Leonore Gewessler
Die Wärmepumpe darf nicht zur Kulturfrage werden, meint Gewessler. Die aktuelle Diskussion über die Pendlerpauschale hält sie für unseriös.
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Obwohl ihr Ministerium hunderte Millionen an Förderungen vergibt, steht Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) in Beliebtheitsumfragen extrem schlecht da. Warum ist Klimaschutz so ein Spaltthema in der Gesellschaft?

STANDARD: Die deutschen Landwirte gehen wegen 3000 Euro Förderkürzungen auf die Straße. Wie können große Reformen gelingen, wenn kleine Einschnitte schon einen Sturm auslösen?

Gewessler: In einer Demokratie ist es das Recht jeder Interessengruppe, zu protestieren, das ist ein hohes Gut. Bei diesen Demonstrationen wird mit Galgen herumgefahren und Politikerinnen und Politikern gedroht – da wird schon eine Grenze überschritten. Ich glaube, wir müssen da sehr aufpassen, dass in legitimen Protesten nicht extremistische Kräfte eine Bühne bekommen, denen es nicht um die Landwirtschaft geht oder darum, dass die Betriebe ein gutes Auskommen haben, sondern die irgendwelche Umsturzfantasien propagieren.

STANDARD: Offenbar darf man keine Förderungen streichen. Ist das nicht die Lehre der türkis-grünen Koalition gewesen? Statt der Pflicht, Heizungen zu tauschen, gibt es höhere Förderungen.

Gewessler: Es gab zwei Optionen: Kämpfe ich um einen Vorschlag, der keine Mehrheit findet und der nie beschlossen wird? Oder suche ich einen anderen Weg zum selben Ziel? Wir haben jetzt ein Paket beschlossen, durch das es Klarheit im Neubau gibt und Förderungen für den Umstieg im Bestand. Der Plan, mit dem das Erneuerbaren-Wärme-Paket auf den Weg bringen, wird dazu führen, dass wir in den nächsten Jahren sogar mehr Heizungen tauschen als mit dem ursprünglichen Paket. Warum? Die Förderung ist derartig attraktiv, dass der Heizungstausch für alle die absolut logische Wahl wird. Stehe ich vor der Entscheidung, ob ich die alte Heizung repariere oder ein neues, zukunftsfähiges Heizsystem zu 75 Prozent gefördert bekomme, werde ich Letzteres tun.

STANDARD: Sie haben sich gegen ein Verbot entschieden. Klimapolitik allein durch Förderungen, kann das funktionieren?

Gewessler: Es sind nicht nur Förderungen. Wir haben gerade ein Verbot von Gasheizungen im Neubau beschlossen. Durch eine Reform bei der Normverbrauchsabgabe wurde das Fahren mit klimaschädlichen Verbrennern teurer. Was wir allerdings bei der Debatte über den Heizungstausch vermeiden wollten, ist, dass die Wärmepumpe zu einer Kulturfrage wird. Ich will nicht, dass im Klimaschutz Kulturkampf tobt, sondern ich will über die beste Lösung diskutieren.

STANDARD: Die ÖVP wirft Ihnen vor, dass Sie die Pendlerpauschale abschaffen wollen. Sie sagen, Sie wollen sie ökologisieren. Was stimmt?

Gewessler: Ich halte die Debatte, wie sie geführt wird, für unseriös und unredlich. Es braucht Unterstützung für Pendler, wo es notwendig ist. Es sind sich auch alle einig, dass wir die Pendlerpauschale gerechter machen müssen. Das haben wir im Regierungsprogramm vereinbart. Derzeit werden zum Beispiel diejenigen, die besser verdienen, mehr unterstützt als jene, die weniger verdienen.

STANDARD: Wie stellen Sie sich eine Ökologisierung der Pendlerpauschale vor?

Gewessler: Es gibt verschiedene Modelle, die man sich dazu anschauen kann. Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat zum Beispiel ein Modell vorgeschlagen, um die Öffi-Nutzung noch stärker zu bevorzugen und anzuheizen. Der Ball liegt jetzt bei Finanzminister Magnus Brunner, und ich freue mich, wenn er sich des Themas annimmt.

STANDARD: Der ÖVP wird es im Wahlkampf egal sein, ob es etwa ein Klimaschutzgesetz gibt oder nicht. Bei der grünen Wählerschaft sieht das anders aus. Machen Sie ausreichend Druck?

Gewessler: Diese Regierung hat in den letzten vier Jahren einen Hebel im Klimaschutz umgelegt. Wir sehen erstmals deutlich sinkende Emissionen auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der detaillierten Aufzeichnungen.

STANDARD: Das liegt aber auch an den hohen Energiepreisen und der Rezession.

Gewessler: Es gibt immer eine Kombination an Faktoren. Wir bauen die Erneuerbaren im Rekordtempo aus. Wir haben im öffentlichen Verkehr, in der aktiven Mobilität und der Industrie Maßnahmen gesetzt, damit wir auf Klimaschutzkurs kommen. Sind wir deswegen fertig? Nein, natürlich nicht. Deshalb machen wir auch weiter Druck.

STANDARD: Dennoch haben Sie auch mit dem Koalitionspartner ein Hilfspaket für Unternehmen wegen gestiegener Energiekosten abgesegnet. Das kostet heuer 1,8 Milliarden Euro. Gefördert werden dabei auch Sprit- und Gasverbrauch.

Gewessler: Wir sind als Bundesregierung in einer extrem krisenhaften Zeit im Amt. Es gab eine Pandemie, den russischen Angriffskrieg, die Energiepreiskrise. Und ja, da stehe ich dazu, da muss man auch unterstützen und der Wirtschaft sowie den Privaten helfen. Und das haben wir gemacht mit der Stromkostenbremse und auch mit der Unterstützung für Unternehmen. Umso wichtiger ist, dass man langfristige Schritte setzt, was wir auch gemacht haben.

STANDARD: Wie erklären Sie sich dann, dass Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer Ihnen vorwirft, dass Sie sich gegen ein Eingreifen bei den Energiepreisen gestemmt haben?

Gewessler: Offensichtlich macht sich der Wahlkampf bereits bemerkbar. Wir haben als Bundesregierung in die Preise eingegriffen. Wir haben national die Energieabgaben gesenkt. Wir haben auf europäischer Ebene im Rat der Energieminister sowohl einen Notfallmechanismus beschlossen als auch den Strommarkt neu geordnet. Wir haben die Stromkostenbremse und Unterstützungszahlungen beschlossen.

Klimaministerin Leonore Gewessler
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler vermutet: "Es war die Neigungsgruppe Russengas in der Wirtschaftskammer, die Putin nach der Annexion der Krim eingeladen hat."
© Christian Fischer

STANDARD: Mahrer hat behauptet, die Grünen hätten Schuld an der hohen Inflation, weil bei Energiepreisen nicht eingegriffen worden sei.

Gewessler: Bei dieser Diskussion halte ich mich lieber an die Realität als an ideologiegetriebene Unterstellungen. Die Realität ist: Wir haben einen Angriffskrieg in der Ukraine und eine globale Energiekrise. Das hat die Preise angetrieben. Und es war die Neigungsgruppe Russengas in der Wirtschaftskammer, die Putin nach der Annexion der Krim als Erstes eingeladen hat. Die uns jahrelang das Märchen erzählt hat vom immer günstigen und verlässlichen russischen Gas, für das wir jetzt teuer bezahlen. Es sind die Grünen, die dafür sorgen, dass diese Abhängigkeit Schritt für Schritt abgebaut wird: durch den Ausbau von Erneuerbaren, Energiesparen und Energieeffizienz, damit wir nicht mehr von einem Autokraten abhängig sind.

STANDARD: Kennen Sie diese Aussage: Vor Ende der Legislaturperiode will der Umweltminister gezielt Personen aus seinem Kabinett mit auf sie zugeschnittene Posten versorgen.

Gewessler: Nein, ich kenne sie nicht.

STANDARD: Das war die Kritik der Grünen an Ex-Umweltminister Andrä Rupprechter, weil er am Ende seiner Amtszeit Leute aus seinem Kabinett mit Jobs versorgte. Sie machen doch jetzt das Gleiche: Der Generalsekretär in Ihrem Ministerium, Herbert Kasser, wird neuer Finanzvorstand der Asfinag. Die stellvertretende Leiterin der Verkehrssektion, Elisabeth Landrichter, landet in der Chefetage der Austro Control.

Gewessler: Beide waren lange vor meiner Amtszeit in diesem Ministerium. Kasser wurde von einem roten Minister geholt, von einem blauen Minister wieder abgesetzt und von einer grünen Ministerin wieder zurückgeholt. Er will sich verändern und hat sich für einen Job beworben, für den er hochgradig qualifiziert ist. Elisabeth Landrichter ist seit vielen Jahren in der Luftfahrt tätig, die Luftfahrt zieht sich durch ihren Lebenslauf. Auch sie ist wesentlich länger als ich im Ministerium. Jetzt daraus eine Geschichte über Postenschacher zu drehen, um mir zu schaden, finde ich unlauter diesen hochkompetenten Personen gegenüber. Was daran wäre eine grüne Besetzung?

STANDARD: Es sind Ihnen nahestehende Personen.

Gewessler: Das Einzige, was mich an diesen Besetzungen interessiert: Ich brauche für wichtige Positionen in dieser Republik kompetente und qualifizierte Menschen, die große Verantwortung tragen. Und die suche ich.

STANDARD: Würden Sie noch einmal eine Koalition mit der ÖVP eingehen?

Gewessler: Eine Koalition messe ich nicht daran, ob ich mich gut verstehe oder an der Sympathie. Eine Koalition messe ich an den Ergebnissen. Und das ist auch das, was sich die Menschen von uns erwarten. Wir sehen einen großen Vertrauensverlust in die Politik und den werden wir nur reparieren können, wenn wir Ergebnisse liefern. Wenn wir Dinge umsetzen, die für die Menschen in dem Lande Verbesserung bedeuten. Und solange das in einer Koalition gelingt – und im Klimaschutz tut es das –, solange ist es die Koalition auch wert. Wenn das nicht mehr ist, ist die Situation eine andere.

STANDARD: Sie sind in keine Korruptionsskandale verwickelt, Sie haben viele Förderungen ausgeschüttet. Wie erklären Sie sich, dass Sie in Umfragen immer wieder so unbeliebt sind?

Gewessler: Mein Antrieb, in die Politik zu gehen, war, zu helfen, jene Veränderungen auf den Weg zu bringen, die wir brauchen. Große Unsicherheiten angesichts von Veränderung werden immer herausfordernd sein. Und es war klar, dass man mit großen Veränderungen, die man auf den Weg bringt, keinen Beliebtheitswettbewerb gewinnt. Aber darum bin ich nicht in die Politik gegangen. (Nora Laufer und András Szigetvari, 13.1.2024)