"Bleiben wir doch bitte bei den Fakten!" Ja, dieser Satz ist in der Regel oder zumindest gelegentlich gut gemeint und zielt auf eine möglichst konkrete und eben faktenbasierte Diskussion ab. Nun einmal abgesehen davon, dass in der Zeit der "alternative facts" auch hier schon ein gewisser Streitpunkt gefunden werden könnte, so lässt der Mediatorin, wie auch dem Mediator, der Hinweis auf die scheinbar so klaren und vor allem emotionsbefreiten Fakten die eine oder andere Alarmglocke schrillen. Wieso aber? Sollte man nicht annehmen, dass Fakten neutral und über jede Diskussion erhaben sind?

Spannungen am Arbeitsplatz

Als eine externe Unterstützung gerufen wird, ist bereits viel geschehen – immer wieder drehen sich die Diskussionen um die Zusammensetzungen der Arbeitsgruppen. Jedes einzelne Projekt bedarf eines neuen Teams, welches aus den unterschiedlichen Spezialistinnen und Spezialisten der Firma zusammengesetzt wurde. Dass über die letzten Jahre das eine oder andere Thema die Chemie zwischen dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beeinträchtigt hat, ist zwar spürbar, doch bleibt dieses Thema gleich einem in der Dunkelheit herumschweifenden Wolf unangetastet. "Befindlichkeiten", wie diese Themen schlichtweg genannt werden, hätten am Arbeitsplatz nichts verloren, zumal es sich um ein technisch ausgerichtetes Unternehmen handle. Technik werde von Fakten getragen, nicht von Emotionen.

Frau und Mann diskutieren in der Arbeit
Gerade am Arbeitsplatz gilt es oft, seine Gefühle außen vor zu lassen. Das kann die Lösung von bestehenden Konflikten aber oft deutlich erschweren.
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Nun es sind aber genau jene "Befindlichkeiten", die den Informationsaustausch zwischen den beiden Abteilungsleiterinnen und dem Abteilungsleiter, den Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeitern sowie schlichtweg jenen, die das oft zitierte "Werkl" am Laufen halten, beeinträchtigen. Unausgeräumte Missverständnisse, Eifersüchteleien bezüglich der Schreibtische und unklare Termine schufen in den letzten 18 Monaten ein Klima der Unsicherheit, in welchem jede und jeder Einzelne im Unternehmen die eigenen Projekte und den eigenen Arbeitsplatz vor den Erfolg des gesamten Betriebs stellte.

Erst als die Auftragszahlen sich zu verändern begannen, als finanzielle Engpässe die Geschäftsführung nachdenklich werden ließen, kam das Gespräch auf die Möglichkeit, sich externe Unterstützung (nein, diesmal nicht von einem Mediator, sondern von einer Unternehmensberaterin) zu holen. Die Unternehmensberaterin erhielt von der Geschäftsführung den Auftrag, auch das Klima im Unternehmen kritisch zu betrachten. Bereits die Gegenwart der Beraterin hatte darauf hin den interessanten Effekt, dass die Mitarbeiter eine neue Form der Wertschätzung empfanden und sich in ihren Anliegen erstmalig ernstgenommen fühlten. So war es in weiterer Folge möglich, die Kommunikation unter den Kolleginnen und Kollegen, aber auch zwischen Belegschaft und Geschäftsführung zu verbessern und jene Reibungsverluste, die das Getriebe aufzureiben drohten, zu minimieren.

Erbschaft und Fragen der nächsten Generation

Vergleichbar verlief eine Zeit lang eine Mediation im Rahmen eines Erbschaftskonfliktes. Nach mehreren nicht-mediativen Versuchen der Regelung einer Erbschaftsthematik wandten sich die Parteien an den Mediator. Aufgrund einer komplexen Familiensituation in Verbindung mit Vorabschenkungen und der Abwesenheit einer letztwilligen Verfügung war es zur Situation gekommen, dass die bei einem strittigen Erbschaftsverfahren drohenden Kosten die zur Verfügung stehenden Barmittel überstiegen hätten. Dies und der auf allem Seiten bestehende Wunsch nach Sicherung des Familienfriedens führte die Parteien zur Mediation. Zwischen den Parteien stand primär eine ungeklärte Rechtsfrage, deren Klärung sie aber nicht in die Hände des Gerichts legen wollten, zumal auf diesem Wege der Familienzusammenhalt der rechtlichen Sicherheit geopfert worden wäre. Nach mehreren Runden, in denen die persönlichen Standpunkte und die jeweiligen Rechtsansichten dargelegt wurden, wurde in weiterer Folge eine mögliche konkrete Regelung erarbeitet, welche sowohl die Bedürfnisse der einen Seite wie auch die vorhandenen Ressourcen der anderen Seite berücksichtigte. Anstatt des im Raum stehenden Geldbetrages sollte die betreffende Familie eine Wohnung in jenem Haus behalten, das seit Generationen im Familienbesitz stand.

Dennoch fühlte sich aus Sicht des Mediators noch nicht alles "rund" an. Die Körperhaltung einer Partei war nicht in Übereinstimmung mit dem Ergebnis. Der Mediator sprach dies direkt an, worauf nach einer längeren Pause eine Antwort folgte: "Die Idee gefällt mir ja sehr gut und ich glaube auch, dass sie wirklich vernünftig ist. Aber ich denke halt auch an unsere Kinder. Ich habe etwas Bedenken, einen Teil der möglichen zukünftigen Erbschaft unserer Kinder nun in den Verhandlungstopf zu werfen. Gleichzeitig ist es mir aber wichtig, einer guten Lösung nicht im Weg zu stehen. Wahrscheinlich ist das aber gar nicht so relevant, ich habe deswegen auch nichts gesagt, weil ich meine persönlichen Befindlichkeiten nicht so wichtig finde." Sie hatte genau den Punkt getroffen. Eine Vereinbarung, die zwar den unmittelbar anstehenden Konflikt vordergründig bereinigt hätte, ohne jedoch die Bedürfnisse der nächsten Generationen zu bedenken, hätte den Streit nur in die Zukunft verlagert. Was hier als "Befindlichkeit" abgetan wurde, war in Wirklichkeit der untrügliche Sinn für den Familienfrieden und potentielle Probleme der Zukunft.

Der Mediator bedankte sich für diesen wertvollen Einwand und schlug die folgende Vorgehensweise vor: Während die einen sich in Ruhe über die Feiertage die Idee eines Umzuges in den urbanen Bereich mit allen Konsequenzen hinsichtlich der alltäglichen Abläufe überlegen konnten, war für die andere Seite genügend Zeit, um mit den beiden Kindern über die angedachte Variante zu sprechen. Nur so konnte die mögliche Lösung auch tatsächlich auf feste Beine gestellt und verhindert werden, dass bereits in der kommenden Generation der Konflikt erneut den Familienfrieden gefährden könnte. Die reinen "Fakten", also die Berechnungen der jeweiligen Pflichtteile, hätten hier wahrscheinlich in eine Sackgasse geführt.

Konflikte in der Zukunft

Die Scheidung war ausgemachte Sache. Also zumindest die Tatsache, dass die Ehe nicht mehr fortgeführt werden sollte. Die meisten anderen Formalitäten schienen auch geregelt, Kinder waren keine aus der Ehe hervorgegangen, somit galt die Aufmerksamkeit primär den finanziellen Aspekten der Scheidungsfolgenvereinbarung. Der nacheheliche Unterhalt und die Vermögensaufteilung sollten so "gerecht" und "fair" geregelt werden. Auch hier schien es bald eine Einigung zu geben, da eine Summe von 250 Euro wertgesichert auf fünf Jahre von beiden akzeptiert wurde. Als bereits nachzwei 2 Sitzungen die Vereinbarung unterschriftsreif war, stellte der Mediator eine auf den ersten Blick verwunderliche Frage: "Stellen Sie sich nun vor, es ist der 15. Jänner 2027 – was ist denn bisher schiefgegangen?" Nun, freilich liegt die Erfindung der Zeitmaschine noch in weiter Ferne und ebenso ist die Hellseherei keine der Mediation verwandte Wissenschaft, doch zielte diese Frage auch nicht auf Fakten und Zahlen ab. Vielmehr sollte diese Frage auf all jene Aspekte abzielen, die "eh schon nicht" geschehen würden, sie sollte jene Punkte adressieren, die "sicher gutgehen" würden, weswegen man sie ja in der Scheidungsfolgenvereinbarung nicht erwähnen bräuchte.

Nach einem kurzen Zögern sprach der Mann daraufhin an, dass er den Unterhalt natürlich nur bis zum Eingehen einer Lebensgemeinschaft der Frau zu zahlen bereit wäre, was jedoch ohnehin dem Stand des Gesetzes entsprechen würde. Die Frau nahm diesen Satz mit einer leichten Erstarrung zur Kenntnis, und fragte daraufhin nach, was denn für den Mann eine Lebensgemeinschaft wäre. Dem Mediator war daraufhin klar, dass dieses Thema noch einen wunden Punkt der beiden Ex-Partner getroffen hatte, worauf er vorsichtig noch einmal auf die Gründe der Beendigung der Ehe zu sprechen kam. Daraufhin einigten sich die beiden dahingehend, die der Scheidung zugrundeliegende Eifersucht des Mannes im Rahmen einer Familienberatung zu besprechen und die Scheidungsvereinbarung erst nach Klärung dieser Thematik den Antrag auf einvernehmliche Scheidung gemeinsam mit der Scheidungsfolgenvereinbarung beim Gericht abzugeben.

Weswegen war die "Zauber"-Frage noch von Bedeutung? Die beiden Ex-Partner wollten sich im Rahmen der Scheidungsvereinbarung nur über die offensichtlichen Themen, die Zahlen und rechtlichen Notwendigkeiten unterhalten. Somit wären allerdings Probleme, die ihren Ursprung noch in der Beziehung der beiden hatten, nur in die Zukunft verlagert worden. In weiterer Folge hätten diese ungeklärten Fragen dann Einfluss auf die Zahlung des vereinbarten nachehelichen Unterhaltes und darüber hinaus auch möglicherweise auf eine folgende Beziehung der unterhaltsberechtigten Frau genommen. Hier Klarheit zu schaffen war essenziell. Genau deswegen war es wichtig, das Bauchgefühl beider Ex-Partner mit der "Zukunftsfrage" zu adressieren.

Befindlichkeiten, Instinkt und Bauchgefühl

Es ist nicht immer einfach, sich dem Kern des Problems zu stellen. Zu einfach ist es zumeist, auf Fakten und Zahlen, Rechte und Ansprüche zu beharren, wobei doch oftmals die Wurzeln der Konflikte der Gegenwart und auch der Zukunft ganz woanders zu finden sind, als dort, wo sie auf den ersten Blick aus der Erde rausragen. Ist bei unternehmensinternen Spannungen Sand im Getriebe, so liegt es oftmals nicht an einer einzelnen Person, sondern an den höchstpersönlichen Themen der Mitarbeiter und Mitartbeiterinnen, die es im Rahmen von Gesprächen zu erforschen gilt. Bei Fragestellungen rund um das Thema Erbschaft ist sind die Möglichkeiten der Konfliktursachen noch weit breiter aufgestellt und reichen oftmals bis in die Kindheit der handelnden Personen. Quoten und Ansprüche sind dabei nur die alltagstauglichen Masken jener Emotionen, die im Rahmen der Verlassenschaft ans Tageslicht drängen.

Endet eine Beziehung durch den formalen Rechtsakt der Scheidung, so gilt es, rein profane Dinge wie die Regelung der Scheidungsfolgen zu fixieren. Haftet die Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Formalismen und werden die Gründe der Scheidung völlig außer Acht gelassen, so besteht die Gefahr, dass die gleichen Probleme und Misstöne, die zum Ende der Beziehung geführt hatten, auch nach der Scheidung weiterhin für Unfrieden sorgen.

Bauchgefühle und Instinkt werden oftmals geringschätzend als "Befindlichkeiten" abgetan und sind doch die "Via Regia", also der schon von Sigmund Freud (er verwendete den Begriff im Kontext mit seiner Traumforschung) erwähnte Königsweg zum Kern des Konflikts. Es ist sowohl die Chance als auch Möglichkeit der Mediation, diesen Weg zu beschreiten und daher auch hinter die potemkinschen Fassaden der Streitigkeiten zu blicken. (Ulrich Wanderer, 11.1.2024)