Abtreibung ist in Österreich bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats straffrei, aber nicht legal. Das ist einer der Kompromisse.
Abtreibung ist in Österreich bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats straffrei, aber nicht legal. Das ist einer der Kompromisse.
IMAGO/Aleksander Kalka

Bald gilt die Fristenlösung in Österreich ein halbes Jahrhundert. Beschlossen wurde sie 1973, in Kraft trat die Regelung, dass Abtreibung bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats straffrei ist, im Jahr 1975. 50 Jahre – und trotzdem bedeutet das in Österreich weder, dass sich überall eine gut funktionierende Praxis etabliert hat, noch, dass es einen durchgängigen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Frauen allein über eine Schwangerschaft entscheiden können.

Bei einer Tagung im Wiener Rathaus am 17. Jänner wurde der Status quo rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch in Österreich untersucht und diskutiert – und es wurden einige Mängel aufgezeigt. Historikerinnen, Ärztinnen, Psychologinnen und Soziologinnen gingen der Frage nach: "50 Jahre straffreier Schwangerschaftsabbruch – und wie weiter?"

"Wir dürfen Frauen nicht durch eine Schwangerschaft zwingen", mit diesem Satz wird die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Barbara Maier immer wieder zitiert. Maier ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung und der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe, die die Tagung gemeinsam mit dem Wiener Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele veranstaltet haben. Individuelle Selbstbestimmung sei gerade in einem so intimen Bereich wie Sexualität zentral, sagt Maier in ihrem Vortrag, und: "körperliche Selbstbestimmung heißt Lebenssouveränität".

Ende der Bedenkzeit

Jedenfalls bewegt sich etwas. Viel in Richtung Liberalisierung, doch auch in die Gegenrichtung. Die Gynäkologin Sara Höflechner bot einen internationalen Überblick auf Schwangerschaftsabbrüche. Weltweit gibt es durchschnittlich 73 Millionen Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr, von zehn Schwangerschaften werden drei abgebrochen. 45 Prozent der Schwangerschaften waren nicht beabsichtigt. Diese Daten stammen aus dem "European Abortion Policies Atlas". Weltweit haben 40 Prozent der Frauen keinen Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch. 39.000 Frauen sterben pro Jahr an den Folgen eines unsicheren Abbruchs, etwa durch Blutungen oder Organverletzungen.

Die gute Nachricht: In 70 Ländern wurden in den vergangenen Jahren die Vorschriften zu Abtreibungen liberalisiert. Vor allem in Europa, Afrika und Asien. In insgesamt 60 Ländern wurden etwa die Wochengrenzen erhöht und der Zugang zu Abtreibung erleichtert. Irland hat 2018 eine dreitätige Bedenkzeit vor der Abtreibung abgeschafft, auch die Niederlande haben die Bedenkzeit aufgehoben, in Deutschland wurde 2022 das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gestrichen, und in Frankreich wurde die Frist für einen Abbruch bis zur 14. Schwangerschaftswoche verlängert.

Rückschritte gab es vor allem in den USA, Polen, Nicaragua und El Salvador. 111 Millionen Frauen leben in Ländern, in denen ein völliges Verbot herrscht, wie etwa im Iran oder den Philippinen. Negative Entwicklungen gab es vor allem in Polen mit einem De-facto-Verbot von Abtreibung und in Ungarn, wo Frauen gezwungen werden, die Herztöne des Fötus zu hören.

Im schlechten Mittelfeld

Der Atlas stuft auch ein, wie gut der Zugang zu Abtreibung ist – was unabhängig von der Gesetzeslage sehr unterschiedlich sein kann. Diese Differenzen ergeben sich etwa daraus, ob es eine Kostenübernahme der Krankenkassen sowie eine flächendeckende klinische Versorgung gibt oder ob der Staat geprüfte Informationen sowie auch Maßnahmen gegen Desinformation anbietet. Österreich befindet sich bei dieser Einstufung auf Platz 61 und liegt damit im schlechten Mittelfeld. Vorn liegen die Länder Schweden, Finnland, Spanien und Frankreich.

Doch warum unterlagen Schwangerschaften überhaupt derart der Kontrolle des Staats? Frauen wurde die Verantwortung für einen drohenden "Volkstod" zugeschoben, erklärt die Historikerin Maria Mesner. Ende des 19. Jahrhunderts, als sich Frauen zunehmend aus den Haushalten herausbewegten, kam das Thema Schwangerschaftsabbruch verstärkt auf. Mit dem Frauenwahlrecht Anfang des 20. Jahrhundert gab es dann auch Wählerinnen, auf deren Stimmen gehofft wurden – womit auch frauenpolitische Themen wie Abtreibung an Gewicht gewannen. Faschismus und Nationalsozialismus drehten das Rad wieder weit zurück. Erst die sehr sichtbare Frauenbewegung in den 1960er-Jahren, internationale Entwicklungen wie der Grundsatzerlass Roe v. Wade in den USA oder die Bewegungen in Frankreich und Deutschland brachten die Forderung nach Legalisierung auch nach Österreich. Letztlich wurde die Fristenregelung durch die Alleinregierung der SPÖ möglich. Und sie war von vornherein ein Kompromiss, betont Mesner. Der Paragraf musste im Strafgesetzbuch bleiben, die Kosten sind privat zu tragen, und es wurde eine Gewissensklausel eingeführt. Diese Klausel legt fest, dass man sich als Ärztin oder Arzt sowie medizinisches Personal aus Gewissensgründen weigern kann, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder daran mitzuwirken. All das ist in Österreich noch immer aufrecht und führt mitunter zu einer schlechteren Versorgungslage von ungewollt schwangeren Frauen in diversen Bundesländern.

Zur Gewissensklausel rief Sarah Höflechner noch einmal in Erinnerung, dass drei von zehn Schwangerschaften mit einem Abbruch enden. Wenn man die Gewissensklausel in Anspruch nehme, hieße das, dass drei von zehn Frauen nicht adäquat weiterbetreut werden. "Wenn man eine so hohe Prozentzahl von Frauen nicht weiterbetreuen möchte, dann muss man Augenarzt werden", sagt Höflechner.

Medikamentöser Meilenstein

Als wohl positivste Entwicklung der vergangen Jahrzehnte wurde die Möglichkeit des medikamentösen Abbruchs hervorgehoben. "Mifegyne war ein unglaublicher Schritt", sagt der Gynäkologe Michael Adam. Der medikamentöse Abbruch, der in Österreich seit 1999 zugelassen ist, "stärkt die Autonomie der Frauen", zeigte sich Adam überzeugt. Beim medikamentösen Abbruch könnten sie selbst entscheiden, wann und wo sie die Medikamente einnehmen. Beim chirurgischen Eingriff werde hingegen "etwas an ihnen gemacht".

Trotzdem sei es aus psychologischer Perspektive wichtig, dass Frauen weiterhin selbst die Wahl zwischen einem medikamentösen und einem operativen Eingriff treffen, sagt die Psychologin Miriam Gertz. Sie hat dazu geforscht, wie Frauen mit einem Schwangerschaftsabbruch umgehen und wie stark der soziale Kontext diese Erfahrungen prägt. Abtreibung löse nicht automatisch bestimmte Erfahrungen aus, vielmehr gebe es für Situationen im Leben "emotionale Skripten", die vorgeben, wie wir uns fühlen oder verhalten sollten, um sozialen Rollen gerecht zu werden. So würden sich manche Frauen schlecht fühlen, wenn sie keine Trauer fühlen, oder es wird angenommen, dass der Grad der Scham anzeigen kann, wie sehr bestimmte soziale Rollen eingehalten werden oder nicht. Andere fühlen sehr wohl Trauer. Generell sei es oft schwer, über diese Ambivalenzen zu sprechen, nicht zuletzt weil die Sorge bestehe, Mythen von Abtreibungsgegner:innen weiter zu befeuern. Der bekannteste ist das Post-Abortion-Syndrom. Diese angebliche psychische Erkrankung nach Abbrüchen wurden von Abtreibungsgegner:innen immer wieder ins Feld geführt, sie wurde wissenschaftlich aber längst widerlegt.

Eine überwiegende Mehrheit der Frauen ist nach einer Abtreibung der Meinung, dass ihre Entscheidung die richtige war. Trotzdem kann eine Abtreibung belastend sein, vor allem wenn sie mit Beziehungskonflikten, Wertekonflikten, Stigmatisierungen oder finanziellen Belastungen einhergeht. Die Fachleute sind sich einig: In Österreich werden genau diese Nebenwirkungen durch die bis heute geltenden Kompromisse der Fristenregelung unnötig aufrechterhalten. (Beate Hausbichler, 18.1.2024)