Michael Krüger
2013 ging in München eine Ära zu Ende, als Poeta laureatus war er jetzt ein ganzes Jahr lang aktiv.
imago/Rudolf Gigler

Michael Krüger, vergangenen Dezember 80 geworden, ist eine der letzten großen Verlegerpersönlichkeiten im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Ohne ihn wäre der Carl-Hanser-Verlag, in dem er fast drei Jahrzehnte für das literarische Programm verantwortlich war, in seiner heutigen Form nicht denkbar. Krüger hat sich aber auch als Herausgeber, Übersetzer und Schriftsteller – als "Dichter" im guten, alten Sinn – einen Namen gemacht und neben einigen Romanen an die 20 Gedichtbände veröffentlicht. Im Vorjahr hat ihn das Literaricum Lech zum ersten "Poeta laureatus" gewählt.

Ein Lorbeerkranz, wenn auch bloß fiktiv, stünde Krüger auch für seine Lebensleistung als Verleger zu. Verabredung mit Dichtern ist die beeindruckende, intensive Rückschau auf ein Leben mit Büchern, die von Anfang an seinen Weg bestimmten. Gelesen hat Krüger immer schon viel. Mit 18 kannte er alle wichtigen Autoren, von den Klassikern bis zu Bachmann, Grass, Peter Weiss, H. C. Artmann ... "Das war meine Schule", sagte er einmal in einem Interview. Später wurde der Carl-Hanser-Verlag, in den er 1968 eintrat, zu seiner "Universität": Jahrzehnte des Lernens, Büchermachens und Begegnens. Mit vielen bedeutenden internationalen Schriftstellern und Schriftstellerinnen verband und verbindet ihn eine persönliche Freundschaft, da wird ein solches Erinnerungsbuch schnell zum Who’s who des Literaturbetriebs.

Noch alle Tassen im Schrank?

Das klassische Memoirenwerk ist es dennoch nicht, vielmehr eine "persönliche Literaturgeschichte", die uns auch Einblick in ein Verlagswesen gibt, in dem noch nicht Konzerne bestimmten, Verleger noch selbst Manuskripte lasen und es noch den Unterschied gab zwischen Literatur und Unterhaltung. Und es ist ein Buch voller Leidenschaft, das von einem jungen Mann erzählt, der nicht recht weiß, was er werden soll, es aber erstrebenswert findet, Dichter zu sein. Ob er noch alle Tassen im Schrank habe, hat ihn der Vater gefragt.

Die Literatur hat obsiegt: "Nichts konnte mich von Büchern abbringen." Fontane, Camus, Faulkner, Günter Eich, Hesse, Tennessee Williams, Baudelaire, Mallarmé ... "Ich litt darunter, nicht alles lesen zu können, was ich lesen wollte", heißt es einmal. Und zugleich: "Je mehr ich las, umso komplizierter wurde mein Leben", schließlich erzeugte die Literatur eine "unbestimmte Sehnsucht" in ihm, "die unbestimmt blieb". Da war einerseits die "Macht der Poesie", zum anderen die Angst, "seltsam" zu werden. Eine Zeitlang verläuft Krügers Jugend zwischen Lesen, Strandbad Wannsee und dem Schreiben surrealistischer Gedichte. Statt in den Tanzkurs geht er ins Buchantiquariat, dort, findet er, sei das Geld besser angelegt. Mit 13 erstmals Paris, als "frischgebackener Existenzialist" ...

Buchhändler bei Harrods

Der Weg ließ sich nicht mehr verlassen. Lehre als Verlagskaufmann, Philosophiestudium (mehr sporadisch), drei Jahre Buchhändler in London (bei Harrods) und schließlich Lektor bei Hanser in München. Dort erscheint 1976 auch sein erster Gedichtband. Aber nicht nur, weil er immer auch ein schreibender Verleger war, ist Krüger, wie ihn der Kritiker Knut Cordsen nennt, "eine Ausnahmeerscheinung im ganzen Literaturbetrieb". Sein Kenntnisreichtum ist erstaunlich, so viel im Blick zu haben, ohne den Überblick zu verlieren, eine Leistung für sich.

Natürlich ist Krüger nicht nur über Büchern gesessen, er hat zu seinen Autoren Kontakt gehalten, wo immer sie sich gerade befanden, und die Wege zahlloser Schriftsteller und Kollegen gekreuzt. Dabei leuchten Porträts Vergessener auf wie Gregor von Rezzori, der Kosmopolit aus der untergegangenen Habsburgermonarchie ("Ich hätte ihm nächtelang zuhören können"), oder Reinhard Lettau, der aus Scham, so Krüger, immer kürzere Texte schrieb und vieles nicht publizierte, denn: "Scham hatte er bei Kafka studiert." Lettau hatte Michael Krüger als Lektor bei Hanser empfohlen, ebenso wie der Literaturkritiker Walter Höllerer und Günter Grass. Einmal blitzt auch Herbert Marcuse auf. Mit ihm und Lettau feierte Krüger seinen 30. Geburtstag am Strand von San Diego. Marcuse, erzählt Krüger, hatte keinen Führerschein, aber einen alten Volvo, den Krüger chauffierte, allerdings musste er den Wagen erst von unzähligen ungeöffneten Paketen befreien, weil Marcuse die Lizenzausgaben aller seiner Bücher hier eingelagert hatte ...

Blick auf Größeres

Wo es in Krügers Geschichten mitunter anekdotenhaft wird, steckt freilich immer ein Körnchen Literatur, das den Blick auf Größeres öffnet und daran erinnert, wie Literatur einmal den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen oder zumindest begleiten konnte. Heute leiden wir unter der "Egalisierung des Geschmacks", so Krüger einmal, und es sei unverständlich, dass Menschen, die "dicke, langweilige amerikanische Romane" verschlingen, "es als Zumutung empfinden, ein Gedicht von Lukrez oder Celan zu lesen". Genau das zeigt uns Krügers Verabredung mit Dichtern: wie schön eine solche Zumutung sein kann.

Dazu noch zwei Krüger-Zitate, die das bestens veranschaulichen: "99 % der Menschen kommen ohne Gedichte aus", schreibt Krüger auf Seite 420. "Sie lesen Kriminalromane und Börsennachrichten, illustrierte Zeitschriften und Bedienungsanleitungen für Küchengeräte. Bei manchen dauert es lange, bis sie merken, dass etwas fehlt, manche merken es nie. Unsere Welt ist so eingerichtet, dass auch die, die nicht merken, dass etwas fehlt, als unbescholtene Bürger gelten. Aber es fehlt etwas! Und je länger wir in dieser eingeschlagenen Richtung weiterleben, desto größer werden die Verluste. Die Dichter sind die Ersten, die spüren, dass etwas fehlt."

Und in Die Welt vom 24. Juli 1999 ließ uns der Verleger-Dichter Krüger bereits wissen: "Mein Ziel ist es, den Menschen zu zeigen, dass ein Tag ohne die Lektüre eines Gedichts ein verlorener Tag ist." (Gerhard Zeillinger, 10.2.2024)