Der Anruf der deutschen Findungskommission kam für die Juristin, die 20 Jahre als Vizerektorin, zuerst an der Akademie der bildenden Künste, dann an der Technischen Universität in Wien (Personal und Gender), gearbeitet hat, überraschend. "Die Universität Stuttgart sucht eine Kanzlerin, einen Kanzler. Können Sie sich vorstellen, in Deutschland zu arbeiten und sich für diese Position zu bewerben?"

Anna Steiger steht in schwarzer Hose, weißer Bluse
Beruflich "ausgewandert" ins Schwäbische
Uni Stuttgart

Sie konnte. Und wurde im vergangenen Herbst aus einem Dreiervorschlag gewählt. Diese Wahl hat die Endfünfzigerin nun 630 Kilometer von ihrer Heimatstadt Wien entfernt. Es sei lohnend und spannend, beruflich auszuwandern, sagt sie. Es sei der richtige Zeitpunkt. "In meinen früheren Berufsjahren wäre das nicht möglich gewesen, jetzt, mit erwachsenen Kindern und sehr viel Berufserfahrung, ist es für mich genau das Richtige. Jetzt kann ich das erleben, was ich jahrelang den wissenschaftlichen Mitarbeitenden nahegebracht habe: Geht ins Ausland, erweitert euren Horizont."

Apfelschorle statt Obi gespritzt

Eine kleine Wohnung war schnell gefunden. Die Verwandtschaft ihres Mannes vor Ort hat beim Orientieren geholfen. Apfelschorle und Kaffee mit Betonung auf der ersten Silbe seien kein Thema, lacht sie. Das Schwäbische habe allerdings ein paar Tücken. Einmal im Monat, erzählt sie, treffe sich die Österreich-Community in Stuttgart, und dann freue sie sich auch, dass man sich nicht mit "Tschüss" verabschiedet. Und: "Stuttgart ist eine schöne Stadt, Weinberge, viel Natur und kulturelle Vielfalt. Mit Wien kann es, wenn es nicht um Maultaschen und schnelle Autos geht, nicht mithalten." Das bedeutet: Pendeln. Am Freitagabend trifft sie viele Kolleginnen und Kollegen am Bahnhof oder am Flughafen auf dem Weg nach Hause. "Das Personal ist global rekrutiert, Stuttgart ist wie alle führenden Universitäten international."

Als Kanzlerin hat Steiger eine machtvolle Position. Sie leitet als CEO gemeinsam mit dem Rektor die Uni mit 6000 Mitarbeitenden, 22.000 Studierenden, 62 Bachelor- und 100 Masterstudiengängen. Sie ist verantwortlich für die Verwaltung, das administrative Personal, die Finanzen, die Gebäude. Diese Uni ist zwar eine technische Uni, bietet allerdings nicht nur die klassischen Ingenieursfächer, sondern hat auch eine philosophisch-historische und eine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät. Dieser "Stuttgarter Weg", sagt Steiger, ermögliche Forschen und Lehren über die Disziplinengrenzen hinaus.

Hohe Drittmittel

Beachtlich ist das Budget aus Drittmitteln: Von den insgesamt 600 Millionen Euro im Jahr stammt rund die Hälfte aus eingeworbenen Drittmitteln. Inhaltlich wird sie schwärmerisch: "Den Rahmen mitzugestalten, um Innovation, Wissenschaft, Forschung und Lehre auf höchstem Niveau zu ermöglichen, das ist für mich nicht nur ein Job, das ist für mich eine Berufung." Als Kanzlerin sei es ihre Aufgabe, für die bestmögliche Balance zwischen Tradition, Würdigung, Wertschätzung von Bewährtem und Innovation plus Veränderung zu sorgen. Auch das Miteinander von Uni-Personal, wissenschaftlichem und Verwaltungspersonal, Leitungsgremien und Interessenvertretungen liege bei ihr. Mit den gelegentlich widerstreitenden Interessen und den Konfliktlinien der Kurien und der Gremien kennt sie sich allerdings nach zwei Jahrzehnten als Vizerektorin aus. (Karin Bauer, 12.1.2024)