Zwei Personen in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
Die Arbeit von Menschen mit Behinderung in Tageswerkstätten wird nicht bezahlt. Die als arbeitsunfähig eingestuften Betroffenen erhalten lediglich ein Taschengeld.
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Rund 28.000 Menschen mit Behinderung sind in Österreich derzeit als arbeitsunfähig eingestuft und arbeiten dennoch – aber ohne Gehalt. Sie sind meist in Tages- und Beschäftigungsstrukturen der Bundesländer tätig. Für ihre Arbeit erhalten sie je nach Bundesland zwischen 35 und 100 Euro Taschengeld pro Monat. Ohne Lohn sind sie weder sozial- noch pensionsversichert und damit angewiesen auf eine Mitversicherung bei den Eltern. Sie müssen durch den Bezug von Sozialhilfeleistungen der Bundesländer ihren Lebensunterhalt bestreiten. Im Alter bleibt vielen nur ein Leben am Existenzminimum, denn Pension gibt es für sie nicht.

Behindertenvertreter fordern seit Jahren, dass Menschen mit Behinderung auch Zugang zum ersten Arbeitsmarkt bekommen und Mitarbeiter in Werkstätten entlohnt werden. Auch die Volksanwaltschaft hat immer wieder auf die prekären Arbeitsbedingungen in Behindertenwerkstätten hingewiesen. Die derzeitige Situation verstößt gegen Artikel 27 der in Österreich 2008 ratifizierten Behindertenrechtskonvention. Er besagt, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen haben. Sie müssen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit, die frei gewählt wird, zu verdienen.

Im Dezember hat die Bundesregierung nun angekündigt, das System der Beschäftigung für Menschen mit Behinderung umstellen zu wollen. Dass Menschen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen eine faire Entlohnung erhalten sollen, stand auch im Regierungsprogramm der schwarz-grünen Koalition.

EU-Förderung für Kärntner Pilotprojekt

Ein Pilotprojekt, bei dem Menschen mit Behinderung einen Lohn statt Taschengeld erhalten, läuft seit Herbst in Kärnten. 19 Bewerber und Bewerberinnen, die zuvor in einer Werkstätte gearbeitet haben, sollen in den ersten Arbeitsmarkt überführt werden. Sie werden für jeweils 19 Stunden pro Woche angestellt und gemäß dem Kollektivvertrag "Sozialwirtschaft Österreich" mit rund 1.050 Euro brutto entlohnt. Die ersten sechs Teilnehmer sind bereits in längerfristigen Praktika untergekommen. Sie arbeiten etwa als Regalbestücker, im Verkauf, in der Gastro, in einem Möbelhaus oder im Tierheim. "Die meisten würden gerne für immer dort bleiben", sagt Anna Eder-Tazreiter von der Lebenshilfe Kärnten, die das Projekt betreut. "Es ist sehr schnell gegangen, wie sie sich weiterentwickeln. Man muss den Menschen die Sachen auch zutrauen. Sie können es schaffen, wenn sie an sich selbst glauben."

Das Reallabor wird vorerst für zwei Jahre und unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt und anschließend evaluiert. Unterstützt werden die Menschen von der Lebenshilfe Kärnten, finanziert wird das Pilotprojekt vom Referat Chancengleichheit im Land Kärnten und mit Fördergeldern der Europäischen Union. Die Kosten für das Land belaufen sich pro Jahr auf rund 550.000 Euro. Die EU-Förderung beträgt 370.000 Euro.

Seit 2018 werden auch in der Steiermark Personen aus Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt begleitet. Rund 50 Teilnehmende beziehen seither ein Gehalt, sind voll sozialversichert und haben Anspruch auf Urlaub. Seit Jänner nehmen zudem rund 260 Menschen, die in Tagesstätten arbeiten, die Möglichkeit der Altersteilzeit oder Pension in Anspruch. In Tirol werden im Projekt "mittendrin – Inklusive Arbeit" aktuell 120 Personen begleitet, 80 haben bereits einen Arbeitsplatz mit Entlohnung nach dem Kollektivvertrag. Vom Land kommen Zuschüsse zu den Lohnkosten und für Mentoren in den Betrieben sowie für Case-Management und persönliche Assistenz am Arbeitsplatz. Dafür ist Vorarlberg wiederum Modellregion. Dort wird die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz mit jener in der Freizeit kombiniert. Das fördere die Bereitschaft von Arbeitgebern, inklusive Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, heißt es aus dem Büro von Landesrätin Martina Rüscher (ÖVP).

Die bundesweite Umsetzung wird herausfordernd. Denn obwohl die berufliche Teilhabe in der Kompetenz des Bundes liegt, sind für die tagesstrukturellen Einrichtungen und auch für die Vergütung der Leistungen die Bundesländer zuständig. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien im Auftrag des Sozialministeriums zeigt, dass sowohl die Menschen mit Behinderungen als auch der Bund und die Sozialversicherung von einer Gehaltsauszahlung an Menschen in Tageswerkstätten profitieren. Die Länder würden als einziger Player mit Zusatzkosten von 402 Millionen Euro pro Jahr aussteigen. Die Studienautoren gingen davon aus, dass die Länder im Rahmen des Finanzausgleichs dafür Ausgleichsforderungen stellen.

Länder wollen Mehrkosten nicht stemmen

Und genau hier spießt es sich. Ein STANDARD-Rundruf in den Ländern hat ergeben, dass zwar alle Soziallandesräte oder Ressortzuständigen für die Inklusion und faire Entlohnung von Personen mit Behinderung sind. Doch es fehle an den Rahmenbedingungen und Finanzierungsrichtlinien, um das Projekt umzusetzen. "Es liegt am Bund, die notwendigen Kriterien auf den Tisch zu legen, damit die nächsten Schritte getätigt werden können", sagt der burgenländische Soziallandesrat Leonhard Schneemann (SPÖ). Fragen zu den finanziellen Folgen für die Bundesländer seien noch unbeantwortet, heißt es aus mehreren Ländern unisono. Man erwarte, dass der Sozialminister in Gespräche mit den Ländern eintrete.

"In welchem Rahmen die Zusatzaufwendungen in den Ländern abgegolten werden, ist unklar, es muss auf jeden Fall dafür Sorge getragen werden, dass es auf Länderseite zu keinen Mehrkosten kommen wird", betont die Vorarlberger Landesrätin Martina Rüscher. Auch aus Tirol kommt die Forderung, dass der Bund die Mittel zur Verfügung stellen müsse: "Die damit verbundenen Mehrkosten, die im Millionenbereich liegen, können die Länder nicht schultern", ist Landesrätin Eva Pawlata (SPÖ) überzeugt. Und die niederösterreichische Landesrätin Susanne Rosenkranz (FPÖ) meint ebenso, die Finanzierung werde der Knackpunkt werden. Alleine in Niederösterreich rechne man mit Mehrkosten von 55 Millionen Euro.

Aus dem Sozialministerium heißt es auf STANDARD-Anfrage, man sei mit den Ländern und dem Arbeitsministerium im Austausch, wie sich das Modell umsetzen lasse. Konkrete Pläne, wer die Kosten übernehme, würden noch zu erarbeiten sein und könnten frühestens im Frühjahr bekanntgegeben werden. (Stefanie Ruep, 26.1.2024)