Kleiner Junge in Löwenkostüm, der weint.
Wer will zu Fasching schon in ein trauriges Kindergesicht schauen, weil das Kostüm nicht gefällt?
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"Mama, ich brauche noch ein Kostüm", sagt der Sechsjährige. Hui, da reißt es mich kurz. Der Jänner ist wirklich schon vorbei? Fasching? Jetzt schon? "Als was willst du gehen?", frage ich. Das Kind, schulterzuckend, zeigt auf mein Handy: "Können wir im Internet schauen?" Wir können.

Ich tippe "Kostüm für Kinder" in die Suchleiste, scrolle mich vorbei an etlichen Anzeigen chinesischer Anbieter hin zur ersten österreichischen Adresse. Ein Versandhandel für Dekoration und Kostüme. Dort stehen folgende Kategorien zur Verfügung: Jungen, Mädchen, Harry Potter, Paw Patrol, Superhelden, Peppa Wutz und PJ Masks. Aha. Also noch alles gleich wie in den drei Jahren davor.

Bei den Buben wird mir als Erstes ein Ninjakostüm angezeigt. Kostüm Nummer zwei: ein S.W.A.T.-Agent, also ein Polizist einer Spezialeinheit, völlig in Schwarz gekleidet, vermummt, mit Handschellen und Lederstiefeln. Kundinnen, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch einen Schlagstock, eine kugelsichere Weste und ein Soldatenkostüm in Camouflage. Weiter im Angebot bei den Burschen: Polizist, Batman, Astronaut, Ritter, Dinosaurier.

Polizistin im Minirock

Mein Sohn ist hellauf begeistert. "Woa, das ist cool", schreit er mir ins linke Ohr. Natürlich. Wir schauen dennoch, was es bei den Mädchen gibt: Elsa, Prinzessin, Hexe, Fee. Immerhin ist auch eine Polizistin dabei. Die trägt aber keine kugelsichere Weste, sondern ein kurzes, schwarzes Röckchen. Eine Polizistin im Minirock, man kennt's ... Biene, Marienkäfer oder Schmetterling wären zumindest geschlechtsneutral, aber nein, die gibt es auch nur mit Rockerl.

Während ich erstaunt durch ein einziges Genderklischee scrolle, das sich mir auf einer Seite für Kinderkostüme offenbart, schreit mir der Sechsjährige nun ins rechte Ohr: "Das sind nur Kostüme für Mädchen, Mama!" Wie gerne ich ihm widersprechen würde. Doch mit welchem Argument?

Kinder wissen bereits in einem Alter von etwa drei Jahren, welchem Geschlecht sie angehören. Entwicklungspsychologen sagen, ab diesem Zeitpunkt beginnen sie, sich der Norm entsprechend zu verhalten. Und die Norm in unserer Gesellschaft schreit förmlich nach "Buben tragen Blau, und Mädchen tragen Rosa." An allen Ecken und Enden unseres Alltags. Da reicht schon ein Blick in die Kinderabteilung großer Handelsgeschäfte. Glitzereinhorn, Herzchen, süße Häschen bei den Mädels. Haie, Dinosaurier und Autos bei den Buben.

Zum Fasching ist es nicht anders. War es auch nie. Ich erinnere mich an meine Kindheit. Da gab es nur ein einziges Jahr, in dem ich nicht als Prinzessin mit Tüll und Krönchen verkleidet war. In diesem Jahr war ich Minnie Mouse mit Minikleid. Die Buben waren immer Cowboy, Indianer, Polizist.

Alles nur Erziehung?

Nun, die Zeiten ändern sich. Und natürlich: Ich habe meine Kinder ganz anders erzogen als meine Eltern mich damals. Meine Söhne tragen meist neutrale Farben. Ich greife ganz bewusst zu Gelb, Grün, Rot oder Weiß. Im Kinderzimmer liegen nicht nur Dinosaurier und Lego. Wir haben auch Puppen mit Kinderwagen, einen Reitstall, Perlenbastelsets im Spielzeugangebot. Sie dürfen sich die Nägel lackieren, lange Haare tragen, Röcke anziehen, wenn sie das wollen. Mein Mann und ich sind offen für alles. Gebracht hat es dennoch nichts. Der Große trägt am liebsten Schwarz und irgendwas mit Haien oder Monstern drauf. Das erste Wort des Kleinen war "Brummbrumm".

Geschlechterrollen haben also sicher nicht nur mit der Erziehung zu tun. Selbst woke Stadteltern scheitern an den tradierten Rollenklischees, die der Kapitalismus für ihre Kinder bereithält. Ich habe das bei etlichen Familien beobachtet. Bei den Mädchen ist es oft sogar noch schlimmer. Viele Jahre feministische Erziehung, das Streben nach einer gleichberechtigten Welt fernab von Rosa und Blau erliegen irgendwann dem mit Pailletten bestickten Einhornpulli von H&M. So einfach ist das. Das geht im Kindergarten los und wird mit der Schule nicht besser.

Ist das schade? Ja, irgendwie schon. Weil ich dennoch nicht das Gefühl loswerde, dass Kinder in Stereotype gedrängt werden. Die Suche nach einem Faschingskostüm für meine Söhne bestätigt mich darin. Und während Mädchen immerhin dafür gefeiert werden, wenn sie sich als Ritter, Astronautin oder Ärztin verkleiden, bekommen Jungs höchstens verwunderte Blicke, sollten sie als Prinzessin oder Schmetterling auf der nächsten Faschingsparty aufkreuzen.

"Wie wäre es mit Löwe?", frage ich meinen Sohn. "Nein, ich will unbedingt den roten Ninja", sagt er. Na gut, ich willige ein. Und bin insgeheim froh darüber, dass er nicht den Soldaten mit Maschinengewehr wollte. Kaum auf "Bestellen" gedrückt, schießt mir etwas anderes ein: Ist ein Ninjakostüm nicht kulturelle Aneignung? (Nadja Kupsa, 6.2.2024)