Im Fasching darf der Astronaut auch ein Röckchen tragen. Gerade im Kindergarten ergibt sich noch ein spielerischer Zugang zu Geschlechterrollen.
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Lino steht im Kaufhaus in der eigens eingerichteten Faschingsabteilung und macht große Augen. Papa hält ihm verschiedene Kostüme hin. Nächste Woche ist im Kindergarten Faschingsfest, Lino ging schon zweimal als Pirat, heuer muss es etwas anderes sein. Das originelle Astronautenkostüm vom Fast-Fashion-Konzern hat er schon abgelehnt, jetzt werden Alternativen gesichtet: Ausgerechnet das Leopardenkostüm, das ihm gefallen würde, ist nur für Frauen, also für erwachsene. Papa zeigt ihm das Feuerwehrkostüm – mit Helm! Abgelehnt. Polizist? Fad. Clown? Nein, unlustig. "Ich will das", sagt Lino und zeigt auf ein blaues Glitzerkleid. "Ich will als Elsa, die Eiskönigin, gehen." Dem Papa fällt erst einmal die Kinnlade runter, dann muss er sich bemühen, nicht zu lachen. Verunsichert führt er den Kleinen aus der Kostümabteilung raus, "reden wir später drüber".

Elsa, die coole Socke

Wie geht man damit um, wenn der Bub als Mädchen gehen will, sich als Prinzessin oder Königin verkleiden will? Elsa ist eine coole Socke, eine starke Figur, bei Kindern sehr beliebt – egal ob Buben oder Mädchen. Aber wie wird es Lino damit gehen, wenn er im blauen Glitzerkleid im Kindergarten auftaucht? Den Mädchen wird’s vermutlich taugen, die werden das toll finden. Aber was wird Max sagen, der fast schon sechsjährige Leithammel unter den Buben im Kindergarten?

Vielleicht machen sich nur Erwachsene darüber Gedanken, und das ist der Fehler.

Kinder zeigen vor, wie sehr sich die meisten von uns im Laufe des Lebens bei ihrer Kleiderwahl einzuschränken beginnen, zum Beispiel durch Geschlechternormen.

Im Tüllrock der Schwester

Der dreijährige Jakob kennt diese Grenzen nicht. Er war bereits im regenbogenfarbenen Tüllrock der Schwester im Kindergarten, an einem stinknormalen Herbsttag. Die Unterscheidung zwischen Alltagsgewand und Verkleidung ist für ihn ein Mysterium – und nur darin gegeben, dass die Faschingskostüme in einer Kiste zu finden sind und anderes Gewand im Kasten. Zum Faschingsfest im Kindergarten kommt der kleine Mann als Skye, das ist das pinkfarbene, weiblich gelesene Hündchen aus der sehr beliebten Serie Paw Patrol. Eltern von Kleinkindern wissen Bescheid. Das Kostüm ginge gut und gerne als Prinzessinnenkleid durch. Dazu will er einen Haarreifen aufsetzen, an dem Bienenfühler wippen. An einem regnerischen Tag hat er diese Kombination bereits anprobiert. Sein Spiegelbild grinste begeistert zurück.

Seiner fast sechsjährigen Schwester gefiel das von Freunden verschenkte Skye-Kostüm zwar, nach wenigen Minuten Probetragen war es ihr aber zu warm. Sie ging in den vergangenen Jahren zweimal als Piratin: in zerrissenen Jeans, mit Kopftuch, Augenklappe und Tattoo. Einmal verwandelte sie sich in Pippi Langstrumpf, und heuer wird sie eine Zauberschülerin aus Hogwarts oder einen Tiger geben. Es wird eine spontane Entscheidung.

Buben in dem Alter haben noch weniger Hemmungen, Verkleidungen auszuprobieren, die nicht dem Klischee entsprechen. Eiskönigin oder Prinzessin kann auch für Buben eine spannende Rolle sein.
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Fabian möchte dieses Jahr Feuerwehrmann sein: mit gelbem Plastikhelm und einer roten luftundurchlässigen Jacke, die seine Eltern über Willhaben gekauft haben. Vermutlich wird er auch seinen kleinen roten Feuerlöscher in den Kindergarten mitnehmen, den die Schnulli-Fee gebracht hat, obwohl die Mama strikt gegen ein weiteres Stück Plastikramsch war. Ausgestattet ist Fabian für den Fasching 2024 seit vergangenem Juli.

Starke Feuerwehrfrauen

Die Feuerwehr liebt Fabian schon lange, neu ist, dass er spielt, ein "Mann" zu sein. Bis vor kurzem gab es in seiner Gedankenwelt ausschließlich Feuerwehrfrauen. Das hat nichts mit feministischer Erziehung zu tun, sondern ausschließlich mit Peppa Wutz. In einer Folge der Kindersendung bilden die Mamas eine "Mütter-Feuerwehr" (warum auch immer). Fabian schloss daraus: Nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der Feuerwehr arbeiten vor allem Frauen. Wenn er Kindergarten spielte, war er "Pädagogin", wenn er Feuerwehr spielte, eben "Feuerwehrfrau".

Warum er nun plötzlich doch ein Feuerwehrmann sein möchte, wissen seine Eltern nicht. Immerhin will er nicht als Cowboy oder Robin Hood gehen. Bei der Feier im Kindergarten sind Spielzeugwaffen nämlich strengstens verboten – auch Pfeil und Bogen! Damit fallen schon etliche Verkleidungen weg, auch Zorro (ohne Degen öd), Pirat (braucht der nicht einen Säbel?) und Ritter (Schwert!) sind aus dem Rennen. Indianer ist sowieso verpönt. Also bleiben für die Buben Superhelden mit ihren Superkräften. Spiderman ist sehr beliebt – oder doch ein Krönchen als Prinzessin oder Eiskönig? Lasst uns alle Elsa sein. (Katharina Mittelstaedt, Gudrun Springer, Michael Völker, 11.2.2024)