Portrait Sonja Rieder
Sonja Rieder sieht in ihrer Arbeit oft, dass Menschen ihre gesamte Anerkennung in ihrer Arbeit suchen. Und das kann gefährlich sein.
Privat

Wann ist eigentlich ein guter Zeitpunkt, um eine Karriereberatung in Anspruch zu nehmen? Immer, wenn man selbst mit dem Grübeln nicht mehr weiterkommt und auch der Rat der engsten Vertrauten nicht mehr weiterhilft, meint Sonja Rieder. Sie ist Psychotherapeutin und Karrierecoach in Wien und begleitet seit über 15 Jahren ihre Kundinnen und Kunden in den verschiedensten Lebenslagen.

Jeder Mensch brauche Ausgleich zur Arbeit, davon ist sie überzeugt. Rieder interessierte sich eine Zeitlang zum Beispiel brennend für die römische Antike. Auch schwimmt sie dreimal in der Woche, sonst freue sie nichts mehr, sagt sie – und das, obwohl sie ihren Beruf sehr mag.

Was Liebe und Arbeit gemeinsam haben? "Viele hoffen auf den Traumprinzen oder eben den Traumjob", sagt Rieder. Privat- und Berufsleben werden demnach mit Erwartungen überfrachtet. Das könne nur schiefgehen. Vielen falle auch die Trennung sehr schwer, egal ob von der Lebenspartnerin oder dem Arbeitgeber. "Wir gehen mit unserer eigenen Biografie in die Arbeit, deshalb trifft uns manchmal das Verhalten von Kolleginnen oder Chefs so sehr oder können wir eben schwer loslassen", meint Rieder. Welche Ratschläge sie ihren Klientinnen und Klienten nie geben würde, verrät sie im Gespräch.

1. Nur auf einen Karriereweg fokussieren

"Gerade werden viele Spezialistinnen und Spezialisten gesucht. Um Spitzenleistungen in einem Gebiet zu bringen, ist es natürlich auch notwendig, sich voll und ganz auf ein Thema, einen Karriereweg zu fokussieren. Aber ich denke, über Jahrzehnte alles auf eine Karte zu setzten ist ein großes Risiko. Eine Karriere ist nie ganz kontrollierbar, auch wenn uns das oft vorgegaukelt wird. Mir begegnet in meiner Arbeit noch immer die Vorstellung von Erfolgskarrieren, die nur von der eigenen Anstrengung abhängen. Das ist oft ein Trugschluss.

Denn man kann auch einfach Pech haben. Vielleicht geht aus irgendwelchen Gründen der Plan nicht auf. Oft sind externe und nicht kontrollierbare Faktoren der Auslöser. Alles auf eine Karriere, auf eine Karte zu setzen empfinde ich als unangemessenes Risiko. Ehrgeiz macht verwundbar. Im schlimmsten Fall kann ein solcher Rückschlag sogar zu einer Identitätskrise führen. Deswegen empfehle ich immer, mehrgleisig zu fahren."

2. Keine anderen Leidenschaften pflegen

"Ich empfehle, noch andere Leidenschaften zu entdecken, zu pflegen und sich kontinuierlich beruflich weiterzuentwickeln. Hat man mehrere Steckenpferde, ist man weniger von einem Arbeitgeber abhängig und kann leichter einen neuen Karriereweg einschlagen. Besonders vorteilhaft ist es, beruflich etwas zu tun, was am Markt in ein anderes Feld konvertierbar ist. Wenn man noch planlos ist, was das sein könnte, kann man zum Beispiel Jobanzeigen durchschauen. So bekommt man ein Gefühl dafür, welches Wissen oder welche Fähigkeiten gerade vermehrt gesucht werden. Welche Teilbereiche decken sich vielleicht mit den jetzigen Tätigkeiten?

Apropos Leidenschaft, ich beobachte auch eine immer stärkere Beziehungslosigkeit zwischen Angestellten und Unternehmen. Das spüren und erleben auch meine Kundinnen. Sie sind davon nicht nur schockiert, sondern oft auch tief verletzt. Interessanterweise werben gerade viele Firmen damit, wie eine Familie zu sein. Doch allzu oft stellt sich das als reiner Marketinggag für die Anwerbung neuer Mitarbeitender heraus. Das finde ich höchst problematisch."

3. Kinderwunsch wegen der Arbeit aufschieben

"Ich erlebe bei Klientinnen sehr häufig den Satz: Noch ist nicht alles perfekt, noch ist nicht alles gelöst, noch habe ich nicht dieses oder jenes in meiner Karriere erreicht, deshalb kann ich jetzt noch kein Kind bekommen. Schwangere haben oft ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Arbeitgeber, nun für eine Zeit auszufallen. Und es stimmt, ein solches Lebensereignis unterbricht das Arbeitsleben. Viele Frauen müssen sich danach im Job erst wieder ihren Platz zurückerobern.

Aber ich denke, man kann grundsätzlich keine absolute Sicherheit im Leben erreichen. Natürlich kann es solide Gründe für das Aufschieben des Kinderwunsches geben. Aber dadurch werden die Unterbrechung in der Karriere und der Preis, den viele dafür bezahlen müssen, nicht weniger. Ich sehe das als gesellschaftliche Paradoxie: Unser Privatleben mit Kindern passt mit diesem Wirtschaftssystem oft nicht zusammen. Ich kann meinen Klientinnen in solchen Fällen nur Mut machen, ihre Entscheidung unabhängig vom eigenen Arbeitgeber zu treffen und ihren Kinderwunsch nicht wegen des Jobs aufzuschieben." (Natascha Ickert, 4.2.2024)