Wenn es nach der ÖVP geht, dann sollen sich Nutzerinnen und Nutzer gegenüber Onlineplattformen wie Meta eindeutig ausweisen müssen. Die Strafverfolgungsbehörden sollen dann im Verdachtsfall genau auf diese Daten zugreifen können.
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Am Anfang war, wie so oft in Österreich, das Schnitzel: Zuerst forderte die ÖVP eine Klarnamenpflicht bei Onlinebewertungen der Hotellerie und Gastronomie. Wem das österreichische Nationalgericht nicht geschmeckt hat, der soll die Kritik am Wirt bitte schön nur unter seinem eigenen Namen und nicht hinter einem Pseudonym online äußern. Mittlerweile hat sich die Debatte von der gebackenen Fleischspezialität und den Hotel- und Wirtshausküchen des Landes wegbewegt. Die ÖVP fordert nämlich die Klarnamenpflicht nicht mehr nur bei Gastro-Bewertungen, sondern im ganzen Internet.

Trotzdem greift ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zuerst wieder auf den Tourismus zurück. Fake-Bewertungen und Bot-Armeen würden wirtschaftlichen Schaden verursachen, und oft lasse sich nicht einmal sicher sagen, ob hinter der schlechten Rezension Mensch oder Maschine stecke. Bei der ÖVP wittert man gar existenzbedrohende Attacken auf den Lieblingswirtschaftszweig der Politik. Nicht nur deshalb müsse eine Klarnamenpflicht her, denn "was in der realen Welt gilt, muss online auch gelten", so Stocker. Der Hass im Netz stehe dem im realen Leben nämlich in nichts nach, meint man bei der Volkspartei, weshalb sich nach Nehammers "Österreich-Plan" niemand mehr in der vermeintlichen Anonymität des Internets verstecken können soll.

Mancher Verschwörungstheoretiker würde so manche Aussage nicht tätigen, wenn sie nicht mehr im rechtsfreien Raum fallen würde, ist Stocker überzeugt. Gleichzeitig nennt er eine gezielte russische Desinformationskampagne bestehend aus 50.000 gefälschten Nutzerkonten auf X, vormals Twitter, als Beispiel dafür, warum eine Klarnamenpflicht nötig sei. Wie ein österreichischer Identifikationszwang im Netz eine russische Fake-News-Kampagne gestoppt hätte, blieb aber offen.

Video: ÖVP will Klarnamenpflicht und irritiert Datenschützer und Koalitionspartner.
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Dreistufenplan der ÖVP

Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky wählte noch drastischere Beispiele: "Eine Frau geht auf der Straße und wird sexuell belästigt. Da ist es nur natürlich, das die Polizei den Täter anhält und die Identität feststellt." Auch bei Wiederbetätigung sei klar, dass man Täter zur Verantwortung ziehen müsse. Im Netz sei das aber nicht der Fall. Eine Klarnamenpflicht bedeute aber nicht, dass man keine Nicknames mehr verwenden dürfe. Die Userinnen und User sollen sich laut den Plänen der ÖVP nämlich direkt bei den Plattformen selbst ausweisen, die Strafverfolgungsbehörden sollen dann im Verdachtsfall darauf zugreifen können.

Die Anonymität im Netz ist der ÖVP ein Dorn im Auge.
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Sprich: Man kann sich auf einer Bewertungsplattform sehr wohl noch "Mausi1234" nennen, aber im Verdachtsfall müssen Plattformen wie Instagram, Facebook, X, Threads und Co die Identität des Posters gegenüber Ermittlern offenlegen. Tursky nennt einen Dreistufenplan zur Durchsetzung der Klarnamenpflicht. Einerseits sollen die Plattformen verpflichtet werden, gegen Hass im Netz, Falschinformationen und Fake-Bewertungen von sich aus vorzugehen. Die ganz großen Onlineplattformen wie Google, Tiktok oder Meta müssen dies in Europa im Rahmen des Digital Services Acts (DSA) ohnehin, der ab dem 16. Februar 2024 angewendet wird.

Über den DSA wurde seit 2020 verhandelt, und noch bevor er tatsächlich in Kraft tritt, will die ÖVP noch einmal über das Regelwerk diskutieren. Denn: Auch kleinere Plattformen sollen den Regeln des DSA unterliegen. In Europa gelten für Plattformen ab 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern besonders strenge Auflagen. Diese Zahl ist der ÖVP aber zu hoch, weshalb Tursky sich bereits an den EU-Kommissar Thierry Breton gewandt habe. Welche Grenze genau eingezogen werden soll, ist noch nicht ganz klar. Aber Tursky sprach auf Nachfrage des STANDARD von Nutzerzahlen im einstelligen Millionenbereich. Die Zahl der Nutzer sei auch nicht das einzige Kriterium, bei Bewertungsplattformen könnten etwa andere Maßstäbe herangezogen werden, welche genau das sein könnten, müsse man sich noch anschauen.

Zweitens sollen sich Nutzerinnen und Nutzer gegenüber den Plattformen eindeutig ausweisen müssen, dies könne zum Beispiel über staatliche ID-Systeme wie die ID Austria geschehen oder aber auch durch Videoverifikation. Auf diese Daten sollen die Behörden im Anlassfall Zugriff bekommen um Straftaten verfolgen zu können. Notfalls will die ÖVP die Regeln des DSA für Österreich im Alleingang verschärfen. Sollten Instagram, Tiktok und Co diesen Auflagen nicht nachkommen, dann werden sie vom österreichischen Markt ausgeschlossen, so Tursky.

Datenschützer reden von "ÖVP-Luftschlössern"

Die ÖVP-Pläne stoßen bei Datenschützern auf Kopfschütteln. Thomas Lohninger von Epicenter Works spricht von "ÖVP-Luftschlössern". Die Ideen seien zudem klar europarechtswidrig, und die Verschärfung des DSA (sogenanntes Gold Plating, also die Übererfüllung von EU-Vorgaben) würde vor keinem Höchstgericht halten. "Die ÖVP recycelt hier ihre Idee für einen digitalen Ausweiszwang, die bereits 2019 gescheitert ist. Keine Plattform außerhalb Österreichs würde sich für so ein Gesetz interessieren." Es habe schon einen Grund, warum der DSA größere Plattformen härter in die Pflicht nehme. Diese Regeln nun einseitig auch für kleinere Plattformen zu verschärfen, sei in Wahrheit ein Geschenk der ÖVP an Google und Facebook, so Lohninger.

Bei Epicenter Works weist man außerdem darauf hin, dass Klarnamen politische Verfolgung ermöglichen. Das Internet sei ein öffentlicher Raum, und wie auf der Straße auch habe man ein Recht darauf, sich anonym zu bewegen. Niemand müsse ein Namensschild vor sich hertragen. Dieses Recht müsse auch für das Internet gelten.

Koalitionspartner ist wenig erfreut

Auch beim grünen Koalitionspartner kommen die neuerlichen Pläne, eine Ausweispflicht im Netz einzuführen, weniger gut an. In einer Aussendung fordert der Digitalsprecher der Grünen, Süleyman Zorba, "realistische und technisch machbare Lösungen, die nicht die Meinungsfreiheit einschränken und auch vor den Höchstgerichten halten". Bewertungsplattformen müssten dazu verpflichtet werden, Hürden gegen unverifizierte Bewertungen und Massen-Fakes einzuziehen.

"Eine Klarnamenpflicht ist auch in der Vergangenheit schon an Höchstgerichten gescheitert. Sie ist der falsche Weg, um Hass- und Desinformationskampagnen auszuhebeln. Vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten Hassnachrichten ohnehin bereits mit Klarnamen abgesetzt werden. Wir sollten uns auf Lösungen konzentrieren, die umsetzbar sind, und keine Schnellschüsse fordern, die massive Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hätten, ohne das Problem zu lösen. In erster Linie ist es Aufgabe der Plattformen, hier Verantwortung zu übernehmen", so Zorba. Schnellschüsse wie jener der ÖVP würden das Problem jedenfalls nicht lösen, so Zorba gegenüber dem STANDARD.

Klarnamenpflicht ist schon in der Vergangenheit gescheitert

Welche Folgen eine Klarnamenpflicht haben kann, kann man am Beispiel Südkorea beobachten. Im Jahr 2007 wurden alle Onlineplattformen mit über 100.000 Userinnen und Usern in dem asiatischen Land verpflichtet, ihre Klarnamen anzugeben. Tatsächlich gingen Hassnachrichten und Beschimpfungen zurück – anfänglich. Kurz darauf erreichte die Menge an Beleidigungen wieder das Niveau von vor der Einführung der Klarnamenpflicht. Interessanterweise war ein Rückgang besonders derber Beschimpfungen zu beobachten, die Userinnen und User gingen eher dazu über, die Namen von Politikern zu verballhornen, sodass sie wie Beleidigungen klangen, wie die Korean Communications Commission in einer Studie herausfand. Insgesamt ging die Zahl der Hassbotschaften nur um magere 0,9 Prozent zurück. Die Klarnamenpflicht hatte aber einen anderen Effekt: Plötzlich waren auch kleinste koreanische Plattformen für Hacker auf der Suche nach wertvollen Identitätsnachweisen interessant. Das Experiment Klarnamenpflicht wurde im Jahr 2011 für gescheitert erklärt und gestoppt.

Eine Studie unter der Leitung von Alfred Moore von der University of York konnte ebenfalls nachweisen, dass eine Klarnamenpflicht keinen oder nur sehr geringen Einfluss auf das Geschriebene hat. Dabei wurde das Verhalten der Forumsteilnehmer der "Huffington Post" zwischen Jänner 2013 und Februar 2015 analysiert. In diesem Zeitraum durchlief die Website der Zeitung mehrere Änderungen. Zuerst war es möglich, massenweise Pseudonyme zu erstellen. Wurde eines gesperrt, konnte man sich einfach ein neues erstellen. In der zweiten Phase mussten die Pseudonyme registriert werden, und ihre Accounts mussten mit ihrer E-Mail-Adresse authentifiziert werden. Das machte zwar immer noch die Verwendung von Pseudonymen möglich, es wurde aber schwieriger, einfach Wegwerf-Accounts zu erstellen.

In der dritten Phase lagerte die Zeitung die Kommentarfunktion an Facebook aus, wo der Großteil der Nutzer unter Klarnamen postet. Das überraschende Ergebnis: Die Debatten verliefen in der zweiten Phase mit registrierten Pseudonymen am zivilisiertesten. Die Studienautorinnen und -autoren nennen diesen Effekt "dauerhafte Pseudonyme". Die Nutzer mit diesen Pseudonymen richten ihre Kommentare in erster Linie an ihre Mitkommentatoren im Publikum und sorgen sich deshalb mehr um ihren Ruf im Forum, so ein Erklärungsansatz. (Peter Zellinger, 7.2.2024)