Es geht bergab. Der Leistungstrend der österreichischen Schülerinnen und Schüler seit der ersten Pisa-Testung im Jahr 2000 weist in allen Domänen – Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – nach unten. Das ist die alarmierende Wahrheit über den deplorablen Zustand unseres Schulsystems.

Fakt ist: Wir haben ein echtes Problem. Kein Herumdeuteln. Keine Flucht in die trügerische Kuscheligkeit des Mittelfelds, wo es sich Österreich zu bequem gemacht hat. Dieses (rechnerische) Mittelmaß ist verhängnisvoll, weil es nicht nur individuelle Schicksale ignoriert und vorsätzlich Chancenentzug praktiziert, sondern auch das gesamtgesellschaftliche Gefahrenpotenzial außer Acht lässt.

Es betrifft nämlich auch die, die das Zufallsglück der Geburt in privilegierte Verhältnisse haben, das sie verlässlich auf das richtige Gleis im zweispurigen öffentlichen Schulsystem verschiebt – oder die Mittel, um diesem überhaupt zu entkommen und die schulische Reise mit einer Privatbahn anzutreten. Aber das schulische Unglück der anderen ist unser aller Problem. Es wird uns einholen – und dann wird es unangenehm, teuer und (demokratie)politisch gefährlich. Die gleichgültige Gesellschaft, die wie im Schlafwagen dahinzuckelt, läuft Gefahr, ein böses Erwachen zu erleben.

Höchste Zeit, etwas zu tun

Eine Schulklasse im Rahmen eines Fototermins anl. des Schulstarts in Wien
Szene aus einer Schulklasse in Wien Das schulische Unglück der anderen ist unser aller Problem.
APA / Eva Manhart

Also: Aufwachen, Schlafwagengesellschaft! Höchste Zeit, etwas zu tun. Grundlegend. Wir brauchen buchstäblich einen neuen, festen Boden, auf dem alle Kinder bestmöglich lernen können, den die Lehrkräfte mit Freude betreten wollen, dem die Eltern vertrauen können. Auch ohne Pisa ist offenkundig, dass wir an einem Punkt sind, an dem wir grundsätzliche Fragen stellen müssen. Die äußeren Rahmenbedingungen haben sich massiv verändert, der Zustand der Welt konfrontiert alle Gesellschaften mit Problemlagen, die nicht mit einer sedativ gepflogenen Ruhe in der Mittelmäßigkeit zu bewältigen sind.

Das erfordert politisches Wollen, das über ein Koalitionsabkommen für fünf Jahre hinausgeht. Nicht nur kleinkrämerische Reformcamouflage da und dort, wie etwa die jüngste "Reform" der Lehrerausbildung, die de facto nur bedeutet, dass noch mehr Noch-nicht-ganz-Lehrkräfte nach drei Jahren Studium die wachsende Personallücke füllen sollen.

Nachhaltige Änderungen

Das reicht nicht (mehr). Es braucht ein großes Gespräch über Bildung, ein kollektives Engagement, einen, am besten überparteilichen, nationalen Aktionsplan für Bildung, um das versteinerte Problem endlich systematisch anzugehen und nachhaltige Änderungen zu initiieren. Mit kleinen Maler- und Anstricharbeiten ist es nicht mehr getan.

Das fordert alle. ÖVP und Grüne, in den letzten Zügen koalitionärer Gebundenheit, haben den jüngsten Pisa-Ergebnissen ihr gemeinsames Bemühen um die Elementarpädagogik entgegengehalten. Neos benannten die zwei Großprobleme: Unser System schafft weder Exzellenz noch Gerechtigkeit. Die SPÖ will die soziale Schieflage mit einer gemeinsamen Schule ausgleichen. Die FPÖ pocht auf den gerade auch für die Schule spielentscheidenden Faktor Sprache.

Jede Partei benennt unterschiedliche Aspekte eines multipel versagenden Schulsystems, das auch Symptomträger für andere Bereiche ist. Sie gehören zusammengeführt. Es gibt keine Insellösung. Schule ist Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung einer Gesellschaft. Sie geht alle an. Darum muss die Bildungsreform ein nationales Projekt werden. (Lisa Nimmervoll, 22.1.2024)