Alexandra Föderl-Schmid ist stellvertretende Chefredakteurin der
Alexandra Föderl-Schmid ist stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung". Dem STANDARD stand sie als Chefredakteurin zwischen 2007 und 2017 vor.
Friedrich Bungert / SZ-Photo / p

Alexandra Föderl-Schmid lebt. Dieser Satz verbreitete sich am Freitag in der STANDARD-Redaktion wie ein Lauffeuer. Kolleginnen und Kollegen fielen einander in die Arme, es war eine Nachricht, mit der man kaum noch gerechnet hatte. Die ehemalige STANDARD-Chefredakteurin und nunmehrige Vizechefredakteurin der Süddeutschen Zeitung wurde Freitagvormittag von einem Polizisten gefunden, nachdem sie mehr als 24 Stunden als vermisst gegolten hatte.

Ein oberösterreichischer Beamter soll um elf Uhr Vormittag unter einer Brücke nahe dem Inn im oberösterreichischen Braunau auf Föderl-Schmid gestoßen sein. Sie war völlig unterkühlt, doch am Leben und wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht. Es waren lange Stunden des Bangens, der Trauer, der Verzweiflung. Doch es gibt sie, die guten Nachrichten. Der Freitag war so ein Tag.

In den Stunden zuvor waren Polizei und Feuerwehr im Großeinsatz gewesen – mehr als hundert Helfer waren an der Suche beteiligt. Donnerstagfrüh war Föderl-Schmid als vermisst gemeldet worden. Abgesucht wurde das Grenzgebiet am Inn zwischen Oberösterreich und Bayern. Ihr Auto hatten die Ermittler zuvor auf dem Parkplatz einer grenznahen Tankstelle gefunden.

Ein gewaltiges Echo

Föderl-Schmids Verschwinden führte zu einem gewaltigen Echo. Vor einigen Wochen war die Journalistin in Kritik geraten, sie soll in mehreren Artikeln Textbausteine aus anderen Quellen übernommen haben – ohne diese Quellen zu benennen. Bis zur Klärung dieser Fehler zog sie sich erst vor wenigen Tagen auf eigenen Wunsch aus dem Tagesgeschäft der Süddeutschen zurück.

Doch das reichte nicht. Die Stimmung im Netz, die schon davor aufgeheizt gewesen war, eskalierte. Ein Bericht, was vor Föderl-Schmids Verschwinden geschah.

Ihren Anfang nahm die Causa Föderl-Schmid im Dezember 2023 mit einem Artikel im Medieninsider. Das deutsche Branchenmagazin veröffentlichte Auszüge aus Artikeln von Föderl-Schmid, in denen Inhalte aus anderen, fremden Texten ohne Kennzeichnung gefunden wurden. Der Artikel schlug Wellen – in der Branche und in sozialen Medien.

Auch in der Süddeutschen Zeitung brach Unruhe aus. Hatte gar jemand aus der Redaktion dem Medieninsider Informationen gesteckt? In einer internen Konferenz wurde diskutiert, wie mit der Situation weiter umzugehen sei. Wenig später berichtete der Medieninsider detailliert über die interne Besprechung. Das erhärtete den Verdacht: Jemand aus der Redaktion der Süddeutschen Zeitung muss Informationen an das Branchenmagazin weitergegeben haben – womöglich sogar eine Aufzeichnung der Konferenz?

Die "Maulwurfsuche"

In der Süddeutschen begann die "Suche nach dem Maulwurf", wie der Medieninsider es nannte. Verbindungsdaten von Journalistinnen und Journalisten wurden überprüft, um herauszufinden, ob es Kontakte zwischen jemandem aus dem eigenen Haus und der Redaktion des Medieninsider gab. Das Vorgehen innerhalb eines der größten Qualitätsmedien Deutschlands sorgte für breite Kritik. Nun rückte die Süddeutsche Zeitung selbst in den Fokus.

Föderl-Schmid selbst gestand Fehler ein, für sie persönlich schien die Sache fast ausgestanden zu sein. Bis plötzlich Anfang Februar ein privater "Plagiatsjäger" und das deutsche Online-Krawallmedium Nius mit einem neuen Vorwurf auf den Plan traten – und hinter ihnen formierte sich der Internetmob.

Der "Plagiatsjäger" hatte Föderl-Schmids Dissertation untersucht und kam in seiner elfseitigen Analyse zu dem Ergebnis: zwölf "Plagiatsfragmente" und damit "schwerwiegender Plagiatsverdacht". Föderl-Schmid hat Publizistik, Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Salzburg studiert. Ihre Doktorarbeit in Publizistik gab sie 1996 ab – vor fast 30 Jahren. In Medien ließ sich der "Plagiatsjäger" mit Sätzen wie "moralisch total verwerflich, einfach nur peinlich" zitieren.

Bezahlt wurde der private Gutachter von Nius, das der geschasste Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt leitet. Dementsprechend wurde der Inhalt der Plagiatsanalyse auf seiner Seite ausgeschlachtet. Innerhalb dreier Tage erschienen auf Nius fünf Artikel zum Thema "Föderl-Schmids Dissertation": Am Montag, den 5. Februar, um 15.32 Uhr gleich zwei, am Dienstag einer um 9.38 Uhr und ein weiterer um 12.12 Uhr, einer dann noch am Mittwoch um 13.01 Uhr.

Im letzten Artikel ist die Rede davon, dass der "Plagiatsjäger" nun damit begonnen habe, mehrere Tausend Artikel von Föderl-Schmid durchleuchten zu wollen. Auf X, vormals Twitter, teilte Reichelt genüsslich seine Nius-Storys. Er hat 277.000 Follower und nennt sich selbst "die Stimme der Mehrheit". Föderl-Schmid habe ihre "Karriere auf Abschreiben" aufgebaut, schrieb er unter anderem. Seinen Followern gefiel das. "Yes Baby, sehr geil", stand da zwischen vielen Emojis, genauso wie "Bäng!!!". Die Leute begannen auch, Föderl-Schmid zu taggen. "Falle tief!", wünschte ihr der anonyme Account @zmmkz77h. Im Netz waren alle Hemmungen gefallen.

Dynamiken im Netz

Föderl-Schmid sei eine "linke Sudeljournalistin", war zu lesen, eine "schäbige Betrüger:IN", "fanatische Tastaturaktivistin". Die "professionelle linke Hetzerin und Rufmörderin" sei endlich von ihrem "hohen moralischen Ross geholt" worden und müsse jetzt die Konsequenzen tragen.

In den sozialen Medien kann eine Dynamik entstehen, die auch dann nicht abbricht, wenn ein Mensch strauchelt. Posting abgesetzt, Meinung kundgetan, Urteil rausgebrüllt – mit den Auswirkungen auf die Betroffenen muss man sich nicht auseinandersetzen, das Leid bleibt virtuell. Menschen, die für etwas stehen, das andere aus irgendeinem Grund triggert, soll in Shitstorms die Würde genommen werden. Davor ist selten Schluss.

Föderl-Schmid war das perfekte Zentrum für einen Shitstorm von rechts: eine exponierte Frau, Mitglied der Chefredaktion der verhassten Süddeutschen, der "Alpen-Prawda". Eine angeblich "links-linke" Journalistin. Man fiel über sie her und fühlte sich moralisch im Recht. War es nicht die Süddeutsche gewesen, die im Dezember über Plagiatsvorwürfe gegen AfD-Chefin Alice Weidel berichtete? Hatten die "Mainstream-Medien" nicht extrem kritisch über die Dissertation von Ex-Ministerin Christine Aschbacher berichtet? Und hatten nicht beide Frauen am Ende ihre Titel behalten dürfen? Was Föderl-Schmid damit konkret zu tun hatte, spielte keine Rolle mehr. Wo kein Platz für Gnade ist, ist auch kein Platz für Präzision.

Nicht einmal am Donnerstag, als die Nachricht ihres Verschwindens bekannt wurde, gaben die Leute Ruhe. Manche verpackten ihre Menschenfeindlichkeit in vermeintliche Empathie ("Hoffentlich tut sich @foederlschmid nichts an – auch wenn ihre Lebenslüge offenkundig wurde"), andere waren gleich ehrlicher. "Can’t stand the fire, get out of the kitchen" oder auch: "Um diese Plagiatstussi ist es nicht schade!"

Der FPÖ-nahe Blog Der Status postete den – immerhin schnell gelöschten – Satz: "Das Ausmaß ihrer journalistischen Verfehlungen schien jenes von Claas Relotius zuletzt bei weitem zu übersteigen." Zur Erinnerung: Zu keiner Sekunde wurde Föderl-Schmid vorgeworfen, sich irgendetwas ausgedacht zu haben. Die Story hatte sich von der Realität längst gelöst.

Die Süddeutsche Zeitung hatte zu dieser Zeit bereits eine Prüfung des Falls Föderl-Schmid durch eine externe Kommission angekündigt. Leiten sollte sie Steffen Klusmann, der nach dem Betrug durch Relotius im Spiegel in Chefposition war.

Der Flower-Rain

Als bekannt wurde, dass Föderl-Schmid lebt, bekamen die Social Media ein anderes Gesicht. Erleichterung, Freude, Dankbarkeit. Die warme Welle, die sich durch unsere Redaktion zog, erreichte die gesamte österreichische Medienbranche – und schwappte über auf hunderte weitere Menschen. In unzähligen Beiträgen verliehen Userinnen und User ihrer Freude darüber Ausdruck, dass das Allerschlimmste doch nicht eingetreten war. "Die beste Nachricht meines journalistischen Lebens", schrieb die Falter-Journalistin Barbara Tóth.

Aber selbst bei guten Nachrichten zeigen Kanäle wie X ihre hässliche Fratze. Ein Mitglied des Vorstands der AfD Baden-Württemberg teilte den Artikel der Kronen Zeitung über ihr Überleben mit den Worten, sie solle sich "schämen". Sie habe eine "Kampagne" gegen Nius ausgelöst und sich "versteckt" gehalten, während die "typische linke Hetzpresse einen Selbstmord erfindet".

Irgendetwas ist aus dem Ruder gelaufen in der Gesellschaft. Das macht dieser Fall einmal mehr deutlich.

Wie viel Alexandra Föderl-Schmid von den Online-Attacken gegen sie mitbekommen hat, was sie in ihr auslösten, das wissen wir nicht. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Sie lebt. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Jonas Vogt, 9.2.2024)