Wien – Hohe Ausgaben für Inserate, mangelnde Wirtschaftlichkeit, nicht nachvollziehbare Entscheidungen und Geld für parteinahe Medien. Der Rechnungshof (RH) hat die Medienarbeit des Bundeskanzleramts, des Finanz- und des Klimaschutzministeriums der türkis-grünen Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) zerpflückt – DER STANDARD berichtete. Insgesamt gaben die drei Ministerien von 2019 bis 2021 108,02 Millionen Euro für ihre Medienarbeit aus. Medienforscher Andy Kaltenbrunner analysiert den RH-Bericht – und kommt dabei zu einem vernichtenden Urteil.

Medienforscher Andy Kaltenbrunner
Medienforscher Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien beschäftigt sich schon lange mit dem Missbrauch von Regierungswerbung – der Stoff geht ihm nicht aus.
Katharina Schiffl

STANDARD: Der Rechnungshof kritisiert in seinem aktuellen Bericht, dass es nicht ausreichend gewährleistet war, dass die "verfassungsrechtlich vorgegebenen Gebarungsgrundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bei der Medienarbeit beachtet wurden". Kann ein RH-Bericht noch vernichtender sein?

Kaltenbrunner: Da gibt es wahrscheinlich kaum noch eine Steigerungsform eines Rechnungshof-Prüfergebnisses. Eigentlich führt so ein niederschmetternder Bericht zu einem Regierungsrücktritt. Die jetzt Verantwortlichen nehmen es aber gelassen, zumal die Haupttäter der Periode 2019 bis 2021 ja ohnehin nicht mehr im Amt sind. Dazu kommt die Begründung: Oje, hoppala, Corona war irgendwie schuld. Schwamm drüber, wir machen irgendwie weiter, und Neuwahlen kommen sowieso. Außerdem ist niemand wirklich überrascht. Die Rohberichte haben schon im Vorjahr die vielen Probleme gezeigt.

STANDARD: Welche genau?

Kaltenbrunner: Unsere "Scheinbar transparent"-Studien von Medienhaus Wien analysieren seit Jahren die sachlich unerklärlichen Inseratenflüsse der Regierungen. Die interne Dokumentenrecherche des Rechnungshofes in den drei geprüften Ressorts zeigt jetzt außerdem: Das ist nicht nur Unvermögen, sie wissen meist, was sie tun. Der politische Eigennutz steht im Vordergrund. Aus dem Anfang der Prüfperiode des Rechnungshofes, aus Jänner 2019, kennen wir ja eine Chatnachricht eines engen Kabinettsmitarbeiters an Finanzminister Löger: Mit "üppigen Medienbudgets", schreibt er wörtlich, könne "viel Wohlwollen für persönliche Zwecke gesichert" werden. Da klingt letztlich die Bewertung des Rechnungshofes, die Millionenausgaben für die Medienarbeit der Regierung seien weder sparsam noch zweckmäßig gewesen, ja ohnehin als Euphemismus unter Ausschöpfung der beschränkten sprachlichen Möglichkeiten eines Nationalratsorgans beim Aufschrei.

STANDARD: Die drei untersuchten Ministerien haben in den Jahren 2019 bis 2021 108,02 Millionen Euro für ihre Medienarbeit ausgegeben. Ist das verhältnismäßig viel?

Kaltenbrunner: Ja, das ist viel, jedenfalls sehr viel mehr als in der Vergangenheit. Die Regierung hatte ja 2020 beschlossen, dass in ihrer Legislaturperiode allein für die reinen Werbe- und Inseratenausgaben 180 Millionen Euro und die Kreativagenturen 30 Millionen zur Verfügung stehen. Das war eine Vervielfachung früherer Budgets. Eine sachlich nachvollziehbare Grundlage für diese Summe fehlte, schreibt der Rechnungshof. Auch kein Ministerium musste einen bestimmten Bedarf vorher anmelden oder erläutern. Das Bundeskanzleramt hatte also eine Phantasiesumme festgelegt.

Der Rechnungshof prüfte die Medienarbeit des Bundeskanzleramtes unter Regierungschef Sebastian Kurz (links), das Finanzministerium unter Gernot Blümel (Mitte) und das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler von den Grünen. Kurz und Blümel sind nicht mehr im Amt, Gewessler schon.
Der Rechnungshof prüfte die Medienarbeit des Bundeskanzleramtes unter Regierungschef Sebastian Kurz (links), das Finanzministerium unter Gernot Blümel (Mitte) und das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler von den Grünen. Kurz und Blümel sind nicht mehr im Amt, Gewessler schon.
Christian Fischer

STANDARD: Die ÖVP erklärt die gestiegenen Ausgaben des Bundeskanzleramtes mit der Pandemie und der Notwendigkeit, über Corona zu informieren. Ist das nachvollziehbar?

Kaltenbrunner: Die Pandemie gab es auch in Deutschland. Dort wurden dann nach ebenfalls kräftiger Budgeterhöhung 2021 etwa 67 Millionen Euro für klassische Werbemaßnahmen der Regierung in Medien, also für Inserate, Onlinewerbung, Rundfunkspots, ausgegeben. In Österreich waren es 45 Millionen. Pro Kopf der Bevölkerung in Österreich also sechsmal so viel wie in Deutschland. Ich gehe aber davon aus, dass wir gar nicht so viel unaufmerksamer und unverständiger sind als die Deutschen, wenn uns jemand Informationen zu einer Pandemie gibt. Dazu kommt, wie der RH-Bericht zeigt, dass sehr viel an österreichischen Ausgaben gar nicht sichtbar wurde.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Kaltenbrunner: Da werden etwa eine Corona-Broschüre und zwei Auftragsmagazine um fast eine Million Euro beschrieben, auf denen zwar viele Politiker zu sehen waren, aber für die Prüfer unklar blieb, für wen diese Drucksorten wie und wo sichtbar wurden. Alle Unterlagen dazu waren im Kanzleramt verschwunden, die Mailboxen von Sebastian Kurz' zentraler Stabsstelle Medien, wo Vertriebsinfos zu den Werbematerialien angeblich vermerkt waren, waren gelöscht. Viel Geld, zeigt der Prüfbericht, floss also auch auf recht verborgenen Nebenkanälen der offiziell gemeldeten Flüsse.

STANDARD: Klare Kommunikationsziele und Richtlinien fehlen, heißt es in dem Bericht.

Kaltenbrunner: Danach haben wir in unserer Forschungsarbeit auch immer vergeblich gesucht, weil erst die festgeschriebenen Kampagnenziele und die Definition von Zielgruppen würden in der Folge die Streupläne in den verschiedenen Medienkanälen begründen. In der Folge ließe sich prüfen, ob diese Ziele erreicht werden. Jede mittelgroße Kaufhauskette macht solche Kommunikationsplanung und Ergebnisanalyse, wenn größere Werbebudgets zum Einsatz kommen. Aber bei den Inseratenausgaben der Regierung galt offenbar: Es reicht nicht, dass ich keine Ziele habe, ich muss sie auch nicht formulieren können.

STANDARD: Der Rechnungshof konstatiert, dass Schaltpläne von Agenturen geändert wurden, um in parteinahen Medien zu inserieren. Für die Opposition ist das Inseratenkorruption. Wie sehen Sie das?

Kaltenbrunner: Ich sehe das wie die Oppositionsparteien, gestehe aber nicht allen das gleiche Recht auf Empörung zu. SPÖ-Kanzler Faymanns Inserateneskapaden waren ja schon 2011 der Auslöser für sehr kritische Diskussionen, Ermittlungen und ein Transparenzgesetz. Unter Türkis-Blau wurde das Inseratengeschäft, alles ökonomisch und recht hemmungslos selbstverliebt, nach oben geschraubt. Während der FPÖ-Regierungsbeteiligung ging in deren Ressorts auch einiges an FPÖ-nahe Medien, und beim Inseratenbudget für Tageszeitungen flossen mehr als drei Viertel an die Boulevardzeitungen, aber fast nichts an Regionalzeitungen und Qualitätsmedien. Aus dem FPÖ-Verteidigungsressort etwa ging dann 2018/2019 eine halbe Million Euro für Inserate an "Österreich"/"oe24", aber beispielsweise gar nichts an den "Kurier", dessen damaliger Herausgeber und heutiger Neos-Abgeordneter Brandstätter ein journalistisches Feindbild für die FPÖ war. Ich halte das auch für Inseratenkorruption.

STANDARD: Das Bundeskanzleramt hat bei den Inseraten etwa den "Falter" gestrichen, dafür "Exxpress" und die ÖVP-Parteizeitung "Oberösterreichisches Volksblatt" ins Portfolio aufgenommen. Ist das mit einer seriösen Mediaplanung erklärbar?

Kaltenbrunner: Gar nicht. Manches ist lachhaft vordergründig: etwa wenn Inserate an das ÖVP-"Volksblatt" laut unseren Studiendaten ab 2017 grundsätzlich nur von jenen Ressorts kamen, die von der ÖVP geführt waren. Da buchte dann etwa im Jahr 2020 auch das von Karl Nehammer geführte Innenministerium, das vom Rechnungshof jetzt nicht geprüft wurde, um eher bescheidene 14.000 Euro Inserate auch beim "Volksblatt". So etwas empört deswegen viele, weil es gar so durchsichtig ist. Für den Markt und dessen Wettbewerb ist aber noch viel relevanter, dass im selben Jahr weit mehr als zwei Millionen Euro und damit mehr als 80 Prozent der gesamten Zeitungsinseratenausgaben des Innenministeriums nur an den Boulevard, also an "Kronen Zeitung", "Heute" und "Österreich/oe24", gingen. Manche Regionalzeitungen und die "Presse" oder DER STANDARD kamen überhaupt nicht in den Streuplan im Nehammer-Ressort.

STANDARD: Mit welchen Zielen?

Kaltenbrunner: Das ist nicht durch irgendwelche raffinierten Kommunikationsstrategien oder Leserreichweiten der jeweiligen Zeitungen zu erklären. Es wird eben nicht nur en detail mit politischen Freundschaftsdiensten, sondern en gros Medienpolitik gemacht, der Markt indirekt reguliert, oft verzerrt. Es wird dabei die Entstehung von Öffentlichkeit und Meinung nach persönlichem und parteipolitischem Geschmack wesentlich beeinflusst. Es mahnt dann sogar der Rechnungshof ausdrücklich im Bericht, dass das nicht sein darf, obwohl das im Kern gar nicht sein Prüfauftrag ist.

STANDARD: Es gibt in dem RH-Bericht wunderlich anmutende Beobachtungen, wie etwa, dass plötzlich das Gesundheitsportal "Netdoktor.at" keine Rolle mehr bei den Werbeausgaben des Kanzleramtes gespielt hat, als es Eva Dichand verkauft hatte. Zuvor waren es über 200.000 Euro. Lässt sich so etwas erklären?

Kaltenbrunner: Dieser Verkauf war Anfang 2021, noch mitten in der Pandemie. Am mangelnden nationalen Gesundheitsinteresse kann das plötzliche Inseratenende für den "Netdoktor" also eher nicht gelegen haben. Vielleicht war es politische Rücksichtnahme: Der neue Eigentümer ist der deutsche Burda-Verlag. Die wären womöglich verstört, wenn sie so viel Regierungsinserate bekommen. Das gibt's ja in Deutschland nicht und würde dort vielleicht für einen Bestechungsversuch gehalten.

STANDARD: In der Kritik steht auch das Klimaschutzministerium unter der Führung der Grünen. Sind Sie überrascht?

Kaltenbrunner: Nein. Aber es ist andere Kritik als bei Kanzleramt und Finanzministerium. Das grün geführte Ressort mit den höchsten Werbeausgaben hat sich immer weiter aus dem klassischen Printinseratenmarkt zurückgezogen. Darauf haben wir auch in unseren jüngsten Studien verwiesen, und das lässt sich mit der Veränderung der Mediennutzung gut erklären. Die Digitalstrategie ist aber sachlich und fachlich recht zweifelhaft. Warum es gleich 71 Onlineportale des Ministeriums mit 36 verschiedenen externen Dienstleistern gibt, die dann alle ihre eigenen Content-Systeme und IT-Kosten verrechnen: Das lässt sich nicht erklären. Was mich überrascht hat: dass das Klimaschutzministerium bei den Medienkooperationen total schleißig bei der Leistungsdokumentation war und viele, auch größere Projekte ohne Ausschreibung ebenfalls freihändig vergeben hat. Da haben sich die Koalitionspartner gegenseitig nichts vorzuwerfen.

STANDARD: Das Medientransparenzgesetz wurde reformiert, jetzt müssen auch Inseratenvolumina unter 5.000 Euro deklariert werden. Reicht das?

Kaltenbrunner: Die Reform des Medientransparenzgesetzes war überfällig und unter dem immer größeren öffentlichen Druck unvermeidlich. Es ist ein Schritt vorwärts. Einige Meldeschlupflöcher sind künftig gestopft. Aber wie zentrale Punkte wie transparente Kampagnenplanung, begründete Budgetstreuung und Leistungsevaluierung tatsächlich gelebt werden, bekommen wir erst zu sehen. Viele weitere Kritikpunkte an reformbedürftigen Kommunikations- und Werbeausgaben der Ministerien werden durch das Gesetz außerdem nicht erfasst. Auch das Grundproblem bleibt bestehen: Die Werbeausgaben sind vielfach eine versteckte Medienförderung und viel zu hoch.

Die tatsächlich notwendigen Förderungen, die nach transparenten Regeln insbesondere journalistische Qualität, Innovation, auch Neugründungen unterstützen, sind dagegen viel zu niedrig. Und vieles bei den jüngst eingeführten Fördermaßnahmen, vor allem in der sogenannten digitalen Transformationsförderung, halte ich für missglückt, falls das Ziel tatsächlich die Förderung von Medienvielfalt und Meinungspluralismus ist und nicht das Stopfen von Budgetlöchern von legacy media ist.

STANDARD: 2024 ist ein Superwahljahr: Sollte es – analog zu Deutschland – vor Wahlen einen Deckel oder sogar ein Verbot von Regierungsinseraten geben?

Kaltenbrunner: Das wäre klug und verhindert politische Wettbewerbsverzerrung. Die Deutschen sind auch ohne Regierungsinserate vor Wahlen nicht monatelang orientierungslos. Eindeutig wettbewerbsneutrale Regierungsinformation – also etwa ein bezahlter Hinweis, wo sich Wahllokale befinden – ist ja auch dort erlaubt. Aber nach von der SPD in den 1970er-Jahren üppig gestreuten Inseraten zu den jeweiligen Heldentaten ihrer Ministerien wurde solche indirekte Parteienwerbung ohne sachliches Substrat vom deutschen Verfassungsgericht generell verboten.

STANDARD: Und in Österreich?

Kaltenbrunner: Wenn in Österreich die Regierung gehörig unter Druck steht, etwa Sebastian Kurz 2021 vor dem Rücktritt, und Neuwahlen möglich scheinen, streut Gernot Blümels Finanzministerium um 800.000 Euro Inserate zu den Segnungen der ökosozialen Steuerreform, der besten aller Zeiten. Diese war damals noch gar nicht beschlossen. Der Rechnungshof kritisiert auch das jetzt heftig und als unzulässig.

In Österreich steigen die Inseratenausgaben der Bundes- und Landesregierungen jedenfalls immer just in den Perioden vor einer Wahl am meisten. Wie viel es 2024 ist, erfahren wir aber wohl erst nach den Wahlen. Die Meldepflicht im Transparenzgesetz wurde im Vorjahr so umgestellt, dass die Ausgaben nur noch halbjährlich an die Komm Austria gemeldet werden müssen, einige Wochen später publiziert und damit wohl erst spät im Herbst diskutiert werden können. Honi soit qui mal y pense (ein Schelm, wer Böses dabei denkt, Anm.). (Oliver Mark, 13.2.2024)