Es ist ein Unterfangen riesigen Ausmaßes: Bis 2050 soll die Europäische Union klimaneutral werden. Damit das gelingt, wurde in Brüssel schon lange ein Emissionsreduktionsziel für 2030 definiert. Am Dienstag präsentierte die EU-Kommission nun auch ihren Vorschlag für 2040. Bis dahin soll die Union als Ganzes ihre Emissionen netto um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Doch bereits jetzt hinken viele Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen für 2030 hinterher.

Ein Kohlekraftwerk in Deutschland im Sonnenuntergang, rechts davon stehen eine Windräder.
Links das Kohlekraftwerk, rechts die Windräder: Nicht alle Länder werden es schaffen, die Klimavorgaben aus Brüssel zu erfüllen.
APA/dpa/Julian Stratenschulte

Derzeit gilt für Österreich das 2030-Ziel der EU. Bis zu diesem Datum muss die Republik 48 Prozent ihrer Emissionen außerhalb des Emissionshandels im Vergleich zu 2005 reduzieren. Doch die bestehenden Klimaschutzmaßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um dieses Ziel zu erfüllen: Laut dem Nationalen Energie- und Klimaplan verfehlt die Republik die Vorgabe um ganze 13 Prozentpunkte. "Diese Erfüllungslücke ist aber nicht nachvollziehbar und könnte tatsächlich noch größer sein", sagt Klimaökonom Stefan Schleicher.

Video: EU-Klimaziele: Brüssel will Treibhausgase bis 2040 um 90 Prozent kappen.
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Milliarden an Kompensationszahlungen

Sollte Österreich, aber auch andere EU-Länder, die Vorgaben nicht erfüllen, fallen Kompensationszahlungen an: Österreich müsste also Emissionszertifikate von anderen Ländern, die über einen Überschuss verfügen, kaufen – was ein Unterfangen in Milliardenhöhe sein könnte. Der Rechnungshof bezifferte die Summe vor drei Jahren mit rund neun Milliarden Euro. Was aber passiert, wenn nicht nur Österreich zukaufen muss, sondern viele andere Staaten auch, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen?

"Wenn der Markt leergekauft ist, muss sich die EU-Kommission etwas überlegen", erklärt Schleicher. Derzeit funktioniert das System so: Der Transfer der Zertifikate erfolgt direkt zwischen zwei Staaten. Anders als beim EU-Emissionshandel gibt es also keine Handelsplattform, vielmehr machen sich die jeweiligen Ministerinnen und Minister den Preis untereinander aus. "Noch ist nicht klar, wo die Reise hingehen wird", erklärt Schleicher.

"Natürlich ist es wahnsinnig unpopulär, Milliarden für nicht erreichte Ziele auszugeben", sagt Christian Egenhofer vom belgischen Centre for European Policy Studies (CEPS). In der Vergangenheit habe der Engpass an Zertifikaten kein großes Problem dargestellt, erklärt der Politikforscher. Durch die nun strenger werdenden Vorgaben vonseiten der EU werde es jedoch ernst. In den kommenden Jahren gehe es ans Eingemachte, sagt Egenhofer: um die Reduktion in Gebäuden, beim Verkehr – also in jenen Bereichen, die nah an den Menschen dran sind.

Auf der Suche nach Lösungen

Also was tun, wenn die Zertifikate tatsächlich knapp werden? Die EU-Kommission ist derzeit akribisch auf der Suche nach Lösungen, wie mit dem Problem umgegangen werden soll. Zumindest hinter vorgehaltener Hand werden in Brüssel mehrere Optionen diskutiert, erklärt Egenhofer. Da wäre etwa die Möglichkeit, den Handel für Drittstaaten zu öffnen – und dort noch verfügbare Zertifikate zuzukaufen. Dazu müsste die Kommission allerdings klare Regeln definieren, damit durch das Geld nicht etwa fragwürdige Aufforstungsprojekte finanziert würden. Offen sei zudem, ob Länder wie Indien ihre derzeit überschüssigen Zertifikate überhaupt verkaufen wollen: Das Land wächst und wird die Zertifikate wohl früher oder später selbst benötigen. Zudem sei es laut Egenhofer unwahrscheinlich, dass Österreich oder andere EU-Länder jährlich Milliarden an Regierungen in afrikanischen oder asiatischen Staaten überweisen würden.

Bleibt die derzeit wahrscheinlichste Lösung: Die EU könnte Vertragsverletzungsverfahren gegen jene Staaten einleiten, die ihren Zielen nicht nachkommen. Sie könnten bereits nach der nächsten Abrechnungsperiode im Jahr 2027 erfolgen – und empfindliche Strafzahlungen mit sich bringen. Bis es dazu kommt, wird die Kommission versuchen, Prozesse wie die nationalen Energie- und Klimapläne anzukurbeln, die bis Sommer nach Brüssel geschickt werden müssen. In diesen müssen die Staaten darlegen, wie sie ihre Klimaziele erreichen wollen. Insgesamt werde auf EU-Ebene viel über Ziele gesprochen, zu wenig aber über die Wege dorthin, kritisiert Ökonom Schleicher. Wohin die Reise tatsächlich geht, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die EU-Wahl im Juni ausgeht. (Nora Laufer, 7.2.2024)