Illustration Meidlinger Schutzgeldgang
Im dicken Ermittlungsakt zur Causa rund um die mutmaßliche Meidlinger Schutzgeldgang ergaben sich zuletzt immer wieder neue Fährten.

Ein Wiener Burgerlokalbetreiber wird heute wohl mehr denn je darauf achten, wo er sich im Geschäft umzieht – und wie offen er sein private Kleidung dort herumliegen lässt. Speziell seine Hosen, seit er im vergangenen September nach Dienstschluss in die Taschen griff und darin nichts mehr vorfand. Der Autoschlüssel für seine BMW-Limousine war unauffindbar verschwunden.

Der nächste Gedanke des 36-jährigen Syrers galt dem Auto selbst. War es ebenfalls weg? Tatsächlich: Die Limousine stand nicht mehr dort, wo er sie in der Früh geparkt hatte. Der Lokalbesitzer suchte noch eine Weile das nähere Umfeld in Wien-Meidling ab. Nichts.

Der Syrer meldete den Vorfall umgehend der Polizei. Die konnte das gestohlene Gefährt orten. Es wurde nur etwa zehn Fahrminuten entfernt wieder abgestellt. Als die Ermittler die Limousine um 1:30 Uhr in der Früh versperrt aufgefunden hatten, warf ein weiterer Umstand Fragen auf: Die Polizei entdeckte im Kofferraum eine schwarze Sporttasche. Darin lag neben einem Handtuch ein unbrauchbares AK47-Sturmgewehr, dessen Lauf verschweißt war. Dem Syrer gehörte die Waffe nicht. Nur wem dann? Und was passierte in den Stunden, in denen das Auto gestohlen wurde?

"Ich park den um mit Handschuhe"

Was die Ermittler da noch nicht wissen: Bei dem Fahrzeugdiebstahl soll ein Mitglied einer neunköpfigen Meidlinger Schutzgeldbande im Alter von 14 bis 20 Jahren seine Finger im Spiel gehabt haben. Die Bande hatte im vergangenen September einen Handyshop mehrfach traktiert. Etwa mit Molotowcocktails, Böllern oder einem bewaffneten Raubüberfall. Mutmaßlich, um Schutzgeld zu erpressen. DER STANDARD berichtete. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Nur wie hat sich der Fahrzeugdiebstahl zugetragen? In dem mehr als 3.000 Seiten dicken Ermittlungsakt löst sich das Rätsel darüber allmählich auf.

Der Gastronom sperrte an jenem 25. September kurz nach acht Uhr sein Lokal auf und zog sich in einem separaten Raum sein Arbeitsgewand an. Seine Freizeithose mit dem Schlüssel in der Tasche hatte er über einen Sessel gehängt. Doch dieser Raum ist für die Allgemeinheit zugänglich auf dem Weg zum WC. Und dort dürfte ein 14-jähriger Wiener zugeschlagen haben.

Das legen zumindest Chats seiner mutmaßlichen Komplizen nahe. Der Bursche "hat bmw mit schlüssel", tippte ein 16-Jähriger mit Wurzeln in der russischen Teilrepublik Inguschetien am selben Abend gegen 20.30 Uhr in sein Smartphone. Wohl um einen 17-jährigen Bosnier dafür zu gewinnen, sich der Sache flott anzunehmen. "Ich park den um mit Handschuhe", sicherte der Bosnier zu. Und bekam retour: "Geh aber schnell ncivt (sic!) das weg ist. Ruf mich an wenn du in (sic!) auto bist."

Die Burschen dürften erfolgreich gewesen sein. Um 21.46 Uhr nahm der 14-Jährige im Bunde mit seinem Smartphone drei Videos auf. Eines davon zeigt ihn selbst, wie er laut Ermittlern "sichtlich" froh auf der Rückbank des gestohlenen BMWs sitzt. Außerdem spreche er in dem Selfie-Video darüber, dass der 17-jährige Bosnier die Limousine gestohlen habe. Der Bosnier konnte in einem anderen Videoausschnitt als Lenker identifiziert werden. Ein dritter Verdächtiger der mutmaßlichen Schutzgeldgang, ein 15-jähriger Syrer, saß auf dem Beifahrersitz und grinste in die Handykamera.

In einem der Videos sieht man dem jungen Syrer obendrein dabei zu, wie er etwas aus dem Kofferraum des BMWs holt, das verdächtig wie eine Langwaffe aussieht. Aus Sicht der Ermittler könnte es sich dabei um jene AK47-Attrappe handeln, auf die Polizisten nur wenige Stunden später gestoßen waren. Es spricht zumindest einiges dafür.

"Was gibt er ak rein"

Denn tags darauf unterhielten sich zwei der mutmaßlichen Mitglieder aus der Meidlinger Schutzgeldgang in Chats darüber, dass der 17-jährige Bosnier wohl seine schwarze Sporttasche im gestohlenen BMW vergessen habe und das Auto bereits von der Polizei gefunden worden sei. "Was gibt er ak rein", fragte sich einer. "Ka (Keine Ahnung, Anm.)", antwortete sein Chatpartner. Die Aufregung war groß: "Blyst (vermutlich Blyat, aus dem Russischen für "Scheiße" oder "Verdammt", zum Teil Jugendsprech Anm.) autodiebstahl schon schlimm aber das 1000 Mal schlimmer. (...) Jetzt ist Wahrscheinlichkeit viel größer dass die hinterhalt machen.“ Mit "die" ist wohl die Polizei gemeint.

Aber wer haftet nun eigentlich für den mutmaßlichen Autodiebstahl? Nur derjenige, der angeblich den Schlüssel gestohlen haben soll. Oder doch alle drei, die im Auto saßen?

Das muss die zuständige Wiener Staatsanwaltschaft noch klären. Des Diebstahls verdächtig sind nur dann alle drei Burschen, wenn die Anklagebehörde davon ausgehen kann, dass das Trio alles gemeinsam geplant und durchgeführt hat, sagen Strafrechtler. Im Raum steht dafür eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

Das reine Fahren des gestohlenen BMWs fiele strafrechtlich unter den unbefugten Gebrauch von Fahrzeugen. Darauf stünde eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe. Und sitzt man bloß auf dem Beifahrersitz, passiert erst einmal gar nichts. Das alleine ist noch keine Straftat. (Jan Michael Marchart, 23.1.2024)