Näherinnen in der Fabrik in Dhaka.
Die europäische Konsumentinnen und Konsumenten haben am globalen Markt enormes Gewicht. Das Lieferkettengesetz wäre ein wichtiger Hebel, um Arbeitsbedingungen zu verbessern.
IMAGO/Habibur Rahman

Man stelle sich Folgendes vor: Ein heimisches Unternehmen hat hunderte einzelne Zulieferer; seine Lieferkette verläuft zweimal um den gesamten Globus. Wie soll dieses Unternehmen vernünftig kontrollieren können, ob an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden?

Die kurze Antwort: Gar nicht. Nur: Anders als von Wirtschaftsvertretern behauptet, verlangt das die geplante Lieferkettenrichtlinie der EU nicht. Sie würde Unternehmen schlicht dazu verpflichten, schrittweise mehr Verantwortung für ihre Zulieferer zu übernehmen – zum Beispiel indem sie ihre Verträge anpassen, stichprobenartige Kontrollen durchführen oder bei Hinweisen von NGOs zeitnah reagieren.

Vor allem großen Unternehmen könnte man diese Verantwortung durchaus zumuten, schließlich führt mittlerweile ein Drittel davon freiwillige Sorgfaltsprüfungen durch. Doch die EU-Staaten werden sich vorerst nicht einig. Österreich sorgte gemeinsam mit Deutschland für eine Verschiebung des Vorhabens. Die Regierungen haben Rufe der Wirtschaftsvertreter erhört und damit zum Teil fragwürdige Argumente übernommen.

Es geht ums Geld

Wer ehrlich debattiert, muss zugeben, dass es weniger um komplizierte Lieferketten geht als um Geld: Produkte, die unter der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards hergestellt werden, sind teurer. Europäische Unternehmen wären im internationalen Wettbewerb benachteiligt; Konsumenten müssten mit höheren Preisen rechnen. Am Ende des Tages ließe sich ein gewisser Wohlstandsverlust kaum verhindern.

Daraus folgt eine unangenehme, aber wenigstens ehrliche Frage: Wollen wir auf Wohlstand verzichten, wenn er auf Ausbeutung basiert? Oder weitermachen wie bisher?

Europas Konsumentinnen und Konsumenten haben im globalen Handel enormes Gewicht. Viele Märkte produzieren nach unseren Wünschen. Im Gegensatz zu kaum durchsetzbaren internationalen Abkommen wäre die Lieferkettenrichtlinie ein wirksamer Hebel, um in den Produktionsländern echte Verbesserungen durchzusetzen. Im Übrigen würde das Regelwerk auch innerhalb der europäischen Märkte zu ungleich mehr Gerechtigkeit führen: Unternehmen, die sich bis dato freiwillig an Sorgfaltsmaßstäbe halten, wären im Wettbewerb mit billiger Konkurrenz nicht mehr benachteiligt.

Die Lieferkettenrichtlinie ist ein völlig neues Regelwerk, das natürlich nicht perfekt ist. Für Unternehmen und Behörden sind mit dem Gesetz Unsicherheiten verbunden; viele Fragen werden am Ende des Tages Gerichte klären müssen. Nicht zuletzt kann man an der einen oder anderen Schraube sicher noch drehen: Denkbar wären etwa Safe-Harbour-Listen, die unbedenkliche Regionen oder Unternehmen ausweisen.

Bei den Nachverhandlungen der Richtlinie sollte es aber bei kleinen Eingriffen bleiben. Andernfalls droht die Verwässerung eines Regelwerks, das uns in Sachen Menschen- und Umweltrechte einen großen Schritt voranbringen könnte. (Jakob Pflügl, 9.2.2024)