Steht unter Generalverdacht: das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA).
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Der Streit um das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) ist, wenn man so will, der aktuelle Gazakrieg in mikroskopischer Form: Eine Minderheit verübt grauenhafte Verbrechen, im Gegenzug soll die gesamte Gruppierung dafür büßen. In Gaza ist es die Bevölkerung, die für die Terrorakte der Hamas leiden muss. Bei der UNRWA sind es, soweit bekannt, zwölf Mitarbeiter, die sich an den Taten der Hamas direkt beteiligt haben. Berichten zufolge haben zudem zehn Prozent der etwa 12.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Gaza Verbindungen zur Hamas und dem Islamischen Jihad. Darunter hat nicht nur die gesamte UN-Organisation zu leiden, deren Personal jetzt quasi unter Generalverdacht gestellt wird. Auch die vom Krieg gepeinigte Bevölkerung ist vor allem auf Hilfe der UNRWA angewiesen.

Wie im großen Konflikt – wie kann man die Hamas treffen, ohne dass die Bevölkerung leidet? – ist auch hier die Welt mit einem Dilemma konfrontiert. Die Empörung darüber ist berechtigt, der Zahlungsstopp vieler Länder als Reaktion nachvollziehbar. Der Gedanke, dass sich Mitarbeiter der Uno an einer Entführung und einem Massaker in einem Kibbuz mit 97 Toten beteiligt haben sollen, lässt einen erschaudern und gibt den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 nochmals eine ganz andere Dimension. Auf der anderen Seite ist das Hilfswerk so essenziell für das Leben und Überleben in den Palästinensergebieten – derzeit speziell in Gaza –, dass das Aussetzen der Hilfsgelder dramatische Ausmaße haben wird.

Immer wieder Vorwürfe

Die zweifelhafte Rolle der UNRWA im Nahostkonflikt ist nicht neu. Immer wieder gab es Vorwürfe gegen das Hilfswerk, ein zu enges Verhältnis zu radikalen Gruppen zu pflegen oder Antisemitismus in seinen Schulen zu verbreiten. Man hat darauf kaum oder nur geringfügig reagiert. Zum Teil ist das nicht die Schuld des Hilfswerks. Will man humanitäre Hilfe in Krisenregionen leisten, muss man sich zu einem gewissen Grad mit den Herrschenden einlassen, und das ist in Gaza eben seit 18 Jahren die Hamas. Außerdem muss bei Hilfsaktionen dieser Größenordnung ein Gros des Personals in der heimischen Bevölkerung rekrutiert werden; das hat logistische, finanzielle, soziale Gründe. Hier Sympathisanten für islamistische Gruppierungen auszuschließen ist bei so vielen Mitarbeitern nicht möglich.

Das entschuldigt aber natürlich nicht die bekannt gewordene Involvierung in die Verbrechen der Hamas. Nun einfach die zwölf Mitarbeiter zu entlassen und von Einzelfällen zu sprechen ist so, als würde man ein Pflaster auf einen offenen Bruch kleben. Die UNRWA ist spätestens jetzt zu einem Akteur im Nahostkonflikt geworden, die Rolle als neutraler Helfer damit endgültig passé.

Die UNRWA wurde 1949 als temporäres Hilfsprogramm gegründet. Sie war nie als Langzeitprojekt konzipiert und muss alle drei Jahre verlängert werden. Nun ist sie selbst Teil des Problems geworden, von diesem Skandal wird sie sich nicht mehr erholen. Sie kann trotz ihrer enormen Hilfsleistungen keine Zukunft mehr haben. Das Hilfswerk aber sofort aufzulösen wäre angesichts des Krieges in Gaza fatal. Sein aktuelles Mandat läuft noch bis Juni 2026. Bis dahin könnte man die UN-Hilfe für die Palästinenser auf neue Beine stellen. Dann aber sollte die UNRWA Geschichte sein. (Kim Son Hoang, 30.1.2024)