Testosteron Ampulle. 
Das männliche Geschlechtshormon Testosteron kommt bei Hormonbehandlungen von Trans-Männern, also Frauen die sich zu Männern entwickeln wollen, zum Einsatz.
AP/Carolyn Kaster

Die Pubertät kann eine heftige Zeit sein, besonders für Jugendliche, deren geschlechtliche Identität sich entgegen ihrem Geburtsgeschlecht entwickelt. Jugendliche mit Transidentität werden oft ausgegrenzt, die Suizidrate bei ihnen ist extrem hoch. Manche entscheiden sich für eine geschlechtsangleichende Hormontherapie. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will diese Therapieform für Minderjährige verbieten lassen, sollte er noch einmal in die Regierung kommen. So steht es in seinem "Österreichplan", den er vor zwei Wochen beim Wahlkampfauftakt in Wels präsentiert hat. Transaktivisten und -aktivistinnen werfen ihm deshalb "Misshandlung" von Minderjährigen vor, und auch Ärzte raten von einem Verbot ab.

"Der gegenwärtige Hype rund um Gender-Themen und -Ideologien ist für Kinder und Jugendliche eine besondere Herausforderung", heißt es im "Österreichplan" der ÖVP. Es bestehe die Gefahr, "dass sich Minderjährige dazu verleiten lassen, fragwürdige Therapien in Anspruch zu nehmen – mit nicht abschätzbaren Folgen für ihr weiteres Leben". Deshalb brauche es bis 2030 ein "Verbot von Hormonbehandlungen unter 18 Jahren, sofern keine medizinischen Gründe vorliegen", heißt es im ÖVP-Wahlprogramm.

Diese Passage hat den Verein Trans X am Sonntagabend zu einer empörten Presseaussendung mit dem Titel "Karl Nehammer will Transgender-Minderjährige misshandeln" veranlasst. Die Unterstellung, dass sich Kinder von einem "Hype" getrieben zu Hormonbehandlungen "verleiten lassen", sei absurd, heißt es darin. Für Hormontherapien bei Jugendlichen gibt es Behandlungsempfehlungen des Gesundheitsministeriums, die Diagnosen von drei Fachärzten, einem Psychologen, einem Psychiater und einem Psychotherapeuten, die Einberufung einer multiprofessionellen Fallkonferenz und die Zustimmung der Erziehungsberechtigten voraussetzen.

"Der 'Österreichplan' will diesen Kindern medizinisch anerkannte und erprobte Behandlungen verwehren und kann sie in tieferes Leid, Isolation und Depression stürzen", heißt es in der Aussendung. Nehammer habe offenbar nie die Hämatome bei Jugendlichen gesehen, die durch das Abbinden der Brüste von Transmännern (geborene Frauen, die sich zu Männern entwickeln) entstehen, oder Transmädchen kennengelernt, die nach Einsetzen des Stimmbruchs nicht mehr sprechen wollen. Studien zu Jugendlichen mit Transidentität haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte einen Suizidversuch unternommen haben und dass Hormonbehandlungen die mentale Gesundheit signifikant verbessern können.

Ärzte raten von Verbot ab

Es sei richtig, dass vor allem bei unter 16-Jährigen die Datenlage zu Langzeitfolgen von Hormontherapien dünn ist, berichtet Johannes Huber, Gründer der Transgender-Ambulanz am Wiener AKH. Bekannt sei auch, dass zum Beispiel das Risiko von Gehirntumoren steigt. Ein Verbot hält Huber trotzdem für falsch: "Wenn man es unter Beobachtung macht und sich jemand eigenverantwortlich dafür entscheidet, kann nichts passieren." Auch im Gesundheitsministerium sieht man keine Notwendigkeit für Änderungen.

In Ostösterreich kommen die meisten Jugendlichen, die eine Hormontherapie machen wollen, zu Stefan Riedl, dem Leiter der Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. "Ich finde, der Prozess ist bei uns in Österreich gut kontrolliert", sagt er. Die Diagnostik ziele ja gerade darauf ab, herauszufinden, ob eine Hormontherapie das Richtige ist. "Dass Jugendliche wegen eines 'Hypes' zu einer Hormonbehandlung kommen, erlebe ich nicht."

Natürlich gewinne das Thema in den Medien an Präsenz, sagt Riedl, und die Patientenzahlen seien in den vergangenen Jahren auch gestiegen, aber "viele Menschen haben so erst herausgefunden, warum es ihnen schlecht geht." Zu Riedl kommen pro Jahr circa 40 bis 50 Jugendliche, die Interesse an einer Hormontherapie haben, berichtet er. Knapp zwei Drittel davon würden sich schließlich auch dafür entscheiden. Auch Riedl hält ein Verbot für falsch: "Ein Gesetz, das für alle da ist, müsste zeigen, dass es allen nützt und niemandem schadet. Bevor Verbote vonseiten des Gesetzgebers ausgesprochen werden, sollte man die Etablierung von Expertisezentren unterstützen." Mehr Ressourcen und Verbesserungen seien nämlich natürlich wünschenswert.

Bei der ÖVP weist man den Vorwurf der Misshandlung "auf das Schärfste" zurück. „Die Position des Bundeskanzlers ist grundvernünftig. Bei Hormonbehandlungen handelt es sich um schwerwiegende Eingriffe, deren Nebenwirkungen und Spätfolgen wissenschaftlich umstritten sind. Überall dort, wo Behandlungen medizinisch notwendig sind, sollen diese auch weiter möglich sein", heißt es in einer Stellungnahme. (Johannes Pucher, 6.2.2024)