Michael Krüger
Der Autor und Verleger Michael Krüger vergangenes Jahr in Lech.
LZT/D. Hurnaus

Vorbei das Jahr, die Kriege plündern weiter, die Leichenberge
wachsen stetig, darauf ist Verlass. Das Jahr vorbei der Gauner,
Lumpen, Lazzaroni und der Schläger, der Verschwörer
und der Hooligans? Nein. Ins Unendliche dreht sich die Gewalt-
spirale, als hätte ein Brancusi seine Hand im Spiel.
Wir ahnen, wer wir sind und was uns noch bevorsteht, bald.
Plötzlich war alles Krieg. Und alle waren schwer begeistert,
dass ein Schimpanse schiessen konnte, gar nicht zu reden
von den Krähen, die als Haubitzen um die Erde flogen.
Verdiente Mörder trugen im Mund das schöne Russisch
wie ein Dolch, die Sprache Puschkins, Gogols und Tolstois.
Wer sagt denn, dass der Mensch nicht teilbar ist? Man kann ihn
mit dem Messer in zwei Hälften schneiden, ihm die Finger trennen
von der Hand, den kleinen Kinderkopf vom Rumpf abreissen,
wenn Allah es für richtig hält. Man darf sich dabei filmen lassen
als Ausweis für die Ewigkeit, man darf die Filme teilen, kostenlos.
Wir sind die feste Leinwand, auf der die Bilder kleben bleiben.
Was für ein Jahr! Wie viel Elend kann die Welt ertragen,
bis sie endlich Abschied nimmt vom Menschen und wieder Stern wird
unter Sternen? Wir unterscheiden nur noch Länder, in die man
fliehen kann, und solche, die man tunlichst flieht, wo immer noch
mit Blut gedruckt wird, weil es billig ist und schöner aussieht
als Schwarz-Weiss. Die Protokolle der Weisen von Zion zum Beispiel,
aus dem Giftschrank der Geschichte gefischt im 21. Jahrhundert,
weil die Erfolgsgeschichte des Bösen noch nicht enden darf.
Makellos ist der Welt-Krieg. Makellos schon jetzt seine Bilanz.
Und wenn die Schmelze im Frühjahr beginnt, wird das Totentuch,
in zwei Jahren gewebt, nicht ausreichen, alle Leichen zu schützen.
Ist es ein Wunder, dass die Schönheit ihr Gesicht verloren hat?
Manchmal sah man Spuren von hungrigen Wölfen in der Gegend,
und auch der Braunbär ist gesehen worden,
wie er sich zwischen den Ruinen des vergangenen Jahres
seinen Weg bahnt. Nur von uns gibt es keine Erfolgsgeschichten
zu erzählen. Oder sollen wir den schwerfälligen Fleiss erwähnen,
mit dem wir uns rauszuhalten versuchen? Unser Warten,
bis das Elend noch mehr Substanz gewinnt und schwer wird
wie ein grosser dunkler Schrei?
Zu viel gesehen haben wir im letzten Jahr, der Nachruf kann nichts
andres sein als Schweigen. (Michael Krüger, 12.1.2024)