Sorgte offenbar für Irritation: Doris Uhlich und ihr Ensemble eröffneten am Samstagabend bei klirrender Kälte nackt mit einem
Sorgte offenbar für Irritation: Doris Uhlich und ihr Ensemble eröffneten am Samstagabend bei klirrender Kälte nackt mit einem "Pudertanz" das Kulturhauptstadtjahr.
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Gmunden hat jetzt nicht nur ein Schloss im See, sondern auch die Schwimmplattform "Plateau Blo" der Künstlerinnen Sabine Pollak und Simone Barlian von der Uni Linz, um "die Ufer in den Blick zu nehmen" und den Anwohnern einen Ort für Dialog zu geben. Betrieben wird sie als Sauna. Warum? In Saunas sind alle nackt und daher gleich. Übrigens wurde sie nur von Frauen gebaut, was man auch als Statement verstehen darf.

Seit Mittwoch schwimmt die Insel im Traunsee. Bei der Präsentation am Donnerstag stieß sie bei anwesenden Gmundnern auf Kopfschütteln. Wie auch ihre Bezeichnung als "cisfluide" und als "Utopie, die den Mut hat, sich dem Imaginären zu stellen", noch eher wenig Enthusiasmus hervorriefen. "Die Zukunft liegt im Ländlichen", erklärten da aus der Stadt gekommene Künstlerinnen ihre romantischen Ideen von Stadt und Land. Es klang fast wie eine koloniale Übernahme mit den Mitteln der Bobolinguistik.

Tradition: Prangerschützen zogen anlässlich der Eröffnung der Kulturhauptstadt Salzkammergut am Samstag durch Bad Ischl.
Traditionelle Prangerschützen zogen anlässlich der Eröffnung der Kulturhauptstadt Salzkammergut am Samstag durch Bad Ischl.
APA/HELMUT FOHRINGER

Aber man hat ja jetzt im Salzkammergut ein Jahr Zeit, mit dergleichen zusammenzuwachsen, denn die Region ist Kulturhauptstadt 2024. Nach Querelen eröffnete Intendantin Elisabeh Schweeger das Jahr am Samstag. Im Juli 2021 quer in die bereits laufende Planung eingestiegen, versucht sie seither, der Region zwischen Bergen, Wasser und schönbrunngelben Fassaden einen anderen, "kantigen" Drall zu geben: Schweeger salzte nach. Man will Kultur als das neue Salz in der Suppe der Region verstehen.

Von der Welt abgeschnitten

Zumindest manche. Kulturhauptstädte hatten vorher oft kein ausgeprägtes Image oder eines, von dem sie weg wollen. Im Fall des Salzkammerguts ist das anders. Man fuhr damit bisher - mit lokalen Unterschieden - gut.

Um diese Region zu verstehen, sagt einem jeder, muss man wissen, dass die Salzkammerguter traditionsbewusst und stur sein können. Je höher die Berge, umso mehr. Seit 7000 Jahren wird hier Salz abgebaut, fast 650 Jahre lang war das Salzkammergut Privateigentum der Habsburger, die es und seine Bewohner wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Salzmine sicherheitshalber vom Rest des Reiches abgeschnitten hatten. Der Handel machte viele wohlhabend, die dem Salz zugeschriebene Fruchtbarkeitsförderung lockte schließlich die Habsburger leibhaftig an. Sisi! Ihnen folgten Aristokratie, Künstler, Tourismus.

Kunst als Begegnungsort? Das
Kunst als Begegnungsort? Das "Plateau Blo" vor dem Schloss im Traunsee.
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Wer wissen will, wie stolz man auf diese Künstler ist, der sollte dem Steinbacher Altbürgermeister Franz Kneißl begegnen. Er könne den Motor abstellen, sagt er zum Fahrer des Journalistenbusses, in den er an einem nur vermeintlich beliebigen Straßenabschnitt seiner Heimatgemeinde zusteigt, um ein paar Worte über Klimt loszuwerden, der hier gemalt hat. Weil Kneißl nach 20 Minuten immer noch viel zu sagen hat, bleibt er einfach im Bus: Gustav Mahler, Friedrich Gulda … "Kultur ist für uns ein tägliches Brot", sagt seine Nachfolgerin Nicole Eder. Volks- und Hochkultur meint sie gleichermaßen. "Wie sogt ma Holzknechtwallfahrt auf Englisch?" ist eine der Fragen, die sich jetzt stellen.

Man spürt nicht nur von den Gemeindechefs des rot dominierten Salzkammerguts den Willen zu dem, was hier passiert. Sogar Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), erst kein Freund der Idee, fand bei der Eröffnung am Samstag nur lobende Worte. Aber was passiert hier eigentlich? Und wie sehr begrüßen die Politiker es, weil es ihnen vielleicht allzu sehr zupasskommt?

Kunst soll den vielen Leerstand in der Region beleben - etwa in Bahnhöfen.
Kunst soll den vielen Leerstand in der Region beleben - etwa in Bahnhöfen.
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Der Aufregung der vergangenen Monate zum Trotz bemerkt man das Kulturjahr jetzt im Straßenbild der Bannerstadt Bad Ischl und rundum fast gar nicht. Es scheint, als wollte man dem Ort weniger einen Stempel aufdrücken, als nicht zu sehr bei dem stören, was das Salzkammergut seit ewig ausmacht. "Die Sponsoren sind wichtig, die Wirtschaft ist wichtig, die Touristik ist wichtig", klang Schweeger zuweilen fast genervt. Und beharrte eisern: "Kunst ist gesellschaftsbildend."

Will man aber künstlerisch die Leuchtturmprojekte benennen, kommt man ins Schwimmen. Von Graz 2003 fällt einem sofort das Kunsthaus („Friendly Alien“) ein, in Linz wurde 2009 stark die eigene Geschichte als "Führerstadt" thematisiert. Was wird von 2024 bleiben?

Overtourism, Abwanderung

Kaum jemand hatte damit gerechnet, als im November 2019 eine unabhängige europäische Jury das Projekt den Bewerbungen von St. Pölten und "Donbirn plus" vorzog. Overtourism, fehlende Arbeit, Abwanderung, Tradition als Themen passen zu den EU-Erwartungen. Seit der Initiierung 1985 haben sich die Vorgaben von einem "Fest der Kunst" in Richtung gesellschaftlicher Entwicklung verschoben: Wohlbefinden der Bevölkerung, Selbstbewusstsein eines Ortes, Gemeinschaftsgefühl, Inklusion bisher nicht erreichter Besuchergruppen.

Zu wenig Politik monieren manche am Programm – neben zu geringer Dotierung (30 Millionen) und zu vielen beteiligten Gemeinden. Doch: Das 100.000 Einwohner zählende estnische Tartu ist heuer auch Kulturhauptstadt. Unter dem Motto "Arts of Survival" geht es unter Beteiligung von Umlandgemeinden um ähnliche Ansätze. Was können andere von uns lernen, um in der Welt heute klarzukommen, was wir von anderen? Große Politik bleibt auch dort außen vor. Wir werden die Welt nicht ändern, hat man eingesehen – aber wenn, dann im Kleinen, Nächstliegenden.

Ein zur KZ-Gedenkstätte Ebensee gehörender Stollen wird mit Kunst bespielt werden und sich so mit der Geschichte auseinandersetzen.
Ein zur KZ-Gedenkstätte Ebensee gehörender Stollen wird mit Kunst bespielt werden und sich so mit der Geschichte auseinandersetzen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Es ist nicht so, dass Politik keine Rolle spielt. Die Schau Reise der Bilder wird sich etwa mit der NS-Zeit auseinandersetzen, auch eine Arbeit in einem von den Nazis zur Raketenforschung gebauten Stollen in Ebensee. Aber im Kern stehen alltäglichere Fragen nach einem künftig guten Leben. Das scheint ein vernünftiger, nachhaltiger Ansatz. Bloß tanzt man, in vier Leitlinien organisiert, auf so vielen Hochzeiten, dass bei vielen kleinen, oft nur kurz stattfindenden Projekten von Leerstand, Nachhaltigkeit, Wirtshauskultur bis Handwerk solche eher fehlen, die jeder sofort wahrnimmt. Wäre weniger, fragt man sich, mehr gewesen?

Qualität überzeugt bedingt

Kleine Gemeinden setzen wegen des geringen Budgets zuweilen eher einfach auf das, was bisher schon Publikum brachte, und labeln es mit dem orangen Logo. Projekte wie die Musikmaschine, die traditionelle Instrumente und Roboter kurzschließt, sind eher lärmendes Dekor. Die zentrale Kunstschau Kunst mit Salz und Wasser läuft bis Oktober im Sudhaus, wenn man sie in einem Hinterhof gefunden hat, versteht man aber Publikum, das angesichts von Werken, die aus Salz und Wasser eine riesige Batterie bauen, lieber Klimt sähe. Wasser und Salz, Gott erhalt’s! Doch die Qualität überzeugt nicht immer. "Für jede und jeden wird etwas dabei sein, aber Achtung, nicht alles wird für alle sein", fand Bad Ischls Bürgermeisterin Ines Schiller salomonische Worte..

"Luv Birds in toten Winkeln" der slowenisch-österreichischen Künstlerin Maruša Sagadin im Foyer der Alten Post Bad Ischl.
APA/HELMUT FOHRINGER

Das zuletzt als Kino und Diskussionsort genutzte Lehár-Theater wird ab 2025 saniert. Das sieht man im Ort positiv, es wäre ohne Kulturhauptstadt wohl nicht passiert. Das Hand.Werk.Haus in Bad Goisern kriegt aus dem Budget indes nichts, aber Aufmerksamkeit und Kontakte – sodass Sponsoren Maschinen für Workshops stifteten.

Gegen das Sujet einer Goldhaubenfrau, die in einen Kebab beißt, hatte sich im Herbst ein Brauchtumsverein mit Erfolg quergelegt. Da wird es wohl einige Frauenstamm­tische in Bad Mitterndorf brauchen. (Michael Wurmitzer, 21.1.2024)