Giesche Volkstheater Wien
Die Besatzung eines Raumschiffs wird terminiert, dann öffnet sich bei "Die Angestellten" im Volkstheater eine Himmelsdecke aus Laserlicht.
Marcel Urlaub / Volkstheater

In einer programmierten Welt muss eine von Menschenhand geformte Keramikskulptur überaus bedrohlich erscheinen. Der freihändig und zweckfrei erzeugte Gegenstand verkörpert im wahrsten Sinn des Wortes Unberechenbarkeit. Ein solch wild geschwungenes Objekt, das aussieht wie eine im Moment des Verschüttens erstarrte, milchige Flüssigkeit, steht in der Mitter der großen Drehbühne im Volkstheater Wien und ist zugleich Menetekel und Zeugin eines Theaterabends, den man nicht alle Tage sieht.

Regisseur Alexander Giesche, bekannt für Aufführungen der von ihm kreierten Gattung "visual poem", gab sein Österreich-Debüt: In einem faszinierenden Bildertheater, das sich ganz dem ruhigen Schauen verschreibt, stellt er im Stück Die Angestellten von Olga Ravn mit strapaziös langen Kontemplativschleifen den Rezeptionseifer des Wiener Publikums hart auf die Probe. Es gab Abgänge.

Unruhe durch Dinge

Eine indefinite Skulptur wie die eingangs erwähnte – sie stammt von der Salzburger Künstlerin Ulrike Zerzer – kann beim betrachtenden Subjekt unkontrollierbare Dinge auslösen. Dieser Gedanke stand am Beginn von Ravns gefeiertem Roman (im dänischen Original 2018 erschienen, dann Shortlist Booker Prize), der von einem Raumschiff im 22. Jahrhundert erzählt, auf dem geheimnisvolle "Gegenstände", die nach der Entdeckung eines Planeten neu an Bord genommen werden, für Unruhe sorgen.

Menschliche wie humanoide Angestellte sind in diesem Raumfahrzeug im Auftrag der "Organisation" tätig, und nun, in Gesellschaft dieser neuen Dinge, machen sich in der Belegschaft eigenständige Gedanken und Taten bemerkbar. Ein Ausschuss soll diese "Vorfälle" untersuchen. Die Stückfassung besteht aus einer Kette von Antworten und Bekenntnissen der Angestellten, wie sie vor diesem Ausschuss, de facto dem Publikum, ihre tägliche Arbeit bewerten und wie sich die Beziehungen zwischen Menschen und Humanoiden entwickeln.

Felix Siwiński Volkstheater Angestellten Giesche
Die Besatzung des Raumschiffs als kleine menschenähnliche Horde in Latexkostümen von Felix Siwiński im Volkstheater.
Marcel Urlaub / Volkstheater

Der Sciencefiction-Stoff trägt Themen von der destruktiven kapitalistischen Produktivitätslogik bis zur Künstlichen Intelligenz in sich. Dafür entwickelt Technik-Fan Giesche mit Matthias Singer (Licht, Bühne) und Ludwig Abraham (Komposition) eine somnambule Bilder- und Tonschleife, die in zweieinhalb pausenlose und nicht ganz ohne Langeweile vonstatten gehenden Stunden das Menschsein, seine Vorzüge und seine immensen Schwächen befragt.

Kekse backen

Denn mehr und mehr, mit den allmählich wiederkehrenden Erinnerungen der menschlichen Mitarbeiter an irdische Natur („Duft von Eichenmoos“), erwacht auch bei den humanoiden Pendants eine Sehnsucht nach dem echten Menschsein. Ein Klischee, das Text und Regie erfreulich nüchtern verwalten. Eine dieser Humanoiden möchte programmierterweise einmal gerne Kekse backen – weiß aber gar nicht, was Kekse sind. So traurig.

Sieben Volkstheater-Schauspieler (Elias Eilinghoff, Frank Genser, Hasti Molavian, Lavinia Nowak, Nick Romeo Reimann, Uwe Rohbeck und Birgit Unterweger) bevölkern die von zwei ebenfalls wandernden Leinwänden begrenzte Drehbühne. Letztere bewegt sich in Zeitlupe und erzeugt so ein ausgeprägtes Gefühl von Dauer. Währenddessen sendet eine mittels Roboterarm geführte Livekamera technisch verzerrte Menschenbilder an die großflächigen Leinwände: zerrinnende Gesichter, gedehnte Augen, gezackte Arme, im Nichts endende Beine etc. Ein Strom des Morphens, für den der kanadische Videokünstler Jon Rafman Pate steht, der für diesen humanistisch uneindeutigen Ort eine bemerkenswerte, soghaft wirkende Darstellung findet.

Emoji-Memory

Bei Die Angestellten sind also die Bilder wichtig, nicht der Text. Das macht Giesche in langen Murmelpassagen deutlich, in denen sich die Belegschaft zusammenrottet – einmal zu einer die Sinne weckenden Duftkunde, ein andermal zum Emoji-Memory-Spiel (Tiere und Pflanzen gibt es ja nicht (mehr). Das überspannt den zeitlichen Bogen spürbar, so viel Entschleunigung ist kaum auszuhalten – ein hoher Preis, den die Inszenierung da kassiert.

Und die damit doch Recht behält. Nicht aufgeben lohnt sich. Am Ende, wenn mithilfe von Lasertechnik ein sogenannter Liquid Sky das Volkstheater durchzieht und den Saal in zwei Schichten teilt, wirken die oft rätselhaften Momente mit aller Wucht nach. Auch eine Töpferscheibe - das Sinnbild menschlichen Zivilisationsstrebens - wird einmal angeworfen.

Das freie Formen eines Tongebildes, derzeit wieder ein hippes Hobby, weckt in dieser beschränkten Welt Freiheitslust. Einer träumt vom Hinausgehen ins grüne Gras, von frischen Erdbeeren, von einer Brücke über den Bach. Die humanoiden Wesen möchten also nichts sehnlicher, als dort anzufangen, wo die Menschen gescheitert sind. Was soll sollen wir ihnen nur wünschen? (Margarete Affenzeller, 29.1. 2024)