Ehemaliges Redaktionsgebäude der Arbeiter-Zeitung
An der Rechten Wienzeile entstand ab 1909 das Redaktionsgebäude der "Arbeiter-Zeitung", in dem unter anderem auch die Druckerei untergebracht war. Ab 20. Juli 1910 erschien hier das später so umkämpfte Printprodukt.
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Wahrscheinlich haben die Abonnenten der "Arbeiter-Zeitung" eine schlechte Vorahnung, als sie am Morgen des 21. Jänner 1934 ihr Zeitungsfach leer vorfinden. Es ist Sonntag. Spätnachts ist die Redaktion des Parteiorgans der österreichischen Sozialdemokratie davon informiert worden, dass ihr Blatt ab sofort nicht mehr per Austräger zugestellt oder auf der Straße verkauft werden darf. Einzig der Postweg steht ihr als einer der größten Tageszeitungen des Landes jetzt noch offen. In wenigen Tagen wird selbst das Geschichte sein.

"Unter Vorzensur"

Das Kolportageverbot kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern ist nur ein weiterer Schritt hin zur Gleichschaltung der Medienlandschaft im austrofaschistischen Regime, das Kanzler Engelbert Dollfuß seit der Ausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 aufbaut. Bereits wenige Tage später schränkt er die Pressefreiheit massiv ein. Schon zwei Stunden vor Auslieferung müssen nun auf Anordnung des Bundeskanzlers ausgewählte Zeitungen Pflichtexemplare für die Zensurbehörden abliefern. Ab 24. März 1933 betrifft das auch die oppositionelle "Arbeiter-Zeitung".

"Unter Vorzensur" ist von da an auf deren Titelseite zu lesen – aus Protest. An ihre Leserinnen und Leser schreibt die Redaktion: "Für ein sozialdemokratisches Blatt ist es eine Ehre, verfolgt zu werden. Maßregeln, die uns unter ein Ausnahmerecht stellen, entspringen der Angst der herrschenden Gewalten vor der Macht unseres Wortes." Ab Juli wird der "Arbeiter-Zeitung" auch die Verwendung des Worts "Zensur" untersagt, fortan steht im Seitenkopf: "Unter verschärfter Vorlagepflicht".

Trotz und Marketing

Als am 21. Jänner 1934 dann die "Arbeiter-Zeitung" aus den Zeitungsständern verschwindet, merken die Redaktion und die dahinterstehende Partei, dass sich die Schlinge um ihren Hals immer enger zieht. In ihrem Überlebenskampf werfen sie die Marketingmaschinerie an und starten eine "Antwort-Aktion", bei der jeder Abonnent einen neuen anwerben soll – zum Preis von 3,50 Schilling (1,60 Schilling für Arbeitslose) pro Monat. Die Aktion "soll ein großer sozialistischer Wettbewerb werden, dessen Ergebnisse nach Sprengeln und Betrieben jeweils in der Arbeiter-Zeitung veröffentlicht werden – ein Wettbewerb zur Treue der Partei, der Solidarität in schweren Kämpfen". In den kommenden zwei Wochen listet die Zeitung über 5.500 "Antwort-Abonnements".

Die Berichterstattung der "Arbeiter-Zeitung" über Sport, Autounfälle und Raubmorde geht ungehindert weiter. Innenpolitische Nachrichten hingegen müssen in dieser Zeit oft wörtlich von amtlichen Mitteilungsorganen übernommen werden. So berichtet das Blatt etwa am 9. Februar 1934 von einer Großrazzia im Parteihaus an der Rechten Wienzeile, in dem auch die Redaktion ihren Sitz hat. In den Tagen zuvor hatte die Polizei in Lagern des bereits verbotenen Republikanischen Schutzbundes – einer paramilitärischen Organisation der Sozialdemokraten – immer wieder schwere Waffen gefunden. Dass das Dollfuß-Regime in der Oppositionszeitung nach Belieben Artikel platzieren kann, führt nun zu der grotesken Situation, dass in der "Arbeiter-Zeitung" selbst von einem "unerhörten verbrecherischen Anschlag bolschewistisch-marxistischer Elemente gegen die Bevölkerung und die Sicherheit des Staates" zu lesen ist, "der glücklicherweise durch die Wachsamkeit und Tüchtigkeit der Sicherheitsbehörden und der Exekutive verhindert werden konnte".

Arbeiter-Zeitung
Eine der letzten regulären Ausgaben der "Arbeiter-Zeitung" vor ihrer Einstellung am 12. Februar 1934. Das Blatt musste sich dem Verbot des austrofaschistischen Regimes beugen.
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek/"Arbeiter-Zeitung" 10.2.1934

Am 8. Februar hingegen schafft es ein Beitrag eines Redakteurs durch die Zensur, der die "alten Kampfstätten" des Wiener Arbeiterbezirks Meidling anpreist und, ohne erkennbaren Anlass, detailliert die Kämpfe des Revolutionsjahres 1848 schildert. Die Beschreibungen, wo damals Bürgerwehren gegen die kaiserliche Armee Barrikaden errichtet hatten, liest sich wie eine Anleitung zum innerstädtischen Häuserkampf – der tatsächlich nur wenige Tage später losbrechen soll.

Kampfbeginn nach Redaktionsschluss

In den Morgenstunden des 12. Februar 1934 durchsucht die Polizei in Linz das Parteiheim der Sozialdemokraten nach Waffen. Diesmal setzen sie sich zur Wehr. Und der Aufstand bleibt nicht auf Linz beschränkt, sondern greift auf andere Städte wie Bruck an der Mur, Graz, Steyr oder die Hauptstadt Wien über. Die Morgenzeitungen des 12. Februar wissen freilich noch nichts von alledem. Die "Arbeiter-Zeitung" bringt auf Seite eins einen Vorabbericht über einen Generalstreik in Frankreich. Im Blattinneren ist vom Unentschieden zwischen den Fußballvereinen Floridsdorf und Red Star Penzing am Wochenende zu lesen.

Tags darauf gibt es die "Arbeiter-Zeitung" nicht mehr. Der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs war kurzerhand jede Betätigung verboten worden. Bei alldem, was in diesen Tagen im Land geschieht – die hunderten Toten bei Kämpfen oder die standrechtlichen Urteile gegen Schutzbundkämpfer –, kann sich das Dollfuß-Regime auf wohlgesinnte Berichterstattung in den Zeitungen verlassen.

Die offizielle Bilanz der Kämpfe, die die Regierung veröffentlicht: aufseiten der Exekutive 102 Tote und 319 Verwundete. Aufseiten der Zivilbevölkerung: 137 Tote und 339 Verwundete. Nachsatz: "Es handelt sich hierbei nicht ausschließlich um Aufrührer, sondern es befinden sich auch einige unbeteiligte Personen darunter, die durch das rücksichtslose Feuer der Schutzbündler getroffen wurden." Die genaue Zahl der Toten ist bis heute umstritten.

Straßensperre
Straßensperre vor dem Wiener Volkstheater: Sozialdemokraten umgingen das Demonstrationsverbot dadurch, dass sie politische "Spaziergänge" unternahmen.
ÖNB, Bildarchiv Austria

Der Informationskampf geht weiter

Doch im Informationskampf gibt sich die "Arbeiter-Zeitung" noch nicht geschlagen. Am 25. Februar 1934, zwei Wochen nach ihrem Verbot, feiert sie ihre Wiedergeburt im Untergrund. Redaktion, Verwaltung und Druck sind während der turbulenten Tage ins tschechische Brünn gewandert. Statt täglich erscheint das Blatt nun einmal die Woche, zusammengeschrumpft auf zunächst vier, später acht Seiten, die sich jetzt nicht mehr mit Chronikalem aufhalten, sondern sich ganz dem politischen Kampf verschreiben. Die neue Zeitrechnung unterstreicht die Entscheidung, das Blatt vom 25. Februar als erste Ausgabe des ersten Jahrgangs zu veröffentlichen. Über dem Impressum prangt jetzt der Appell: "Von Hand zu Hand weitergeben! Aber Achtung auf Naderer!" Gemeint sind die Spitzel des austrofaschistischen Regimes.

Dieses Regime soll die "Arbeiter-Zeitung" zwar überleben, am Ende geht sie aber gemeinsam mit ihm zugrunde. Die letzte Ausgabe – mittlerweile sitzt die Redaktion in Paris – erscheint am 15. März 1938, drei Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland.

Es braucht eine weitere Wiedergeburt am 5. August 1945, ehe die "Arbeiter-Zeitung" nach Österreich zurückkehren kann. Eine Illustration auf der Titelseite zeigt Hände, die, eine Füllfeder haltend, die Ketten sprengen, in die sie gelegt wurden. Im Hintergrund erstrahlt eine Ausgabe der Zeitung in hellem Licht. Das Blatt knüpft direkt an seine Auflösung im Februar 1934 an, der jäh unterbrochene 47. Jahrgang wird elf Jahre später einfach fortgesetzt. An ihre Leserinnen und Leser schreibt die Redaktion: "Wir sind dessen gewiß: Hunderttausende Genossinnen und Genossen, die mehr als elf Jahre die Vergewaltigung ihrer Bewegung und den faschistischen Terror innerlich aufrecht und ungebrochen ertragen und diesen Tag ersehnt haben, freuen sich mit uns. Sie alle grüßen wir, ihnen allen danken wir für die Treue, die sie unserer Bewegung bewahrt, der nunmehr auch wir wieder dienen dürfen."

Doch auch diese Treue endet. 1989 verkauft die SPÖ 90 Prozent der "Arbeiter-Zeitung". Das in schwere finanzielle Nöte geratene Blatt rettet das nicht mehr. Am 31. Oktober 1991 geht an der Rechten Wienzeile das Licht aus. Diesmal für immer. (Michael Windisch, 12.2.2024)