Es ist eines dieser Verfahren, das von Kritikern der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gerne dazu benutzt wird, um die Arbeit der Antikorruptionsbehörde schwach aussehen zu lassen: erst quälend lange Ermittlungen, dann eine tönerne Anklage und am Ende Freisprüche.

So geschehen in der Causa Wiener Stadterweiterungsfonds: Im Juni 2019 hatte die WKStA Anklagen gegen vier Personen, davon drei Spitzenbeamte des Innenministeriums eingebracht - vermutete Untreue bei der zweckwidrigen Verwendung von Fondsvermögen. Im Juli 2020 wurden die vier Angeklagten im Zweifel freigesprochen, die Urteile sind mittlerweile rechtskräftig.

Hat die WKStA also schlecht gearbeitet - oder wurde die WKStA in der Causa von den eigenen Oberbehörden eingebremst? Wurde dieses Verfahren auf Wunsch von oben über Jahre verlangsamt?

Marek
Eva Marek erklärte sich als damalige Leiterin der OStA Wien für befangen
APA/HELMUT FOHRINGER

Diese Fragen wurden nicht zuletzt durch eine anonyme Sachverhaltsdarstellung aufgeworfen. Die inhaltlich sehr dichte Anzeige kam offensichtlich aus dem Inneren des Justizbetriebs - sie enthält Details, die nur jemand mit Zugang zum Akt haben konnte. Die Vorwürfe wurden auch durchaus ernst genommen - sie führten zu Ermittlungen, die eingestellt wurden. Dem STANDARD und dem Podcast Die Dunkelkammer liegen bislang geheime justizinterne Dokumente zu diesem Verfahren vor.

Diese könnten auch für die von Justizministerin Alma Zadić eingesetzte Untersuchungskommission zu Interventionen relevant sein. Die Kommission untersucht derzeit vermutete politische Einflussnahmen auf Ermittlungsverfahren, nachdem der langjährige, mittlerweile verstorbene Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek solche in einem heimlich aufgezeichneten Gespräch angedeutet hatte. Zurück zum Stadterweiterungsfonds: Eine wichtige Rolle in der Sache spielt die damalige Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Eva Marek.

Marek hatte den OStA-Job 2014 laut Chats auf Wunsch des damaligen ÖVP-Justizministers Wolfgang Brandstetter bekommen, sie sollte andere Kandidaten "verhindern". Beide bestreiten das. Seit 2017 ist Marek Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs.

Die befangene Chefin

Sie war auch Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft, als diese der WKStA 2016 die Weisung erteilte, eine Anklage gegen René Benko in der Causa "Chalet N" fallenzulassen - mit Billigung des Justizministeriums. DER STANDARD berichtete. Und sie war auch Behördenleiterin, als die WKStA im Fall Stadterweiterungsfonds anklagen wollte.

Angelaufen waren die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Innenministeriums im Juli 2013. Zwei Jahre später informierte die WKStA die OStA Wien über die beabsichtigte "Enderledigung": Ein Teil des Verfahrens sollte eingestellt, die vier Amtsträger aber wegen Untreue angeklagt werden. Wegen "satzungswidriger Zuwendungen" in den Jahren 2007 bis 2012 im Ausmaß von zunächst drei Millionen Euro. Rasch war klar, dass Marek befangen war: Die Ermittlungen richteten sich gegen aktive und ehemalige Spitzenbeamte im Innenministerium und somit gegen Kollegen und einen Vorgesetzten ihres Ehemanns Günther Marek, der dort bis heute Gruppenleiter ist. Die anonyme Anzeige vom April 2020 bezichtigte Marek dennoch, sich in das Verfahren eingebracht zu haben.

Die Anzeiger bezeichneten sich darin als Mitglieder der Oberstaatsanwaltschaft Wien, und sie belasteten neben Marek auch Pilnacek und Mareks Stellvertreter. Dazu gab es ein Verfahren, das die Staatsanwaltschaft (StA) Innsbruck führte. Die Ermittlungen gegen Marek und die anderen Angezeigten wurden schließlich eingestellt. Die StA Innsbruck stützte sich dabei auf das Ergebnis einer justizinternen Untersuchung, die Johann Fuchs veranlasst hatte, Mareks Nachfolger an OStA-Wien-Spitze.

Pilnacek
Der Spitzenbeamte Christian Pilnacek verstarb im Herbst 2023. Zuvor war er bei einem Gespräch über etwaige Interventionen aufgezeichnet worden - deshalb prüft nun eine Untersuchungskommission brisante Verfahren.
APA/HELMUT FOHRINGER

"Skeptisch" gezeigt

Laut der öffentlich zugänglichen Begründung der Verfahrenseinstellung hatte Fuchs etwa festgestellt, dass Eva Marek sich "jeglicher Handlung im Verfahren enthalten" hatte. Dies sei auch von Mareks Stellvertreter und der damals zuständigen Sachbearbeiterin bei der OStA Wien "klar bestätigt" worden. Die Feststellung erscheint etwas kurz gegriffen. Der damaligen Sachbearbeiterin der OStA zufolge hatte sich Marek zwar für befangen erklärt und keine verbindliche Anweisung zur Verfahrenserledigung gegeben - zugleich aber habe sich die Vorgesetzte "aus fachlichen Gründen skeptisch zu den Grundlagen der Anklage gezeigt".

Auch Marek wurde im Rahmen der justizinternen Untersuchung befragt. Sie selbst schloss "praktisch aus, (...) dass ich meine persönliche Einschätzung mitgeteilt habe". Sie könne aber "nicht ausschließen", dass sie die Sachbearbeiterin "auf die rechtliche Komplexität" der Causa hingewiesen habe. Für Mareks Nachfolger Johann Fuchs stellte das keine Einflussnahme dar. Dass das Verfahren von Marek "auch im kollegialen Gespräch angesprochen worden sein könnte, ist aus dienstaufsichtsbehördlicher Sicht vollkommen unbedenklich".

Auf Anfrage des STANDARD sagt Marek: "Eine konkrete Erinnerung an eine angebliche Skepsis, die bereits Jahre zurückliegen soll, habe ich nicht." Es sei aber "möglich", dass Rechtsfragen "im Kollegenkreis der OStA Wien abstrakt erörtert wurden, wobei solche rechtlichen Diskussionen stets ergebnisoffen geführt wurden".

Totaleinstellung vorgeschlagen

Aber auch ein zweiter Vorgang wirft Fragen auf. So soll die OStA-Sachbearbeiterin dem Anklagevorhaben der WKStA gegenüber sehr aufgeschlossen gewesen sein. Laut einem Amtsvermerk gab sie bei der internen Untersuchung an, dass der Klageentwurf ihrer "persönlichen Rechtsmeinung nach im Wesentlichen zu genehmigen" war. Dazu kam es allerdings nicht. Die Sachbearbeiterin wechselte an das Oberlandesgericht Wien, wo sie bis heute als Richterin tätig ist.

Der unerledigte Akt zum Stadterweiterungsfonds wanderte an Mareks Stellvertreter bei der OStA Wien. Zum Abschied hatte die Sachbearbeiterin ihm nach eigener Darstellung einen "ausführlichen Vermerk" hinterlassen, in dem sie sich für die Genehmigung des Anklagevorhabens ausgesprochen hatte. Für Mareks Stellvertreter sei "ein Rückgriff auf vorläufige - nicht zum Abschluss gelangte - Überlegungen (...) oder Arbeitsunterlagen" seiner Kollegin allerdings "nicht in Betracht" gekommen, wie es in einem der Dokumente heißt. Er habe den Akt daher eigenständig geprüft - und sei zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen: nämlich das Verfahren zur Gänze einzustellen.

Anklage ohne Motiv

Im Gegenzug attestierten Marek und ihr Stellvertreter der Sachbearbeiterin Überlastung. Das wurde so auch in der öffentlichen Einstellungsbegründung wiedergegeben. Ein in der Justizgeschichte nicht alltäglicher Vorgang. Fakt ist: Mitte 2015 wollte die WKStA nach zweijährigen Ermittlungen Anklagen in der Causa Stadterweiterungsfonds erheben, und darüber informierte sie die Oberbehörden, die das prüften - lange prüften.

Am Ende mussten noch einmal vier Jahre vergehen, ehe die Anklage eingebracht werden konnte - in abgespeckter Version. Die 2019 angeklagte Schadenssumme lag mit 1,1 Millionen Euro bei einem Drittel des ursprünglich angenommenen Betrags. Und auf Weisung von oben hatte die WKStA eine für sie zentrale "Motivlage" der Beschuldigten streichen müssen.

Im Grunde ging es bei dem Verfahren um die Frage, ob die Beschuldigten bei der Auflösung des Stadterweiterungsfonds das Gesetz gebrochen hatten. Der zum Innenministerium gehörende Fonds hatte in der Monarchie die Prachtbauten am Ring ermöglicht, Anfang der 2000er-Jahre sollte er nach Kritik des Rechnungshofs aufgelöst werden. Die damalige Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) habe gemeint, man solle mit dem Geld "Gutes tun".

Die zuständigen Sektionschefs und Mitarbeiter, die im Kuratorium des Fonds saßen, beschlossen daraufhin Spenden an eine Vielzahl von Organisationen. Das Geld ging an karitative Einrichtungen; aber auch an eine Universität, die dem erzkatholischen Opus Dei nahesteht; an die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst; an Juristenverbände; an Familien verstorbener Polizisten. Als Dank der Kirche für die Spenden wurde den vier Mitarbeitern des Innenministeriums sogar der päpstliche Silvesterorden überreicht.

"WKStA als 'Jägerin'"

Zumindest einen Teil der Spenden wertete die WKStA als problematisch, auch weil die Beschuldigten ein Naheverhältnis zu einzelnen Spendenempfängern hatten. Diese hätten dadurch ihre "informelle Macht ausgebaut", argumentierten die Staatsanwälte. Diesen Überlegungen wollte die Sachbearbeiterin der Oberstaatsanwaltschaft 2015 offenbar zustimmen. Nach ihrem Abgang wollte die OStA dann plötzlich die Einstellung des gesamten Verfahrens - und schickte diese Empfehlung ans Justizministerium weiter.

Dort soll laut der anonymen Anzeige ein Mitarbeiter von Pilnaceks Sektion energisch Widerstand gegen die "Totaleinstellung" geleistet haben. Deshalb soll Pilnacek "ergänzende Einvernahmen" der Beschuldigten angeregt haben, um das Verfahren in die Länge zu ziehen und den Beschuldigten somit einen allenfalls hilfreichen Milderungsgrund zu verschaffen, heißt es in der anonymen Anzeige. Die WKStA wurde auch angewiesen, die "Motivlage" der Beschuldigten aus dem Anklagevorhaben zu streichen. Diese "vermittelt den Eindruck eines von unsachlichen Motiven getragenen Selbstbilds der WKStA als 'Jägerin'", hielt Pilnacek fest, wie Unterlagen zeigen.

In der Beweiswürdigung der Anklage 2019 war die angenommene Motivlage kein Thema. Es wurde also wegen einer Tat ohne Motiv angeklagt. Das ist bei der Untreue zwar rechtlich gedeckt, weil die Untreue kein Motiv braucht - hier geht es um den bloßen Missbrauch von Befugnissen. Für die Erzählung einer Anklage in einem Schöffenprozess, also vor Laienrichtern, kann es allerdings bedeutsam sein zu wissen, warum Angeklagte auf die eine oder die andere Art gehandelt haben.

Aus Sicht der anonymen Anzeiger wurde die Anklage in der Causa Stadterweiterungsfonds also eklatant geschwächt. Die StA Innsbruck, die diese Vorwürfe prüfte, konnte das nicht erhärten. Dass das Streichen der Motivlage die Anklage schwäche, sei ein "reichlich konstruiertes" Argument. Die Arbeit der OStA Wien entspreche "dem Objektivitätsgebot". Die OStA Wien betont auf Anfrage, es gebe auch rückblickend "keine 'Vorkommnisse', sondern eine unbeeinflusste, fachaufsichtsbehördliche Prüfung". (Michael Nikbakhsh, Fabian Schmid, 4.2.2024)