Der Nebel von Dybern Maria Lazar Graz
Werden umstandslos der vergifteten Luft ausgesetzt: die Einwohner einer Kleinstadt in Maria Lazars Stück.
Schauspielhaus Graz/Lex Karelly

Bereits 1933 befand sich Autorin Maria Lazar auf dem Spielplan des Schauspielhauses Graz, wurde aber nach der Machtergreifung der Nazis doch nicht aufgeführt. Lazar war Jüdin und wurde wie viele aus der Öffentlichkeit getilgt und verfolgt. 90 Jahre später ist nun aber doch "erstmals" (so das Programmheft) ein Drama der Schriftstellerin auf der steiermärkischen Landesbühne zu sehen: "Der Nebel von Dybern" (1932), ein Stück über eine vertuschte Giftgaskatastrophe, erlebte am Freitag seine freundlich beklatschte Premiere.

"Der Nebel von Dybern" wird, wie alle anderen Werke der lange Zeit vergessen gebliebenen Wienerin (1895–1948), seit einigen Jahren durch die Bemühungen des DVB-Verlags neu entdeckt. Das Wiener Theater Hamakom präsentierte im September eine vorzügliche Neuinszenierung, die aus einem sparsamen Ansatz mit drei Schauspielerinnen viel herausholte. Mit einem deutlich konventionelleren Zuschnitt erzählt nun Regisseurin Johanna Wehner in Graz die verbrecherischen Abläufe in der belgischen Kleinstadt namens Dybern, wo die Leiter der Stickstofffabrik den tödlichen Austritt von Giftgas verschleiern wollen.

Man blickt auf die große Portalbühne wie auf die Welten Ödön von Horváths: Eine bunte Glühbirnenkette behübscht melancholisch den Vorplatz eines fahlen Gebäudeagglomerats, in dem sich die Schauplätze Wirtshaus, Fabrik und Kino überlagern (Bühne: Benjamin Schönecker). Darüber legt sich tröpfelnd unruhige Musik von Vera Mohrs. Hoch oben im Schnürboden hängt die titelgebende, dicke Nebelschwade – so realistisch gibt sich das Theater inzwischen selten. Dieser Nebel bringt den Tod. Rehe und Kühe sind verendet, Menschen wurde schlecht, sie werden sterben.

Zu lange gelüftet

Aus der Fabrik ist tödliches Giftgas ausgetreten, die Zuständigen stecken die Köpfe in den Sand und wollen die Sache lieber vertuschen. Verantwortung zu übernehmen, das kostet (Geld). Diese Verantwortung aber gilt es einzumahnen – auch heute noch, siehe die kongolesische Vergiftungskatastrophe, von der Milo Raus neue Oper "Justice" handelt.

Die Bevölkerung wird auch im belgischen Dybern absichtlich im Unklaren gelassen, die Presse abgewiegelt. All das erzählt die Grazer Inszenierung in einer Chronologie, die von schweren Tönen und bedächtiger Stille getragen wird. So richtig gesund sieht hier niemand aus, nachdem er oder sie zu lange gelüftet hat: Der metallische Teint in den Gesichtern und die Rosttöne in der Kleidung (Kostüme: Miriam Draxl) wirken wie Brandmale der Betroffenen.

Die haarsträubende Beruhigungstaktik spiegelt Lazar im Wiegenlied "Eia popeia" wider, das die schwangere Wirtin Barbara (Marielle Layher mit beeindruckend gravitätischer Stimme) singt, während der bedrohliche Nebel heranzieht. Auch die weise, leidgeprüfte Einsiedlerin Kathrine (Anke Stedingk) begehrt in schweren Moll-Tönen auf, während Wirt Josef (Mario Lopatta) kalmieren möchte und der Fabrikarbeiter Jan (Thomas Kramer) nervös abwartet.

Mann mit Nazi-Muskel

Hausbacken wirken einzig die Dialoge zwischen dem Fabrikdirektor (Tim Breyvogel) und seiner Frau Clarisse (Otiti Engelhardt), eine wahrlich museale Rollenverteilung, für die die Hamakom-Fassung aus dem Vorjahr deutlich bessere Lösungen parat hatte.

Das erstmals in der Zeitung "Der Wiener Tag" abgedruckte und später in Stettin, Kopenhagen und London aufgeführte Stück bildet ganz diverse Verhaltensmuster ab, darunter den sorgenbeschwerten Arzt Dr. Thomsen (wie erstarrt: Sebastian Schindegger), die kämpferische Heilsarmeeschwester (Anna Klimovitskaya) oder den zu totalitären Entscheidungen neigenden Abteilungsleiter Alexis (Simon Kirsch), in dem schon ein Nazi-Muskel zu zucken scheint.

Trotz einiger choreografischer Setzungen, die die weitgehend bleierne Befindlichkeit der Betroffenen zum Ausdruck bringen, bleibt Wehners Inszenierung reduziert und geradezu schüchtern. Die Figuren agieren wie Statuen ihrer selbst, so, als würde sich in einem Tableau vivant neunzig Minuten lang nur dreimal etwas verschieben. Das ist aber nicht immer so interessant, wie man es erhoffen möchte. (Margarete Affenzeller, 11.2.2024)