Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer wird am Freitag eine Rede halten und damit endgültig den Wahlkampf einläuten.
Heribert Corn

In der ÖVP geht die Nervosität um. Die Stimmung ist angespannt. Es läuft nicht, wie es soll. Vieles ist so unklar in diesem Superwahljahr, das manche schon jetzt verfluchen. Am Freitag wird der Kanzler eine Rede halten, in der er seinen Plan für die Zukunft des Landes präsentiert. Nach und nach lassen seine Leute bereits erste Ideen durchsickern. Es soll Karl Nehammers Moment werden, ab dem es wieder bergauf geht. Jedenfalls wird der ÖVP-Chef den Wahlkampf einläuten.

In der Volkspartei erwartet sich niemand Wunder, aber doch eine klarere Positionierung, die bisher oft fehlte im Kampf gegen die Krisen und in Koalition mit den Grünen. Ab jetzt soll es vor allem um die ÖVP gehen. Intern laufen die Wahlkampfvorbereitungen längst, auch wenn sich niemand mit Sicherheit zu sagen traut, wann gewählt wird.

Türkises Erbe

Eines jedoch ist allen in der ÖVP klar: Das Wahlergebnis wird deutlich schlechter ausfallen als bei der vergangenen Wahl. 2019 bekam die Volkspartei unter Sebastian Kurz fast 38 Prozent der Stimmen. In Umfragen liegt die ÖVP davon meilenweit entfernt, und das bedeutet für Funktionärinnen und Funktionäre auch eines: Es wird weniger Jobs geben, weniger Mandate, weniger Personal, weniger Parteiförderung.

Im Hintergrund laufen bereits Gespräche über die Listenerstellungen. Aktuell wurden noch nicht einmal die Kandidaten für die EU-Wahl beschlossen, diskutiert wird jedoch auch längst über jene für die Nationalratswahl. In Österreich gilt das Listenwahlrecht. Wer weit genug oben auf der Liste einer Partei steht, bekommt ein Mandat fürs Parlament. Durch Vorzugsstimmen können Wähler die Reihung ändern – jedoch nur bei sehr vielen Vorzugsstimmen. Die Volkspartei hat das System deshalb einst verschärft. Dieses parteieigene Vorzugsstimmensystem soll nun wieder abgeschafft werden. Zumindest wird darüber parteiintern gerade gestritten, wie mehrere Funktionäre der ÖVP im Gespräch mit dem STANDARD bestätigen.

Rechtliche Grauzone

Konkret war es so: Vor der Nationalratswahl 2017 sicherte sich Kurz die Möglichkeit, Kandidaten für die Bundesliste eigenmächtig auszusuchen – gleichzeitig ließ er die Umreihungshürden aller Listen der ÖVP halbieren.

Das sollte dazu anspornen, dass Kandidaten, die auf einem sicheren Listenplatz stehen, ebenso engagiert wahlkämpfen wie jene, die sich in einer schlechteren Situation wähnen. Intern sollten alle um möglichst viele Vorzugsstimmen rittern, um von hinteren Listenplätzen "vorgereiht" zu werden – und so ein Nationalratsmandat zu ergattern. Auf den vorderen Plätzen ging es darum, sich nicht zu blamieren. Wer will schon als Ex-Minister von einem Neuling überholt werden? Bei der Nationalratswahl 2017 schafften so sieben ÖVPler eine parteiinterne Vorreihung.

Bei der Europawahl 2019 wurde das System dann auf die Spitze getrieben. In der ÖVP zählten überhaupt nur noch die absoluten Vorzugsstimmen. So gelang es Karoline Edtstadler, das ÖVP-Urgestein Othmar Karas zu überholen. Sie bekam mehr Vorzugsstimmen und wurde dadurch für kurze Zeit sogar Leiterin der ÖVP-Delegation im EU-Parlament, ehe sie unter Türkis-Grün als Europaministerin wieder nach Wien wechselte.

Mit dem Kurz’schen System reizte der türkise Altkanzler eine Grauzone des Wahlrechts aus, die streng genommen rechtsunwirksam ist. Denn es ist eigentlich klar vorgeschrieben, wie viele Vorzugsstimmen man braucht, um vorgereiht zu werden.

Die halbe Hürde "sicherte" die ÖVP deshalb in ihrem Statut mit einem Passus ab, wonach Kandidaten "freiwillig" auf ihr Mandat verzichten müssen, sollte ein anderer Kandidat mehr Vorzugsstimmen erhalten. Das offizielle Wahlrecht kennt diese Regelung nicht.

Schon bei der Nationalratswahl 2019 war das parteiinterne Interesse am türkisen Vorzugsstimmensystem wieder etwas verflogen. Auch aus Kostengründen: Ein breit angelegter interner Personenwahlkampf geht ins Geld. Das sei einer der Gründe, warum manche in der Partei das System nun ganz abschaffen wollen. Ein anderes Argument ist, dass so unnötig parteiinterne Gegnerschaften erzeugt würden. Andere Türkise wollen an der Idee der Vorreihungen festhalten: "Gerade bei dieser Wahl ist es dringend notwendig, dass alle rennen", sagt ein Funktionär. "Durch den Verlust an Mandaten wird die Listenerstellung ohnehin kein Akt der Nächstenliebe bei uns."

Doppelwahl im Juni?

Uneinig ist man sich in der ÖVP auch über die Frage, wann gewählt werden soll. Die Tendenz geht weiterhin Richtung Herbst, es gibt jedoch auch zahlreiche Stimmen und Argumente für Juni – also für eine Zusammenlegung von EU-Wahl und der Nationalratswahl.

Letzterem kann so mancher Funktionär in der Volkspartei durchaus etwas abgewinnen. Ein Mai-Termin scheint hingegen vom Tisch zu sein. Eine Nationalratswahl hat durch diverse Fristen eine Vorlaufzeit von rund drei Monaten. Dadurch müsste eine Mai-Wahl auch schon alsbald auf den Weg gebracht werden – danach sieht es nicht aus.

Für wahrscheinlicher halten einige Türkise die zusammengelegte Wahl am 9. Juni. Der Termin hätte den Vorteil, dass er sich als "effizient" verkaufen ließe – man rette die Österreicherinnen und Österreicher vor einem Dauerwahlkampf 2024, sagt ein ÖVP-Funktionär.

Innerhalb der ÖVP fürchtet man zudem eine "ordentliche Klatsche" bei der EU-Wahl. Umfragen prognostizieren der Volkspartei ein Minus von mehr als zehn Prozent. Nach so einem Absturz werde es für Nehammer medial und in Umfragen nur noch schwieriger, heißt es in der Partei. Und das wirke sich auf die Laune der Funktionäre aus.

Grüne für Herbst

Es spricht jedoch auch einiges gegen eine vorgezogene Wahl. Allen voran: Die FPÖ führt die Umfragen an, die ÖVP ist aktuell eher Dritter. Nehammer selbst soll zum Herbsttermin tendieren – auch, weil er Wahlen nicht ohne Absprache mit den Grünen ausrufen wolle.

In der Umweltpartei rechnet man sich bessere Chancen aus, wenn die Menschen am Wahltag noch den Hitzesommer in Gedanken haben. Die Grünen wollen also eine reguläre Wahl im Herbst. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 25.1.2024)