Tempo 100 Verkehrsschild
Das Leben entschleunigen und beim Autofahren wie auch beim Alkoholkonsum etwas auf die Bremse steigen. Was spricht dagegen?
IMAGO/Manngold

"Ich fahre mit dem Auto, alles geht so schnell. Rechts der Berg und links die Schlucht und über mir der Himmel so blau, blau, blau." Ist auch schon wieder ein Zeiterl her, dass Minisex auf der Neuen Deutschen Welle gesurft sind. Die Welt hat sich weitergedreht. Kein Berg und keine Schlucht weit und breit, wir fahren schließlich von Wien ins Burgenland – ja, mit dem Auto, aber nein, nicht wirklich schnell. Blauer Himmel passt fast immer zum Burgenland, dem zu Recht die meisten Sonnenstunden nachgesagt werden. Und prinzipiell ist es nachvollziehbar, dass es jemand eilig hat, dorthin zu kommen.

Aber bleiben wir vielleicht noch kurz in der Minisex- alias Jugendzeit. Meine Eltern hatten einen wahren Pünktlichkeitswahn, ich hatte zunächst mit ihnen um jede Minute des abendlichen Fortgehens zu streiten und kam dann so oder so regelmäßig zu spät nach Hause, was den nächsten Wickel zur Folge hatte. Aber das Ärgste daran: Ich bin dann selbst ein Pünktlichkeitsfanatiker geworden, da gab’s kein Auskommen. Nur ja nicht zu spät dran sein. Lieber die Rolltreppe raufhirschen, um die U-Bahn noch zu erwischen, lieber auf dem Radweg wie verrückt in die Pedale treten und lieber, zugegeben, manchmal ordentlich aufs Gas steigen.

Ich geh' vom Gas

Doch nun kann ich endlich sagen: Das war einmal. Eile mit Weile, so lautet mein neues Credo. Gar so neu ist es dann auch wieder nicht, sondern ein paar Monate alt – ich brauche keinen Jahreswechsel, um mir etwas vorzunehmen. Und ich hab mir vorgenommen, vom Gas zu gehen, auf Rolltreppen, auf dem Rad, vor allem beim Autofahren. Ja, ich bin der, den die Klimakleber zum Nach- und Umdenken gebracht haben. Wobei ich die klimaaktivistischen Museumsaktionen noch lustiger fand, vor allem die Aufregung über Farbe auf einer Glaswand vor einem Kunstwerk.

Aber wir schweifen ab. So ist das halt, wenn man nicht permanent aufs Tempo drückt. Da kann man schon ins Sinnieren kommen über Gott und die Welt und Österreich. Von wegen, es würde sich hierzulande keine Mehrheit links der Mitte ausgehen – auf Autobahnen geht sie sich locker aus. Da spräche gar nichts gegen einen ordentlichen Rechtsruck – es sei denn, man ist vielleicht selbst rechts unterwegs. Und mit meinem Hunderter bin ich das fast permanent.

Übrigens ist es keineswegs so, dass ich nur überholt werde und selbst gar nicht mehr überholen würde. Man glaubt gar nicht, wie viele Autos – oder eigentlich Menschen, die Autos können ja nichts dafür! – mit 80 km/h auf der Mittelspur festkleben. Anfänglich war ich versucht zu beschleunigen und ganz nach links zu wechseln, um sie quasi ordnungsgemäß zu passieren und dann wieder ganz rechts hinüberzupendeln. Aber mittlerweile halte ich mein Tempo und fahr einfach rechts an den Mittelspurklebern vorbei. Natürlich schau ich, wer da am Steuer sitzt, aber erstens hab ich keine Vorurteile, und zweitens bestätigen sie sich nicht. Da sitzen Männer und Frauen, Alte und Junge, Nichthutträger und Hutträger, Langhaarige und Glatzerte. Da sitzen Menschen wie du und ich.

Das Kennzeichen UU

Bemerkenswert sind die Kennzeichen, die einem auf der A4 oder auch Ostautobahn unterkommen. Slowakische, ungarische, überraschend viele schweizerische, deutsche, österreichische sowieso. Die österreichischen beschäftigen mich seit jeher, vor allem UU will mir nicht aus dem Sinn gehen. Urfahr-Umgebung, ich weiß schon, ein Bezirk, der ins Mühlviertel gehört, Sitz seiner Hauptmannschaft ist Linz-Urfahr, ein Stadtteil von Linz. UU ist schon recht schräg.

Aber die Slowaken bemühen sich mitzuhalten. Ihre Hauptstadt Bratislava erfährt auf Kennzeichen drei Abkürzungen: BA, BL und BT. Wieso just BR nicht, bleibt ein Geheimnis. BR hat sich die garantiert auch sehr schöne 20.000-Einwohner-Stadt Brezno geschnappt. Freilich haben die Slowaken im Vorjahr reformiert, seither wird bei Neuzulassungen auf Bezirkshinweise gepfiffen. Bald kann man beim Autofahren nicht mehr auf die Bauern aus Irgendwo oder die Schnösel aus Sonstwo schimpfen.

Gegen die Wand

Schon wieder abgeschweift. Wir waren und sind bei Tempo 100. Die Nörgler behaupten ja, dass das gar nicht so viel bringe und dass überhaupt alles wurscht sei, weil in China die Kraftwerke nur so aus dem Boden schössen. Gut, dann fahren wir bitte gleich gegen die Wand. Das Sparpotenzial sei überschaubar, wird genörgelt, und der Benzinverbrauch nicht viel niedriger als mit 130 Sachen. Nun, laut Umweltbundesamt liegt die Spritersparnis im Schnitt bei 23 Prozent. Ich führe kein Fahrtenbuch, und ich rechne sicher nicht nach – aber ich zäume das Pferd sowieso lieber von der anderen Seite auf.

Wir verlieren nämlich praktisch nichts, wenn wir mit 100 statt mit 130 unterwegs sind – jedenfalls kaum Zeit. So seh ich das. Kluge Köpfe haben ausgerechnet, dass man mit Tempo 100 bei der Fahrt von Wien nach Eisenstadt fünf Minuten einbüßt. Nach Graz und Linz sollen es maximal 22 Minuten, nach Klagenfurt 33, nach Salzburg 36 Minuten sein. Wie gesagt: in meinen Augen so gut wie gar nichts.

Was den Spritverbrauch angeht, schiele ich, zugegeben, regelmäßig auf die Reichweitenanzeige. Wenn ich in Wien einsteige, wird mir beispielsweise angezeigt, dass ich noch 200 Kilometer weit komme. Ich bin bald auf der Autobahn, dort noch kurz mit 80 und dann mit 100 unterwegs – und die Reichweite vergrößert sich, geht bis auf 240 Kilometer hinauf. Nach fünfzig bis sechzig Kilometern fahre ich ab, dann noch eine Zeitlang auf der Bundesstraße. Und wenn ich mein Ziel erreicht habe, bin ich immer noch bei 190 Kilometer Reichweite. Das find ich nicht unwitzig – freilich spielt vielleicht mit, dass der Verbrauch der Fahrt davor etwas höher war und dass sich dieses Spiel nicht ewig fortsetzen lässt.

Kilometeranzeige Georg Werthner
Bei 999.999 Kilometern blieb die Anzeige in Georg Werthners VW Passat einfach stehen.
privat

Das Beispiel Georg

Vor Jahren – diesmal bleiben wir auf Kurs, versprochen – hab ich mich einmal ausführlich mit dem ehemaligen Zehnkämpfer Georg Werthner unterhalten, der viermal an Olympischen Spielen teilgenommen und dabei als Vierter 1980 sein bestes Ergebnis erzielt hat. Thema war nicht die Leichtathletik, in der Werthner auch als Organisator und Trainer überaus erfolgreich ist, sondern das Autofahren. Der Oberösterreicher, dessen Ziel stets war, "ein möglichst Ressourcen-schonendes Leben zu führen", war nämlich gut zwanzig Jahre lang mit ein und demselben Auto unterwegs, einem VW Passat mit 115 PS Pumpe Düse TDI, Baujahr 2000. Im Februar 2020 fuhr Werthner damit den millionsten Kilometer, und er war leicht enttäuscht, als die Kilometeranzeige nicht auf null zurückgesprungen, sondern bei 999.999 einfach steckengeblieben ist.

Zwanzig Jahre lang war er mit einem Motor, einem Getriebe, einer Kupplung ausgekommen. Das schaffte er, indem er "möglichst schonend und spritsparend" fuhr. Mit 60,5 Litern im Tank kam er bis zu 1700 Kilometer weit. Im Langzeitverbrauch erzielte er einen Verbrauch von 4,276 Litern auf 100 Kilometer. "Da waren aber alle Winter-, alle Berg- und alle Stadtfahrten inkludiert." Laut Werthner liegt "das effizienteste Tempo, je nach Topografie, bei 90 bis 100 km/h". Natürlich war er so "länger unterwegs als andere. Aber wenn einer auf einen Kaffee geht, weil er müde ist vom dauernden Gasgeben, hab ich ja wieder aufgeholt." Im Übrigen sei er mittlerweile "begeisterter E-Autofahrer mit viel Photovoltaik, um das Auto zu laden", garantiert kein militanter Tempo-100-Verfechter, sondern tolerant, und er wolle gewiss "niemanden aufhalten".

Die eindeutige Antwort

Da denke ich mir doch: Sei wie Georg! Dazu passt, dass ich auch auf anderem Gebiet vor geraumer Zeit meinen Verbrauch gedrosselt habe. Ja, ich bin auf alkoholfreies Bier umgestiegen. Dieses Experiment hatte gar keinen speziellen Auslöser, ich hab mich nur irgendwann gefragt, ob ich nicht weniger Alkohol vielleicht einen Mehrwert haben könnte. Und wer sich diese Frage stellt, kennt auch schon die Antwort. Also hab ich durchprobiert, was auf dem Markt zu kriegen ist. Das war teils bitter, wobei: Tatsächlich bitter war es eben nicht, sondern oft leider süß. Doch am Ende hab ich das eine oder andere Alkoholfreie gefunden, das durchaus trinkbar ist.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe weder dem Genuss vollends abgeschworen noch dem Exzess. Aber alles zu seiner Zeit. Klar freue ich mich, wenn jetzt zu Beginn des Jahres der eine oder die andere meinem Beispiel folgt. Dann ist in den Supermärkten das alkoholfreie Bier hoffentlich bald einmal nicht nur flaschenweise, sondern auch in Kisten erhältlich. Doch die Welt dreht sich so oder so weiter, über uns der blaue Himmel, im Burgenland und in Urfahr-Umgebung scheint die Sonne, und auf der Autobahn wäre ein Rechtsruck angesagt. (Fritz Neumann, 13.1.2024)