"Die Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet" – so sieht es der Gesetzgeber in § 90 Abs 1 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) vor. Wann vom Grundsatz des gemeinsamen Wohnens abgegangen werden darf und ob der nach einer Trennung in der Ehewohnung verbleibende Ehepartner die Ehewohnung aufgeben darf, hat der Oberste Gerichtshof in einer rezenten Entscheidung klargestellt (OGH 27.6.2023, 4 Ob 71/23d).

Das Verhältnis zwischen den Ehegatten, welche sich nunmehr als klagende sowie beklagte Parteien vor Gericht wiederfanden, war vor allem eines – äußerst kompliziert. Es ging um die Frage, ob die klagende Ehegattin in ihrem familienrechtlichen Wohnungserhaltungsanspruch verletzt wurde. Dieser sieht vor, dass jener Ehegatte, welcher über die Ehewohnung allein verfügungsberechtigt ist, alles unterlassen und vorkehren muss, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte die Ehewohnung nicht verliert.

Tür wird geöffnet
Wird der Anspruch auf die Ehewohnung verwirkt, wenn man zur Pflege der Eltern mehrere Monate nicht in die Liegenschaft kommt? Damit beschäftigte sich zuletzt der Oberste Gerichtshof.
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Der Gesetzgeber hat abweichend vom Grundsatz des gemeinsamen Wohnens auch Ausnahmen vorgesehen, so kann die gesonderte Wohnungsnahme unter anderem aus wichtigen persönlichen Gründen zulässig sein. Sobald dieser wichtige persönliche Grund entfällt, lebt die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen wieder auf.

Ausgelaufener Mietvertrag

Das Ehepaar ist seit Mai 2016 verheiratet, ein im Jahr 2017 eingeleitetes Scheidungsverfahren endete, da sich beide zur Fortsetzung der Ehe entschlossen haben. Seit September 2019 ist erneut ein Scheidungsverfahren anhängig. Im vorehelich abgeschlossenen Ehevertrag war vorgesehen, dass die im Eigentum des Beklagten stehende Wohnung als Ehewohnung dienen soll. Noch vor der Eheschließung hat der Beklagte eben diese seinem Sohn geschenkt und von diesem auf Grundlage eines unbefristeten Mietvertrags gemietet. Im Zuge des ersten Scheidungsverfahrens schloss der Beklagte ohne Wissen der Klägerin einen neuen, befristeten Mietvertrag hinsichtlich des als Ehewohnung deklarierten Mietobjekts mit seinem Sohn ab.

Um ihren Vater nach einer Operation zu pflegen, zog die Klägerin später zwischenzeitlich wieder in ihr Elternhaus. Als die Klägerin nach einigen Monaten der Pflege in die Ehewohnung zurückkehren wollte, musste sie feststellen, dass der Beklagte die Schlösser zu dieser getauscht hatte und ihr der Zutritt nicht mehr möglich war. Zu ebendiesem Zeitpunkt ist auch der Mietvertrag ausgelaufen und wurde aufgrund mehrfacher vergangener Streitigkeiten zwischen der Klägerin und der Lebensgefährtin des Sohnes, welche im selben Haus leben, nicht verlängert.

Der Beklagte zog daraufhin in eine durch eine GmbH, an welcher er einen Minderheitsanteil hält – Mehrheitsgesellschafter ist sein Sohn –, kostenlos zur Verfügung gestellte Wohnung, während die Klägerin in einem Zimmer einer Privatpension unterkam.

Verletzung ehelicher Pflichten

Vor diesem Hintergrund begehrte die Klägerin im Wesentlichen Wiederherstellung durch Zutritt zur und rechtmäßigen Aufenthalt in der erstgenannten (Ehe-)Wohnung sowie die Unterlassung künftiger Störungen. Im Zuge des Verfahrens passte sie ihr Begehren dahingehend an, dass auch die zweite Wohnung als Ehewohnung diente und ihr daher hilfsweise Zutritt zu dieser zusteht.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und führten aus, dass der Beklagte nach Ende des Mietvertrags über die erstgenannte Wohnung keine Verfügungsberechtigung mehr habe, hinsichtlich der zweiten Wohnung falle diese nicht unter den besonderen Schutz einer Ehewohnung, da sie als solche nie gedient habe und dies auch für die Zukunft nicht vorgesehen war.

Der Oberste Gerichtshof pflichtete der Klägerin dahingehend bei, als der Beklagte sowohl durch den Schlosstausch als auch durch die Befristung des Mietvertrags ohne Wissen der Klägerin gegen seine ehelichen Pflichten verstoßen hatte. Die Klägerin hat sohin durch ihren zwischenzeitlichen Auszug zur Pflege ihres Vaters keinerlei eheliche Pflichten verletzt, und der in der Ehewohnung verbleibende Beklagte hätte diese in der Zwischenzeit nicht aufgeben dürfen, weil jeder Ehegatte das Recht behält, die Ehewohnung jederzeit und ohne Einholung der Zustimmung oder Gestattung durch den anderen Ehegatten zu betreten und zu benützen.

Wohnung dennoch nicht nutzbar

Das Klagebegehren der Klägerin ist aber aufgrund des nicht mehr bestehenden Mietvertrags nicht möglich, weshalb die begehrte Wiederherstellung hinsichtlich der erstgenannten Wohnung schlicht nicht mehr bewirkt werden kann. Da die zweitgenannte Wohnung erst nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch den Beklagten bezogen wurde, kann die Klägerin auch hinsichtlich dieser keinerlei Ansprüche geltend machen.

Letztlich konnte die Klägerin ihr Begehren daher nicht mehr durchsetzen und verbleibt somit lediglich ein Schadenersatzanspruch, dieser kann etwa auf Ersatz des Aufwands für die Erlangung einer anderen Wohnmöglichkeit gerichtet sein. Ein solcher wurde von der Klägerin jedoch nicht begehrt.

Der Entscheidung ist im Grunde beizupflichten, folgt sie doch dem Grundsatz nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet – niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selbst hat. Übrig bliebe die ersatzweise Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches, warum ein solcher nicht begehrt wurde, ist aus der Entscheidung nicht ersichtlich. (Julia Andras, Magdalena Kainz, 26.1.2024)