Elon Musk vor X-Logo
Elon Musk hat für Forschende den Zugriff auf die Daten seines Social Networks X massiv eingeschränkt. Das wird auch in Brüssel als Problem gesehen.
IMAGO/Jaap Arriens

Mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten, eine Million deutschsprachige Tweets innerhalb eines Monats – mit dem Ziel, Unsicherheit zu verbreiten und Misstrauen gegenüber der Regierung zu säen: Laut Recherchen des Auswärtigen Amtes hatte Russland Elon Musks Social Network X verwendet, um eine massive Desinformationskampagne in Deutschland durchzuführen. DER STANDARD berichtete. Doch gibt es solche Bestrebungen auch in Österreich?

Auf Anfrage des STANDARD heißt es aus dem Außenministerium, dass keine Informationen über spezifisch gegen Österreich oder Mitglieder der Bundesregierung gerichtete russische Desinformationsaktivitäten vorliegen. Allerdings sei davon auszugehen, dass "sich die russische Desinformationskampagne in Deutschland aufgrund des gemeinsamen Sprachraums auch in Österreich auswirken kann".

Telegram und X

Blickt man auf österreichische Akteure in sozialen Netzwerken, kann diese Einschätzung des Ministeriums rasch bestätigt werden, zumindest auf subjektiver Ebene. So ist nicht nur die Nutzerschaft von X stark polarisiert, wenn es um Themen wie den Ukrainekrieg geht. Auch auf Telegram werden in einschlägigen Gruppen Fake News rund um den Krieg verbreitet.

Telegram hat eine Sonderrolle unter den Apps, ist es doch Messenger und Social Network zugleich: Hier kann man sich bilateral oder in kleinen Gruppen gegenseitig schreiben, oder aber man nutzt es gezielt für die politische Stimmungsmache, für die Einer-zu-vielen-Kommunikation. In Hochzeiten der Pandemie waren hier bereits Fake News rund um den Ursprung des Virus und angebliche Nebenwirkungen der Impfung verbreitet sowie Demonstrationen organisiert worden. An anderer Stelle gesperrte Personen fanden bei Telegram ihren Nährboden, so zog der Musiker Xavier Naidoo zum Beispiel Verbindungen zwischen der Impfung und einer möglichen Zombie-Apokalypse.

Über die Impfung und die Pandemie wird in den einschlägigen Gruppen noch immer diskutiert, ergänzt wird dieser Themenbereich aber auch um Kritik an "den Medien", dem World Economic Forum (WEF) und "der Wokeness", um die Bauernproteste in Deutschland sowie um Postulierungen rund um die Kriege im Nahen Osten – und in der Ukraine. Feindbild ist dabei eine "globale Elite" ebenso wie die Regierungen in Europa und in den USA.

Schwierige Datenlage

Inwieweit welche Gruppierungen welche Inhalte posten und wie viel Content davon automatisiert über Bots verbreitet wird, das lässt sich nicht nur für Telegram, sondern auch für Elon Musks X schwer feststellen. Denn der Multimilliardär hatte den Zugriff auf Datenauswertungen nach der Übernahme des vormals als Twitter bekannten Social Networks massiv eingeschränkt, was auch die wissenschaftliche Analyse extrem erschwert. Außerdem klagte Musk eine Organisation, die sich explizit der Erforschung von Hassrede auf dem Twitter-Nachfolger X widmete.

Wer also wissen möchte, wie im Netz aktuell diskutiert wird, der muss andere Quellen analysieren. So hat Arno Scharl, Geschäftsführer des Datenanalyseunternehmens Weblyzard, für den STANDARD ausgewertet, wie in Österreich und dem restlichen deutschen Sprachraum im Lauf des Jänner über die Ukraine berichtet wurde. Geprüft wurden Nachrichtenseiten sowie Websites von Unternehmen und dem öffentlichen Sektor.

Die nachfolgende Grafik zeigt etwa die Berichterstattung und Diskussion zum Begriff "Ukraine" im deutschsprachigen Raum und die positive oder negative Besetzung ("Sentiment"). "Positiv hebt sich hier insbesondere das World Economic Forum in Davos ab, was in der gesamten DACH-Region, aber natürlich besonders in der Schweiz sichtbar ist", sagt Scharl.

Weblyzard

Bezogen auf Österreich zeigt sich unter anderem in einer "Tag Cloud", welche Begriffe besonders oft in Verbindung mit der Ukraine genannt werden. Neben den üblichen Begriffen wie "Angriffskrieg", "Kiew" und "Nato" sticht auch hier der Begriff "Davos" hervor.

Weblyzard

Transparenz vor der EU-Wahl

Allerdings bilden diese Analysen, wie zuvor bereits erwähnt, eher etablierte Medien als das Social Web ab. Um dies auswerten zu können, wäre ein Zugriff auf die Programmierschnittstellen (APIs) der Social Networks erforderlich.

Hier betont Scharl, dass die EU zuletzt eine Informationsanfrage an 17 große Content-Plattformen geschickt habe: Im Kontext des Digital Services Act (DSA) möchte Brüssel eine Klarstellung dazu, inwieweit die Plattformen den Forschenden Zugang zu Daten ermöglichen. Bis 9. Februar haben die Unternehmen nun Zeit, auf diese Anfrage zu antworten.

Der DSA gilt seit November und erfordert von großen Onlineplattformen ebenso wie von Suchmaschinenanbietern, dass sie gegen illegalen Content und gegen Inhalte vorgehen, die eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen. Der Zugriff für Forschende auf die Daten wird vor allem im Kontext der anstehenden EU-Parlamentswahl als relevant angesehen.

Technische und politische Maßnahmen?

Seitens des Außenministeriums heißt es in Bezug auf die aktuellen Enthüllungen, dass das EU-kompetenzzentrum "EU vs Desinfo" bereits die vom deutschen Auswärtigen Amt ermittelten Daten prüfe. "Wir werden gemeinsam mit Deutschland und in den zuständigen EU-Gremien über Konsequenzen beraten", heißt es dazu aus dem Ministerium.

Einen nicht technologischen, sondern politischen Ansatz schlägt Michael Hirschbrich, CEO von Apollo AI, Autor, Speaker und Digitalisierungsexperte, vor. "Aus meiner Sicht kann man dem kaum technologisch Herr werden, dem widerspricht die Architektur des WWW und vieler Applikationen", sagt er dem STANDARD: Daher brauche es eine politische Lösung, ähnlich den Verträgen für nukleare Rüstungsbegrenzung (SALT) und dem Abrüstungsabkommen START (Strategic Arms Reduction Treaty).

Diese beiden Abkommen wurden zwischen den USA und der Sowjetunion während des Kalten Krieges geschlossen, weil beide Seiten die Bedrohung einer militärischen Eskalation als zu groß empfanden. Auf Hinweis, dass auch kleine Hackergruppen mit geringeren Mitteln Desinformation betreiben können, entgegnet Hirschbrich, dass die wahrhaft gefährliche Desinformation von staatlichen Akteuren komme. So wie es nach aktuellem Kenntnisstand bei der in Deutschland aufgedeckten Kampagne der Fall sein dürfte, die auch Spuren im restlichen deutschen Sprachraum hinterlässt. (Stefan Mey, 30.1.2024)