Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder. Im idealen Fall werden sie geliebt, behütet, gefördert und ihre Fähigkeiten, Vorlieben und Charaktereigenschaften so angenommen, wie sie eben sind. Natürlich gibt man auch in der Erziehungsarbeit die eigenen Werte und Normen an seinen Nachwuchs weiter.

Strebt man eine gleichberechtigte Welt an, so wird man versuchen, Mädchen nicht ausschließlich in der rosa Prinzessinnen-Glitzerwelt schön sittsam zu erziehen, während Buben sich in die wilde Abenteurerwelt zu begeben haben. Als Feministin und Feminist wird es einem ein Anliegen sein, seinem Kind beide Welten offen zu halten, damit das Kind unvoreingenommen entscheiden kann, was gefällt und was Spaß macht – unabhängig von stereotypen Rollenklischees.

Wie viel ist angeboren, wie viel ist Sozialisation? Stellen Sie sich diese Frage auch manchmal?
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Aber man erkennt als Elternteil auch, dass die eigenen Wertvorstellungen oft an der Realität scheitern. So werden tradierte Geschlechterrollen und -stereotype zum Teil von Großeltern, Institutionen wie Kindergarten und Schule und auch Freunden und Freundinnen dem eigenen Kind vermittelt. Beispielsweise werden Buben oft ermutigt, sich bei wilderem Spiel auszutoben und ihre Gefühle nicht zu zeigen, während Mädchen für fürsorgliches und emotionales Verhalten Lob bekommen.

Angeboren vs. Sozialisation

Und dann erlebt man Kinder im Park beim Spielen und stellt sich die Frage, wie viel Einfluss die Sozialisation auf die Entwicklung von Kindern, insbesondere im Hinblick auf Geschlechterrollen und -stereotype, hat. Vor allem wenn man die Gruppe der Mädchen beobachtet, die die Buben sowieso grad voll blöd finden und umgekehrt, und die ruhig und kooperativ vor sich hinspielen, während die Buben miteinander raufen, ihre Kräfte messen und voller Dreck sind. Selbst ertappt man sich vielleicht auch manchmal, wie man den Buben dazu motiviert, sich noch einmal ordentlich auszupowern, bevor man nach Hause geht, und beim Mädchen diese Notwendigkeit nicht in Erwägung zieht.

Was, wenn man immer darauf geachtet hat, den Kindern diverse Spiel- und Kleidungsangebote zu machen – und trotzdem greift die Tochter zur Barbie und der Sohn zu den Dinos? Steckt doch mehr dahinter als Sozialisation? Und schon ist man mitten in der feministischen Gewissensfrage, bei der man überlegt, wie viel Einfluss das biologische Geschlecht dann doch auf so manche Charaktereigenschaften und so manches Rollenverhalten hat und wie sehr man selbst die eigene Sozialisationen zum Teil internalisiert hat und unbewusst an den Nachwuchs weitergibt.

Wie geht es Ihnen mit dieser Frage?

Wie beobachten Sie das bei Ihren Kindern? Und an Ihnen selbst? Ist das biologische Geschlecht die Grundlage für Charaktereigenschaften, oder unterschätzt man manchmal die tradierte Sozialisation in der Gesellschaft, die diese veralteten Rollenzuschreibungen an Buben und Mädchen heranträgt und damit prägt? Wie haben Sie diese Frage für sich beantwortet? (Judith Wohlgemuth, 20.4.2023)