Wird ein Ehegatte Opfer von Gewalt in der eigenen Wohnung, besteht die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung zum Schutz dagegen zu erwirken. Der gewalttätige Ehegatte kann aus der Wohnung weggewiesen und die Rückkehr in die Wohnung kann ihm verboten werden.

Person hält Hand schützend vor sich
Kommt es innerhalb einer Ehe zu Gewalt, kann die betroffene Person rechtliche Maßnahmen ergreifen. Der OGH führt aus, dass dabei mit einem großzügigen Maßstab zugunsten der Opfer zu operieren ist.
APA/dpa/Fabian Sommer

Der Antrag ist bei Gericht einzubringen und ist zulässig, wenn ein Ehegatte durch einen körperlichen Angriff oder die Androhung eines solchen das weitere Zusammenleben für den anderen Ehegatten unzumutbar macht. Allerdings kann der Antrag nur gestellt werden, wenn die Wohnung der Befriedigung des sogenannten dringenden Wohnbedürfnisses des gefährdeten Ehegatten dient. Ein dringendes Wohnbedürfnis ist gegeben, wenn keine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht.

Doch was passiert, wenn die gefährdete Person zuerst auszieht, weil sie die Situation nicht mehr aushält? Kann ein dringendes Wohnbedürfnis in einem solchen Fall weiterbestehen?

Flucht aus Wohnung führt nicht zu Verlust

Die Frage, ob der vorübergehende Auszug des gefährdeten Ehegatten aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung zum Verlust des dringenden Wohnbedürfnisses führt, ist durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) klar geregelt. Der gefährdete Ehegatte verliert nur dann sein dringendes Wohnbedürfnis, wenn ihm eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht. Das dringende Wohnbedürfnis geht nicht allein dadurch verloren, dass der gefährdete Ehegatte die gemeinsame eheliche Wohnung aus berechtigter Angst vor weiteren Übergriffen vorübergehend verlässt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich kürzlich mit einem Fall (7 Ob 161/23m) beschäftigt, in dem eine Ehegattin die gemeinsame eheliche Wohnung vorübergehend mit ihren zwei Kindern verlassen hat. Sie tat dies, weil ihr Ehegatte ihr mehrfach körperliche Gewalt angedroht hatte, sie beschimpfte und sich ihr gegenüber aggressiv verhielt. Dieses Verhalten zeigte der Ehemann insbesondere, wenn er Alkohol konsumierte, was immer wieder vorkam. Es kam mehrfach zu "Gerangel" zwischen den Eheleuten, der Ehegatte fügte seiner Frau aber keine Körperverletzungen im engeren Sinn zu.

Keine Lösung in den ersten Instanzen

Die häusliche Situation hatte sich in den vorangegangenen Wochen und Monaten sukzessive verschlechtert und zugespitzt. Zugleich mit ihrem vorübergehenden Auszug aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung begab sich die Ehegattin in psychologische Behandlung. Ihr wurde eine akute Belastungsstörung aufgrund der Vorkommnisse und der Trennungssituation diagnostiziert. Die Ehegattin konnte vorübergehend mit ihren Kindern bei ihren Eltern unterkommen. Sie begehrte gerichtlich die Wegweisung des Ehegatten aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung sowie ein Rückkehrverbot in die gemeinsame Wohnung für die Dauer von sechs Monaten mittels einstweiliger Verfügung, um selbst mit den Kindern in die Wohnung zurückkehren zu können.

Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, dass das festgestellte Verhalten des Ehegatten gerade noch nicht als so gravierend anzusehen sei, um von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen. Diese Entscheidung wurde vom Rekursgericht (zweite Instanz) bestätigt und wurde um die Begründung ergänzt, dass das Verhalten des Ehegatten nicht die Schwere erreichen würde, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen ließe.

Oberster Gerichtshof spricht von "Psychoterror"

Der Oberste Gerichtshof sah dies anders und qualifizierte das Verhalten des Ehemannes als "Psychoterror". Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen der untergeordneten Gerichte auf und erließ die beantragte einstweilige Verfügung gegen den Ehegatten. Er führt in seiner Entscheidung aus, dass die Ausübung von "Psychoterror" die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt dann rechtfertigt, wenn dadurch die psychische Gesundheit des anderen Ehegatten erheblich beeinträchtigt wird.

Das bedrohliche und erniedrigende Verhalten des Ehemanns gegenüber seiner Frau wurde vom Obersten Gerichtshof als ausreichend angesehen, um diesen aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung wegzuweisen und ihm die Rückkehr in die gemeinsame eheliche Wohnung auf bestimmte Zeit mittels einstweiliger Verfügung zu verbieten. Auch der vorübergehende Auszug der gefährdeten Ehegattin in die elterliche Wohnung führte nicht zu einem Verlust des dringenden Wohnbedürfnisses, weshalb die einstweilige Verfügung zu erlassen war.

Der Oberste Gerichtshof hielt zudem allgemein fest, dass es die mit dem Gewaltschutzgesetz angestrebte "Entschärfung" der Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nahelegt, bei der Prüfung der Voraussetzung der Zumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis einen großzügigeren Maßstab anzulegen. (Helena Marko, Anna Büchel, 9.2.2024)