Die Suche nach einer Spitzenkandidatin hat lange gedauert. Sie war auch ein Krampf. Aber Montagvormittag konnte die Kanzlerpartei ÖVP doch Vollzug melden, mit welcher Nummer eins sie in die Europawahlen gehen wird: Sie ist ein Mann und heißt Reinhold Lopatka! Er ist Steirer, langjähriger außenpolitischer Sprecher der Partei, einst Generalsekretär, der für Wolfgang Schüssel Wahlkämpfe organisierte.

Und nicht zu vergessen: Lopatka war zu Zeiten der Euro- und Griechenlandkrise 2011 Staatssekretär im Finanzministerium. Ein Vollprofi, auch in Europafragen. Man könnte also meinen, die Auswahl durch Partei- und Regierungschef Karl Nehammer sei top.

Leider nein. Sie war eine Notlösung. Die ÖVP ist bei aller Kritik noch immer eine überzeugte Europapartei. Mit Außenminister Alexander Schallenberg und Karoline Edtstadler stellt sie zwei kompetente, bei den Partnern EU-weit gut vernetzte, anerkannte Minister.

Reinhold Lopatka
Geht für die ÖVP bei der Europawahl ins Rennen: Reinhold Lopatka.
IMAGO/SEPA.Media/Michael Indra

Dass nun ein 63 Jahre alter Berufsfunktionär für die ÖVP ins Rennen geht, liegt daran, dass die beiden – und einige andere – abgesagt haben. Kein Zeichen der Stärke, sondern der europapolitischen Schwäche, einer Ignoranz für die EU als Zukunftsmodell des Landes.

Dieses Desinteresse gibt es personell bei allen Parteien im Land. Diese liefern sich gerne Schlammschlachten um alle möglichen großen und kleinen Skandale. Entscheidende inhaltliche, sachpolitische Themen, die große Fragen der Zeit, die ohne EU-Konnex nicht mehr zu lösen sind, gehen unter – von Klima über Wirtschaftsankurbelung bis Sicherheitspolitik. Man muss Politiker, die sich mit tieferen Zusammenhängen beschäftigen, die ein attraktives Angebot wären, mit der Lupe suchen. Ein übertriebener Befund?

Keineswegs. Die ÖVP verkündete die Kür Lopatkas verschämt per Presseaussendung. Wo sind die Frauen, die Spitzenkandidatinnen für die entscheidende Gruppe weiblicher Wähler? Nehammer hat keine gefunden. Die weithin unbekannte Delegationsleiterin in Straßburg, Angelika Winzig, dürfte Nummer zwei werden. Auch die SPÖ war da wenig kreativ. Nicht die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Evelyn Regner, steht ganz vorne, sondern Andreas Schieder: solide. Aber Wahlmagnet? Die SPÖ hat kein neues Gesicht auf vorderen Listenplätzen. Bei den Grünen, selbsternannten Supereuropäern, sieht es noch trauriger aus: fünf Monate vor der Wahl kein Team, keine Spitzenkandidatin. Klimaministerin Leonore Gewesseler sagte ab, der Parteitag wurde verschoben.

Und die Neos, die sich gerne als Avantgarde für die Jungen, die Weltoffenen, sehen, die Leistungsfähigen? Helmut Brandstätter dürfte Spitzenkandidat werden, ein 68er an Jahren. Er möge verzeihen, aber in Frankreich hat eine liberale, sehr junge Generation mit Emmanuel Macron an der Spitze 2017 das Land mit einem fulminanten Europawahlkampf aufgemischt. Hierzulande?

Bleibt die FPÖ, die Partei der EU-Skeptiker. Sie geht wie 2019 mit Harald Vilimsky an der Spitze und zwei bisherigen EU-Abgeordneten in die Wahl. Folgerichtig. Er ist einer der Drahtzieher der extrem rechten EU-Fraktion mit AfD und Lega. Petra Steger kandidierte schon 2019, nahm das EU-Mandat nicht an. Es gibt wenig Neues in den Parteien zu Europa, was Kraft hätte. Kein Zufall, aber symptomatisch. Wenig überraschend, wenn die Bevölkerung EU-müde ist? (Thomas Mayer, 15.1.2024)