücksichtigung der jeweiligen Situation

Der Oberste Gerichtshof hielt zivilprozessrechtlich auch fest, dass Entscheidungen über die Kindesobsorge stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu treffen sind. Da grundsätzlich eine Voraussetzung für eine (erfolgreiche) Revision an den Obersten Gerichtshofes ist, dass eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, die über den Einzelfall hinausgeht, wird eine Revision in den meisten Obsorgefällen wenig erfolgsversprechend sein. Dies gilt jedoch nicht, wenn tragende Grundsätze oder das Kindeswohl in den Entscheidungen der unteren Instanzen verletzt wurden. In derartigen Fällen ist eine Revision an den Obersten Gerichtshof zu empfehlen.

Wichtiges Kriterium bei der Beurteilung des Kindeswohls ist die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und seiner Fähigkeit zur Meinungsbildung. Die Rechtsprechung geht im Regelfall ab dem zwölften Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes betreffend seine Obsorgezuteilung aus. (Helena Marko, Anna Büchel, 12.1.2024)