Vielleicht haben Sie die verschiedenen Videos gesehen, die derzeit auf Social Media herumgeistern: Menschen, die massenweise in Supermärkte stürmen, um einen riesigen Trinkbecher an sich zu reißen. Influencerinnen und Normalos, die mit einem Strohhalm aus pastellfarbenen Behältnissen trinken. Frauen und Männer, die Wassertrinken zu einem Trend auserkoren haben und nicht nur Hydration mit dem Hashtag #Watertok Social-Media-konform inszenieren, sondern auch Rezepte präsentieren, mit denen man Wasser dank Sirup Geschmack zusetzt. Gefüllt wird das Wasser, Sie haben's erahnt, in einen überdimensionierten Trinkbecher. Der Becher ist aber nicht irgendein Gefäß. Nein, in den USA ist der Stanley Cup – auch Tumbler oder Quencher genannt – das aktuelle Lifestyle-Must-have.

Mit dem Eishockey-Pokal hat die Thermoskanne nichts zu tun, das vorneweg. Stanley ist eine US-amerikanische Marke, die bereits seit 1913 Isolierprodukte produziert. Lange Zeit vermarktete Stanley seine Ware an überwiegend männliche Kunden, ideal für Wanderer und Outdoor-Aktivitäten. 2017 entdeckten dann Influencerinnen und Influencer das moderne Quencher-Modell mit dem Strohhalm. Drei Jahre später gehört der Stanley-Cup zum meistverkauften Produkt des Unternehmens. Vor allem die reiche Palette an Farben und eine gezielte Vermarktung über Social Media führte zum Hype.

Unzerstörbar?

Der Rummel rund um die Trinkflasche artete in den vergangenen Monaten aus. Grund dafür dürfte ein Video auf der Plattform Tiktok gewesen sein, das seit November fast 100 Millionen Mal aufgerufen wurde. Darin filmt eine Amerikanerin ihr völlig ausgebranntes Auto. Aus den Trümmern und der Asche holt sie eine nahezu unbeschädigte Stanley-Thermosflasche heraus, in der noch immer die eingefüllten Eiswürfel zu hören waren. Die Firma Stanley reagierte auf das Video der Frau und schenkte ihr als Dank für die Werbung öffentlichkeitswirksam ein neues Auto. Perfektes Marketing.

Je nach Größe kostet die Thermosflasche rund 35 bis 60 Dollar. Erhältlich ist sie in zig Farben, was den Sammelfaktor natürlich immens steigert. Eine Sonderedition zum Valentinstag führte dazu, dass Menschen vor Supermärkten tagelang campierten. Verkauft wurden pro Person nur eine, maximal zwei Flaschen, weil Wiederverkäufer auf Plattformen wie Ebay die Stanley-Trinkbecher um das Zigfache feilbieten. Nach wenigen Minuten waren die Trinkflaschen übrigens ausverkauft. Viele Jugendliche wünschten sich auch zu Weihnachten einen Stanley-Cup. Das Geschenk konnte dann gleich auf der Videoplattform vorgezeigt werden.

Praktisch und ästhetisch

In Europa oder Österreich ist der Hype noch nicht angekommen. Das liegt vor allem auch daran, dass es hierzulande über die offizielle Website nur zwei fade Farben zu bestellen gibt: Cream und Rose Quartz, die man nur beim genauen Hinschauen unterscheiden kann. Mehr als ein Liter Flüssigkeit hat Platz, warme Getränke sollen sieben Stunden lang heiß bleiben, Kaltes hält elf Stunden lang die Temperatur.

Funktional wie ästhetisch, das ist der Erfolg des Stanley-Cups. Die Becher passen perfekt in die Getränkehalterung der SUVs der Amerikanerinnen und Amerikaner, bei den Baseball- und Footballspielen der Kinder bringen die Soccer-Moms ihr Getränk praktischerweise gleich selbst mit – und punkten mit Style. Die Quencher erfüllen die Ästhetik des "Clean Girls". Das bedeutet Pastellfarben, minimalistischer Look, wenig Bling-Bling – und der Trinkbecher farblich abgestimmt auf das Outfit. Dem Trinkbecher wird eine neue Rolle zugeschrieben, er ist wie eine neue Handtasche oder Designerschuhe, die man stolz präsentiert.

Stanley Cup USA Hype
Die stylischen Stanley-Cups passen auch in die Wohnung.
Foto: Standard/Brooke Carroll

Dafür besitzt man dann nicht nur einen Stanley-Cup, sondern dutzende oder gar hunderte, wie manche Amerikanerinnen aufzeigen. Nun haben eben die Wassertrinker ein Gefäß, das ihre Leidenschaft ausdrückt, mit dem sie prahlen und in das sie Geld investieren. Kaffeenerds und Weintrinkende machen das ja schon seit Jahren mit ihren Getränken so. (Kevin Recher, 17.1.2024)